Neuen Gründergeist auf breiter Front entfachen

Deutschlands Südwesten soll zu einer der dynamischsten Regionen Europas werden - Zahlreiche Initiativen unterstützen diese Pläne

Neuen Gründergeist auf breiter Front entfachen

Baden-Württemberg ist bekannt als Land der Tüftler. 30 % der deutschen Patentanmeldungen kamen 2015 aus dem Südwesten Deutschlands. Mit 133 Anmeldungen pro 100 000 Einwohner sind wir bundesweit wiederholt Tabellenführer; der Bundesdurchschnitt liegt bei gerade 58. Diese Tatsache allein stiftet jedoch noch keinen volkswirtschaftlichen Mehrwert. Für marktfähige Produkte und nachhaltige Geschäftsmodelle bedarf es einer produktiven Symbiose zwischen Erfinder- und Unternehmergeist.Baden-Württemberg ist mit seinen Großunternehmen und einem starken Mittelstand – darunter viele Hidden Champions, die in ihrer Branche als Marktführer weltweit agieren – gut aufgestellt. Mit Blick auf den Mittelstand von morgen ist eine dynamische Gründungskultur aber auch für uns ein entscheidender Erfolgsfaktor. Gründungen sind Motor wirtschaftlichen Strukturwandels. Wir beobachten das aktuell selbst in Branchen der Old Economy. Deren Vertreter bemühen sich folgerichtig um eine engere Kooperation mit Start-ups, beispielsweise in Form von Corporate Venture oder Accelerator-Projekten. Und so manches Traditionsunternehmen ist gewillt, Start-up-Kultur auch betriebsintern zu adaptieren. Spitzenplatz verteidigenDoch wie sieht die Gründungslandschaft in Baden-Württemberg aus? Die nationalen und internationalen Gründungsstatistiken weisen seit vielen Jahren keinen Spitzenplatz mehr für uns aus. Angesichts attraktiver Perspektiven in abhängiger Beschäftigung ist es nicht leicht, auf breiter Front einen neuen Gründergeist zu entfachen. Wir setzen deshalb in unserer Gründungsförderung besonders auf Qualität, Innovation und Überlebensfähigkeit. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat 2013 in einer Studie festgestellt, dass Baden-Württemberg bei Hightech-Gründungen bundesweit auch quantitativ einen Spitzenplatz einnimmt. Zudem verzeichnen wir gemäß der letzten ZEW-Erhebung die höchste Fünf-Jahres-Überlebensquote über alle Branchen hinweg und auch speziell im Hightech-Sektor.Diesen Spitzenplatz wollen wir im föderalen Wettbewerb verteidigen und auch international möglichst ausbauen. Aus diesem Grund fördern wir eine frühzeitige Gründungssensibilisierung und -qualifizierung von jungen Menschen an unseren Schulen und Hochschulen. Die EU sieht uns als eine der Vorzeigeregionen in Sachen Entrepreneurship Education an allgemeinbildenden Schulen. Der Bildungsplan 2016 mit dem neuen Fach “Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung” wird die ökonomische Bildung unserer Schülerinnen und Schüler an allen weiterführenden Schularten flächendeckend erhöhen.Das Interesse am Gründen und der Reiz des Unternehmertums sollen dabei möglichst praxisnah und durch eigenes Ausprobieren vermittelt werden. Bereits heute betreuen wir über 1 200 Schüler- und Juniorenfirmen im Land, unter anderem mit Rechtsberatungsangeboten und Finanzierungshilfen. Unser Wissenschaftsministerium schafft mit hochschulbezogenen Förderangeboten für die Gründungslehre sowie für Gründungen auf dem Campus den nahtlosen Anschluss.Unsere Gründungslandschaft kann aber eben nicht mit Berlin oder Hamburg verglichen werden, denn wir haben in Karlsruhe, Mannheim, Freiburg, Stuttgart, Tübingen oder Ulm ganz unterschiedliche Start-up-Szenen mit völlig verschiedenen Branchen- und Technologieschwerpunkten, und häufig stehen eher B2B-Geschäftsmodelle im Fokus. Als wesentliche Aufgabe der Zukunft sehe ich, diese einzelnen regionalen Ökosysteme in ein ganzheitliches Bild zu fassen, das wir verstärkt nach außen, aber auch nach innen kommunizieren.Ein erstes erfolgreiches Instrument ist dabei unser landesweiter Wettbewerb “Elevator Pitch BW”, der Vielfalt und Kreativität baden-württembergischer Gründungen aufzeigt und das mediale Interesse an unserem Gründungsgeschehen enorm gesteigert hat. In den ersten drei Wettbewerbsrunden mit landesweit 52 Veranstaltungen standen über 500 Gründerteams auf der Bühne und haben ihre Ideen präsentiert. Schnell und bürokratiearmParallel wurde und wird die Gründungsförderung so konzipiert, dass sie möglichst schnell, bürokratiearm und bedarfsorientiert wirkt. Für die Geschäftsmodell- und Business-Plan-Entwicklung haben wir beispielsweise ein niedrigschwelliges Gutscheinsystem eingeführt, mit dem man ohne Antragsverfahren eine mit einem 80 %-Zuschuss geförderte Expertenberatung erhält. Die Beratungen werden unter anderem von zwei auf Hightech-Start-ups spezialisierten Beratungsdiensten durchgeführt.Aber auch in allen anderen Branchen sind ausgewiesene Spezialisten unterwegs, so zum Beispiel für Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen, Kreativwirtschaft oder Gastronomie. Mit einem speziellen Innovationsgutschein für Start-ups mit innovativen Produktideen werden innerhalb weniger Wochen bis zu 20 000 Euro für den Prototypenbau gewährt, um diese schneller an Absatzmärkte und eine Unternehmensfinanzierung heranzuführen. Bedarfslücken schließenIm Jahr 2014 wurde darüber hinaus ein Venture-Capital-Fonds Baden-Württemberg aufgelegt, und in Kooperation mit Stuttgart Financial, einer Initiative der Börse Stuttgart, wurde das landesweite Netzwerk VC-BW gegründet, das sämtliche regionalen Investoren- und VC-Aktivitäten bündelt. VC-BW führt unter anderem regelmäßig Venture-Capital-Pitches “Best of Baden-Württemberg” durch und wird zukünftig einen zentralen Vermittlungsservice für Kapitalgeber und Kapitalsuchende anbieten. Zurzeit evaluiert mein Haus Effektivität und Effizienz bisheriger Förderprogramme, Kampagnen und Wettbewerbsformate, um im Anschluss neu aufeinander abgestimmte Konzepte vorzustellen, die noch existente Bedarfslücken schließen und vor allem die sich positiv entwickelnde Gründungsdynamik weiter verstärken sollen.Wir wollen dem Gründungsstandort Baden-Württemberg dadurch mehr Potenzial verleihen und ihn noch attraktiver machen. Das gilt für alle Gründungswilligen im Land genauso wie für Menschen aus anderen Ländern, die mit einer innovativen Dienstleistungsidee oder einem Hightech-Produkt nach einem guten Standort für die Umsetzung ihrer Ideen suchen. Nach unseren Vorstellungen soll sich ein neuer Gründergeist dabei nicht nur in den Ballungsgebieten und Oberzentren unseres Landes entwickeln, sondern auch in der Fläche. Beispiel NiedereschachBestes Beispiel hierfür ist die Gemeinde Niedereschach am Rande des Schwarzwalds mit ihren 5 900 Einwohnern. Die Gemeinde hat 2013 gemeinsam mit ortsansässigen Unternehmen EGON, die Existenzgründungsoffensive Niedereschach, ins Leben gerufen. EGON, von meinem Ministerium seit Anbeginn konzeptionell und finanziell unterstützt, hat dieses Jahr die nationale Nominierung des Unternehmensförderpreises der EU-Kommission gewonnen und kämpft nun als Vertreter Deutschlands um den Europameistertitel der Gründungsinitiativen. Dieser Erfolg hat uns dazu veranlasst, einen Wettbewerb “Gründungsfreundliche Kommune” auszuloben, der im kommenden Jahr startet und möglichst viele Kommunen unterschiedlicher Größe ermutigen soll, dem Beispiel Niedereschachs zu folgen.Wir arbeiten zudem an Plänen, das Wagniskapitalangebot in Baden-Württemberg wesentlich zu verbessern. Unser Ziel ist ein Fonds im dreistelligen Millionenbereich. Nach der Statistik des Bundesverbands Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BVK) landeten 2015 nur 4 % der bundesweiten VC-Investments in Baden-Württemberg (Bayern: 16 %, Berlin: 23 %). Aber auch bei Mikrokrediten besteht Handlungsbedarf, den wir zeitnah in Kooperation mit unserer Förderbank, der L-Bank, befriedigen werden.In der Frühphasenförderung von Hightech-Start-ups gehen wir neue Wege, um internationale Exzellenz zu erringen: Technologiespezifische Landeszentren für Unternehmensentwicklung sollen für High-Potenzial-Gründungen professionelles Coaching, Frühphasenfinanzierung und internationalen Marktzugang ermöglichen. Ein erstes Zentrum befindet sich bereits in der Realisierung, das CyberLab für Unternehmenssoftware in Karlsruhe. Weitere Zentren für Medtech-, Organic-Electronics- oder Automotive-Start-ups sind bereits an anderen Standorten des Landes in der Konkretisierung. Diese Zentren entstehen dort, wo einschlägige Unternehmen dieser Branchen, Clusterinitiativen, Hochschul-Studiengänge und Forschungseinrichtungen bereits erfolgreich unterwegs sind.Mit all diesen Ansätzen möchte die grün-schwarze Landesregierung erreichen, den deutschen Südwesten zu einer der dynamischsten Gründerregionen Europas zu machen.—Nicole Hoffmeister-Kraut, Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau des Landes Baden-Württemberg