Neuer Aufschwung für die Energiewende
Auch die Energiewende ist durch das Virus bedroht: Die globale Rezession sorgt für Zurückhaltung bei klimaschutzrelevanten Investitionen. Die Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU könnte die Energiewende im kommenden Jahr jedoch auf Zukunftskurs führen.Noch zu Beginn der Coronakrise herrschte in Teilen der Gesellschaft der Eindruck, das Klima würde als Gewinner aus dieser Zeit der weltweiten Stagnation hervorgehen. Denn in der Momentaufnahme zeigte sich ein Bild, in dem einmalig auftretende Effekte, wie der rückläufige Strombedarf der Industrie oder der globale Reisestopp, dazu führten, dass die Bundesregierung ihr Ziel, die Treibhausgasemissionen für 2020 um 40 % zu senken, sogar übererfüllen würde. Die Denkfabrik “Agora Energiewende” schrieb bereits im März in einer ersten Analyse zu Auswirkungen der Coronakrise auf die Klimabilanz Deutschlands, diese Momentaufnahme dürfe nicht den Blick dafür verstellen, dass nur eine nachhaltige CO2-Neutralität echten Klimaschutz bedeute. Denn es dürfe damit gerechnet werden, dass die durch die Rezession bedingte deutliche Investitionsminderung auch zu Zurückhaltung bei klimaschutzrelevanten Investitionen, etwa im Bereich der erneuerbaren Energien, führe.Was im März noch Vermutung war, hat sich mittlerweile bestätigt. Die globale Rezession führt dazu, dass auch die Energienachfrage in Deutschland erheblich gesunken ist. So lag nach Zahlen der Bundesnetzagentur der Stromverbrauch im April um mehr als 8 % unter dem von April 2019. Die Preise für Gas und Strom befinden sich teilweise weltweit auf Rekordtief. Diese Entwicklungen sorgen dafür, dass Energieeffizienzmaßnahmen nur noch selten wirklich wirtschaftlich sind. Viele der von Bund und Ländern eingeleiteten Maßnahmen zum Klimaschutz könnten damit zurückgeworfen werden. Weitere Arbeitsplätze möglichTrotz aller Schwierigkeiten kann es sich Deutschland, kann es sich die Weltbevölkerung nicht leisten, die Beschäftigung mit der Klimakrise erst nach Beendigung der Coronakrise wieder aufzunehmen. Klimaschutz und Energiewende sollten gerade jetzt auf Zukunftskurs gesetzt werden, denn sie bieten Chancen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze und die Gestaltung nachhaltiger Wertschöpfung.Eine gute Möglichkeit, um die Energiewende anzukurbeln, ist, sie dezentral in Bürgerhand zu legen. In Energiegenossenschaften tun sich Bürger zusammen, um sich für die Energiewende zu engagieren, und bauen und betreiben so beispielsweise eigene Energieerzeugungsanlagen, wie Windräder. Somit sind Bürgerenergiegenossenschaften auf eine langfristige, bedarfsorientierte und regionale Energieversorgung ausgerichtet, schaffen Akzeptanz, fördern die regionale Wertschöpfung und geben Bürgern die Möglichkeit, sich vor Ort aktiv an der Energiewende zu beteiligen. Neuer RechtsrahmenDie aktuelle Lage gestaltet sich in Bezug auf eigenerzeugten Strom bislang jedoch noch so: Erzeuger erneuerbarer Energien müssen ihren Strom ins öffentliche Netz einspeisen und erhalten dann eine Einspeisevergütung beziehungsweise Marktprämie. Anreize, den erzeugten Strom auch vor Ort ohne Nutzung des öffentlichen Netzes zu verbrauchen, bietet bisher allein die Eigenversorgung, bei der Erzeuger und Verbraucher dieselbe Person sein müssen, sowie der Mieterstrom. Die Möglichkeiten, regional erzeugten Strom auch in der Region zu nutzen, sind also limitiert.Da ist es für die Energiewende und Wirtschaft umso mehr von Vorteil, dass die Europäische Erneuerbare-Energien-Richtlinie (kurz: EE-RL) bis Mitte 2021 auch in Deutschland umgesetzt werden muss. Denn sie befördert eine neue Dynamik im Ausbau der erneuerbaren Energien, indem sie einen neuen Rechtsrahmen für Energiegenossenschaften und Bürgerenergie definiert.Dieser Rechtsrahmen sieht das sogenannte Energy Sharing innerhalb von Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften (Renewable Energy Communities, kurz: RECs) vor. Das bedeutet konkret: RECs haben das Recht, Strom, den sie mit ihren eigenen Anlagen aus erneuerbaren Energien produziert haben, auch innerhalb ihrer Gemeinschaft gemeinsam zu nutzen. RECs sind eine neue Akteursform, die so in der deutschen Energiewirtschaft noch nicht existiert, aber stark an (deutsche) Energiegenossenschaften angelehnt sind. Die EE-RL stellt gewisse Anforderungen an diese Gemeinschaften. Hier ein exemplarischer Auszug: Jede REC muss eine Rechtsform haben, beispielsweise eine Genossenschaft. Zudem darf eine REC nicht vorrangig in Gewinnabsicht tätig sein. Ihr Ziel soll es sein, ökologische, wirtschaftliche oder sozialgemeinschaftliche Vorteile für die Region zu erbringen. Die Mitglieder beziehungsweise Anteilseigner dürfen jedoch Kapitalrendite beziehen. Die Mitglieder der Gemeinschaft dürfen auch regionale Privatunternehmen, lokale Behörden oder Gemeinden sein. Und um den Strom der gemeinsam betriebenen Erneuerbare-Energie-Anlage zu nutzen, muss die Gemeinschaft selbst Eigentümerin und Betreiberin jener Anlage sein. EnergiegenossenschaftenViele der Anforderungen, die an künftige Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften gestellt werden, entsprechen genossenschaftlichen Grundsätzen. So gehört beispielsweise neben dem Förderungsprinzip auch das Identitätsprinzip zu den allgemeinen Wesensmerkmalen der Genossenschaften.Der Genossenschaftsverband – Verband der Regionen vertritt 352 Energiegenossenschaften mit ihren knapp 110 000 Mitgliedern. Damit sind die Energiegenossenschaften wichtige Akteure der dezentralen Bürger-Energiewende. Denn sie schaffen Akzeptanz und Identifikation in der Bevölkerung, beispielsweise für das Betreiben von Windrädern. Viele Bürgerenergiegenossenschaften betreiben auch Fotovoltaikanlagen auf öffentlichen oder gewerblichen Dachflächen. Bisher können die Mitglieder der Genossenschaft den Strom jedoch nicht selbst nutzen, obwohl die genossenschaftliche Mitgliederversorgung ein tiefer Wunsch der Energiegenossenschaften ist. Dies würde sich durch Energy Sharing ändern.Wie dies in Deutschland aussehen kann, erläutert Energy Brainpool in dem “Impulspapier Energy Sharing”. Das Papier unterstützen der Genossenschaftsverband und die Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften beim Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband (DGRV) als Diskussionsvorschlag zur Umsetzung genossenschaftlicher Mitgliederversorgung im Sinne der Erneuerbare-Energien-Richtlinie. Möchte eine Genossenschaft laut Vorschlag ihr Vermarktungskonzept auf Energy Sharing umstellen, muss sie zunächst prüfen, ob sie alle Anforderungen einer REC erfüllt. Die Mitglieder der Energiegenossenschaften und ihre genossenschaftlichen Erneuerbare-Energien-Anlagen bilden anschließend zusammen einen “virtuellen Verbraucher/Eigenversorger”. Für den gemeinsam genutzten Strom der REC fallen reduzierte Stromnebenkosten an, wodurch die Wirtschaftlichkeit des Konzepts gegeben ist.Durch die Umsetzung von Energy Sharing wird es in Zukunft also eine weitere dezentrale Strombezugsmöglichkeit geben. Die Stromverbraucher haben dann die Wahl zwischen vier Möglichkeiten: Energy Sharing/genossenschaftliche Mitgliederversorgung, Nachbarschaftsstromhandel, Eigenversorgung sowie Grundversorgung beziehungsweise Drittanbieter auf zentraler Ebene. Somit befördert Energy Sharing den Ausbau der erneuerbaren Energien und macht ihn sowohl für Unternehmen, beispielsweise über die Erschließung ungenutzter Gewerbedachflächen, als auch für die Bevölkerung attraktiv. Peter Götz, Vorstandsmitglied des Genossenschaftsverbandes Verband der Regionen e.V.