Neues Berufsbild Financial Data Scientist
Ralf FrankDVFAProf. Dr. Andreas HoepnerUniversity College DublinDr. Damian BorthDeutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, DFKIGoogle liefert ca. 373 000 000 Einträge zu Big Data, ca. 73 500 000 zu Big Data + Finance. Zu Financial Data Science wirft die Suchmaschine immerhin schon 56 800 000 Insertionen aus. Was hat es auf sich mit Financial Data Science? Ein weiteres Modewort im Zuge der an allen Orten verkündeten Digitalisierung? Wenn von künstlicher Intelligenz im Finanzmarkt gesprochen wird, dann fällt vielen der Verlust von Arbeitsplätzen ein, die angeblich durch Algorithmen oder Roboter ersetzt werden. Dabei werden durch Anwendungen von künstlicher Intelligenz, Artificial Intelligence (AI), Tausende von Jobs entstehen z. B. in Bereichen wie Design, “Feeding” und Programmierung. Diese neuen Jobs entstehen bereits zu Zehn-, wenn nicht gar Hunderttausenden, nicht nur in der Finanzwirtschaft, sondern in der ganzen Gesellschaft, stellen dabei aber veränderte Anforderungen an Fähigkeiten und Qualifikation.Artificial Intelligence ist häufig Hollywood-Romantik. Wirkliche Veränderung bringt die Augmented Intelligence. AI steht als Abkürzung für zwei unterschiedliche Konzepte: zum einen Artificial Intelligence, zum anderen Augmented Intelligence. Während es sich beim ersten Konzept oft um Science Fiction handelt (“Wer ist intelligenter: Mensch oder Maschine?”), geht es bei Augmented Intelligence um intelligente Maschinen im Zusammenspiel mit menschlichen Experten, die durch die Kopplung Mensch-Maschine über mehr Leistung in kürzerer Zeit verfügen. Artificial Intelligence kommt zum Einsatz in Gebieten, bei denen eine Routine-Aufgabe wie das Erkennen von Mustern, Daten oder Personen, noch dazu in repetitiver Form von einer Maschine präziser und weniger fehleranfällig als vom Menschen erledigt wird. Ein Beispiel ist hier die Passkontrolle an Flughäfen vermittels biometrischer Daten. Trotz eines erkennbaren Hypes um Artificial Intelligence: Die Zukunft liegt in der Augmented Intelligence, gerade im Finanzmarkt. Wenn die Erkennung von Mustern oder Bildern nicht unbedingt in Echtzeit ablaufen muss und eher Flexibilität anstatt stupide Wiederholung gefragt ist, dann ist die Programmierung und der aufwendige Lernprozess von AI zu teuer oder zu wenig flexibel, und Menschen können gewisse Aufgaben im Rahmen eines Augmented-Intelligence-Prozesses mit vergleichbarer Genauigkeit, aber höherer Flexibilität erledigen. Selbstlernen von Algorithmen ist eine Metapher. Vorhersagen von z. B. neuronalen Netzen weisen Schwächen auf, die den Menschen erfordern. Algorithmen, so wird immer wieder beteuert, lernen. Wenn es sich um Aufgaben handelt, bei der es nicht um die Erkennung z. B. eines Gesichts in einem Pass geht, sondern die Vorhersage eines unbeobachtbaren Ergebnisses, dann zeigen sich drei erhebliche Schwächen des sogenannten Deep-Learning-Konzeptes:1. Die Ergebnisse, die ein neuronales Netzwerk, das auf Basis von Deep Learning programmiert ist, liefern kann, hängen maßgeblich von der Gewichtung von Faktoren ab, mit der die Input-Daten versehen sind. Anders als in der klassischen Statistik fehlt hier ein Maß für die Unsicherheit wie z. B. Confidence-Intervalle.2. Deep Learning müsste eigentlich Deep Imitation genannt werden, denn wenn Algorithmen lernen, dann imitieren sie nur. Die Entwicklung eines unabhängigen Verständnisses der Zusammenhänge oder der Aufbau von Wissen – das können Algorithmen – auch 20 Jahre nach HAL 9 000, dem allwissenden Computer aus Stanley Kubricks “2001 – Odyssee im Weltraum” – noch nicht.3. Die meisten neuronalen Netzwerke mit Deep Learning sind so komplex, dass selbst die Wissenschaftler, die sie programmiert haben, meist nicht verstehen, wie sich in den tieferen Schichten der neuronalen Netze Entscheidungen oder Berechnungen ergeben.Nimmt man die drei Schwächen zusammen, dann versteht man, warum wir auch im Jahre 2018 noch weit davon entfernt sind, Algorithmen oder Computern die Berechnung von Prognosen überlassen zu können, deren Eintreffen oder Stimmigkeit nicht leicht überprüft werden können. Dieser Zusammenhang erklärt auch, warum wir in Anbetracht einer imperfekten Technologie gerade im Finanzmarkt, dessen Kern ja die Prognostik ist, auch zukünftig noch Zehntausende von Arbeitsplätzen brauchen: um den effektiven und zielgerichteten Einsatz der Technologie sicherstellen zu können, deren Vormarsch nicht mehr aufzuhalten ist.Solange der Kunde ein Mensch ist, werden Tausende von Jobs in der Übersetzung von algorithmischen Outputs in die Logik von Menschen entstehen. Im Investment Management gerät aktives Investment zunehmend in die Defensive. “Quants” hatten von jeher schon ihren Platz im Finanzmarkt, aber es scheint so, dass die wirklich guten Zeiten für quantitativ orientierte Investment Professionals erst gerade angebrochen sind. Ungeachtet dessen propagieren wir einen offensiven Umgang mit Themen der Digitalisierung: 1. Die momentanen Umwälzungen in der Investmentbranche laden geradezu ein, Methoden und Investmentansätze zu überdenken.2. Investment Professionals sollten ihre eigenen Fähigkeiten in Bezug auf Digitalisierung ausbauen.Algorithmen und neuronale Netze für Finanzmärkte müssen entworfen und programmiert werden. Undenkbar, dass diese Aufgabe allein von Programmierern und IT-Spezialisten bewältigt werden kann. Hier könnten sich zwei Trends aufeinander zubewegen: mit der Mifid II werden in den kommenden Monaten und Jahren mutmaßlich Investment-Research-Kapazitäten abgebaut, die unter den Rahmenbedingungen konventioneller Research-Ansätze nicht mehr kommerziell zu verwerten sind. Es ist nicht akzeptabel, dass Know-how “aus dem Markt geht”. Unter den Investment Professionals, die davon betroffen sein werden, sind viele Experten, deren Verlust bedauerlich wäre. Angesichts unserer These, dass die Zukunft ein intelligentes Zusammenspiel von Mensch und Maschine hervorbringen wird, könnten viele Finanzanalysten und Fondsmanager zukünftig eine neue Generation von Investment Professionals darstellen, nämlich als Financial Data Scientists, die bei der Informationsidentifikation arbeiten (welche Informationen? wie gewichtet?) und z. B. im Testen von AI ihren Beitrag leisten. Dazu sind jedoch andere, neue Fähigkeiten und Fertigkeiten notwendig. Ein kleines Team von fünf Financial Data Scientists mit statistischem Know-how und Programmierfähigkeiten kann sehr kompetitiv sein im Vergleich zu fünf Portfoliomanagern und zwei Dutzend Analysten, die auf veralteter Technologie, die seit dem letzten Jahrhundert nicht mehr upgedated wurde, arbeiten. Investment Professionals sollten sich aus eigenem Interesse mit digitalen Technologien, insbesondere mit Instrumenten und Methoden aus der AI auseinandersetzen. Frei verfügbare, aber alles andere als triviale Datenprogramme wie R oder Python bilden heute in der Financial Data Science den Minimumstandard. Wir zitieren aus einer Stellenanzeige eines großen globalen Assetmanagers: “Wir bieten neue Produkte, die Zugang zu unseren Datenbeständen geben für Data Scientists, Machine-Learning-Forscher und quantitative Modellbauer Unsere Zielkunden nutzen die R-Analysesprache und wenden mathematische und statistische Methoden auf Investment- und Risikofragestellungen an … Unsere Plattform erlaubt es ihnen, ihre Algorithmen auf unsere Datenbestände anzuwenden, und nicht umgekehrt. Anforderungen sind Erfahrung mit R, Erfahrung mit Python, ein großes Interesse an den Daten, die unser Finanzsystem stützen.”Wer sich mit R oder Python auseinandersetzt, wird erkennen, welche “Power” diese Programme für die Analyse unterschiedlichster Datenbestände liefern. Die Analyse mit Python ist zu herkömmlichen Analyseinstrumenten, was das Internet für Karteikästen ist. Schon Master of Finance führender Universitäten, die heute in den Arbeitsmarkt in Finance strömen, kommen in aller Regel mit Erfahrung in der Programmierung von Python oder R. Bloomberg bietet bereits eine Schnittstelle zu Python an – als selbstverständliche Alternative zur konventionellen Excel-Schnittstelle. Kenntnisse in Python und R sollten Standards sein für Investment Professionals. Ausbildungen in diesem Bereich, wie der Chartered Financial Data Scientist der DVFA, setzen deshalb auf Python. Zumal Fintech-Unternehmen, deren Dienstleistungen oft auf diesen Technologien beruhen, sich langsam, aber sicher im Markt etablieren. Smart Beta wurde zu Factor Investing, das jetzt noch mit Hilfe der Financial Data Science zu Evidence-based Investing wird. Welcher Kunde wird 2025 noch Investmentstrategien ohne transparente, wissenschaftlich fundierte Evidenzen kaufen wollen? Es sollte sich im Markt herumgesprochen haben, dass praktisch jeder große Assetmanager heute bereits Teams von Financial Data Scientists vorhält oder solche Teams aufbaut. Worauf warten Investment Professionals?