STELLENABBAU IN DER FINANZINDUSTRIE

Neue Jobs gleichen Streichungen nicht aus

Abwärtstrend seit Jahren - Arbeitgeberverband hält zuweilen pausenlose Restrukturierung für möglich - Kaum interne IT-Ausbildung

Neue Jobs gleichen Streichungen nicht aus

Banken suchen händeringend nach Compliance- und IT-Fachkräften. Auf Unverständnis stößt bisweilen, weshalb sie Mitarbeiter nicht intern zu IT-Fachkräften weiterbilden. Andernorts werden Beschäftigte nicht mehr benötigt. Die Bilanz ist negativ: Seit Jahren gehen mehr Stellen verloren, als neue aufgebaut werden. Von Tobias Fischer, FrankfurtDigitalisierung, höherer Konkurrenz- und Innovationsdruck durch neue Wettbewerber, Niedrigzinsumfeld, verschärfte Regulierung, veränderte Kundenansprüche und mehr Selbstentscheider in Geldbelangen: Viele Bankmitarbeiter, auch Führungskräfte, sind verunsichert, wie sie mit dem tiefgreifenden Wandel in der Finanzwelt umgehen sollen, der Kostendruck und Stellenabbau mit sich bringt.Prognosen von Bankern, Beratern und Medien schwanken zwischen Hiobsbotschaften und Zukunftsglaube: Prophezeien die einen, beispielsweise die Münchener Personalberatung El-Net Group, dass binnen sieben bis zehn Jahren ein Drittel der Stellen in hiesigen Banken wegfällt und ein weiteres Drittel der Beschäftigten andere Jobs ausüben wird als bisher, so beschwören die anderen die Vorteile der Automatisierung, bescherten der Einsatz von Computern, Robotern und künstlicher Intelligenz den Mitarbeitern doch auch veränderte Jobprofile, neue Stellen und die Entbindung von monotonen Tätigkeiten (siehe Bericht unten). Relativer Bedeutungsverlust Fakt ist, dass im Finanzwesen Jahr für Jahr unter dem Strich Stellen verschwinden. Deren Zahl schrumpfte der Bundesagentur für Arbeit zufolge in den gut zehn Jahren von Mitte 2007 bis Ende 2017 um fast 6 % (siehe Grafik). Waren im Juni 2001 noch fast 770 000 Menschen bei Kreditinstituten beschäftigt, was der höchsten Zahl entspricht, die die Statistik seit 1985 ausweist, so schwand sie bis Ende 2017 auf 648 400 – ein Minus von annähernd 16 %. Darüber hinaus muss die Branche einen Bedeutungsverlust hinnehmen, legt man den Anteil der Bankbeschäftigten an der Gesamtzahl aller Beschäftigten im Bundesgebiet zugrunde. Waren es Mitte 2006 noch 2,7 %, so schrumpfte der Wert bis Ende 2017 auf 2,0 %.Die von der Finanzindustrie vorangetriebenen Automatisierungsprozesse befördern unter Umständen pausenlose Umbauten, sagt Carsten Rogge-Strang, Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes des privaten Bankgewerbes (AGV Banken) in Berlin, der Börsen-Zeitung: “Manche Bereiche werden womöglich von permanenter Restrukturierung betroffen sein. Die Umbrüche werden nicht aufhören.”Die neue digitalisierte Arbeitswelt zeitigt nach Ansicht des AGV mehrere Veränderungen: Computer übernehmen einfache Tätigkeiten, was mit einem Stellenabbau einhergeht, wobei insbesondere die Bereiche Kredit und Marktfolge automatisiert würden. Komplexere Tätigkeiten werden hingegen aufgewertet. Die Qualifikationen und Jobprofile ändern sich, benötigt werden mehr hoch qualifizierte Beschäftigte, die an der Schnittstelle zwischen IT und Bankgeschäft neue Produkte und Prozesse gestalten. “Dabei sind zunehmend auch Professionen außerhalb des klassischen Bankgeschäfts gefragt, etwa aus dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich”, stellt der AGV fest.Gesucht werden auch Mitarbeiter fürs Projektmanagement, um neue Produkte zu entwickeln, sowie Spezialisten für Compliance und Regulierung. Diese zwar nicht unmittelbar wertschöpfenden Mitarbeiter sorgten dafür, dass der Laden läuft. Doch das reicht nicht, um den Abbau in Abwicklungs- und Serviceeinheiten aufzufangen: “Insgesamt gleichen die Neueinstellungen den – vorwiegend digitalisierungsbedingten – Personalabbau weiterhin nicht aus”, resümiert der Verband. Betriebswirte gefragtÄhnlich sieht das Britta Matthes, Leiterin der Forschungsgruppe “Berufliche Arbeitsmärkte” des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit. Ihr zufolge werden z. B. weniger Schalterangestellte, die ausgebildete Bankkaufleute sind, benötigt, aber mehr höher Qualifizierte wie Betriebswirte. “Digitalisierung und künstliche Intelligenz führen nicht nur zu einem Stellenabbau, sondern auch zur Schaffung neuer Stellen, beispielsweise muss es ja Leute geben, die künstliche Intelligenz trainieren und Qualitätssicherung betreiben. Ob die Digitalisierung insgesamt zu einem Stellenabbau führt, ist unklar. Aber es ist möglich.” Dabei sieht Matthes in Banken an allen Ecken und Enden Bedarf nach internen Schulungen, vor allem nach IT-Fachkräften. “Die Nachfrage ist so groß, dass man sich fragt, ob man nicht Leute weiterbilden kann, z. B. hoch qualifizierte, IT-affine Betriebswirte. Da könnte noch mehr gemacht werden. Wieso sollte man nicht noch häufiger auf die Mitarbeiter zugehen, die man hat, und sie weiterbilden?” So würden über Führungs- und Bankakademien zwar Projektmanager weitergebildet, aber eine IT-Weiterbildung finde kaum statt.Grundsätzlich seien schon vor zwei Jahren 60 % der unternehmensbezogenen Dienstleistungsberufe, zu denen Matthes auch Bankjobs zählt, potenziell durch Roboter zu erledigen gewesen, hat sie herausgefunden (siehe Bericht unten). Im Vergleich mit 2013 entsprach das einem Anstieg um 19 Prozentpunkte. Den Stellenabbau im Finanzwesen führt sie aber nicht ausschließlich auf Digitalisierung zurück, sondern auch auf die Verlagerung von Tätigkeiten von Banken auf die Kundschaft. Die informiert sich nun beispielsweise am liebsten online, trifft Anlage- und Kreditentscheidungen häufig selbst, sofern es sich nicht um allzu komplexe Produkte handelt, und tätigt Überweisungen üblicherweise per Online-Banking. Eher Chance als BedrohungEiner AGV-Umfrage von September zufolge betrachten im privaten Bankgewerbe Beschäftigte die Digitalisierung durchaus differenziert. “Der Grundtenor ist: Digitalisierung wird eher als Chance denn als Bedrohung gesehen”, sagt Rogge-Strang. “Wenn sie als bedrohlich empfunden wird, dann in puncto Arbeitsplatzsicherheit.” Die wird im Vergleich mit 2015 skeptischer beurteilt. Erwarteten vor drei Jahren noch 31 % dahingehend eine (starke) Verschlechterung, so sind es jetzt 40 %.Eher kritisch sind sie auch, was Team- und Führungsqualität angeht und wie die Arbeit im Team künftig organisiert werden soll. Um mit den Veränderungen Schritt zu halten, müssten sich Arbeitsorganisation und -struktur ändern, befindet denn der AGV. Da flexible Arbeitsformen und flache Hierarchien an Bedeutung gewinnen, stellt sich die Frage, wie sich zunehmend dezentral und zeitlich versetzt arbeitende Teams organisieren und führen lassen. Klar sei jedenfalls, so der AGV: “Gute Führung und funktionierende Teams bleiben auch in der digitalen Arbeitswelt die zentralen Erfolgsfaktoren für Arbeitszufriedenheit und Motivation.”Die Mitarbeiter nehmen aber auch Chancen durch die Digitalisierung wahr, wie effizientere interne Abläufe, bessere Kommunikation und mehr Entscheidungsspielräume. Rogge-Strang zieht jedenfalls ein versöhnliches Fazit: “Klassische Banker werden weiterhin gebraucht. Der Beruf des Bankberaters wird nicht aussterben.”