New Work – alles schon gelernt?
Praktisch alle Banken haben New Work in der einen oder anderen Form in ihre Strukturen integriert. Doch während die Häuser sich längst wieder anderen Themen zuwenden, ist in den meisten Fällen die eigentliche Arbeit noch gar nicht erledigt. Schwierigkeiten werden erst zeitlich versetzt sichtbar werden – jetzt ist die Zeit, die Weichen richtig zu stellen. Jamie Dimon hält wenig von Remote Work, es sei abträglich für die Spontanität. Was der Vorstandsvorsitzende von J.P. Morgan sagt, hat Gewicht in der Branche, und er steht nicht allein da: David Solomon, Chef von Goldman Sachs, bezeichnet das Homeoffice als „Irrweg“. James Gorman, Morgan Stanley, bezweifelt, dass jüngere Arbeitnehmer im Homeoffice genug lernen können.
Im Ausland arbeiten
Die Chefs der großen US-Banken bringen damit ihre Statthalter in Deutschland in Erklärungsnot. Im Wettbewerb um Talente werben hierzulande Privatbanken und sogar Landesbanken mit bis zu 30 Tagen mobilem Arbeiten im europäischen Ausland. New Work ist zum Wettbewerbsfaktor auf einem hart umkämpften Arbeitsmarkt geworden. Wer als attraktiv, modern und fortschrittlich gelten möchte, der muss sich heute mehr einfallen lassen als einen oder zwei wöchentliche Homeoffice-Tage.
Chancen der neuen Welt
Dabei mag stellenweise aus dem Blick geraten, welche Chancen New Work jenseits des Employer Brandings bietet:
Motivation und flexiblere Planung von Arbeitszeit und -ort können die Produktivität steigern.
Beschäftigte, die Arbeit und Privates besser aufeinander abstimmen können, schätzen den Gewinn an Lebensqualität und bleiben länger im Unternehmen.
Flexible Arbeitszeiten und -orte können Kreativität und Innovation fördern.
Mehr Flexibilität der Belegschaft kann sich positiv auf die Flexibilität in der Erfüllung von Kundenwünschen auswirken und zu besseren Dienstleistungen führen.
Von solchen Freiheiten können viele andere Branchen nur träumen. Eine Notärztin kann ebenso wenig Workation auf Mallorca machen wie ein Friseur oder Koch. Doch um diese Vorteile langfristig nutzen zu können, ist zweierlei nötig: Die strukturellen und technischen Voraussetzungen müssen geschaffen werden, und der einzelne Mitarbeiter muss Führung und Zusammenarbeit in der neuen Arbeitswelt neu erlernen.
In der ersten Disziplin stehen die meisten Banken gut da. Das Management hat in den meisten Fällen die operativen Themen priorisiert, die notwendigen technischen Voraussetzungen geschaffen und die rechtlichen Grundlagen gelegt, etwa in Form von Betriebsvereinbarungen zur Zahl der Homeoffice-Tage.
In der zweiten Disziplin sieht es anders aus. Wird New Work top-down delegiert oder lediglich oberflächlich implementiert, konzentriert man sich also auf Tools und Methoden, auf Technik und Bürodesign, so entsteht keine neue Unternehmenskultur. Mensch, Organisation und IT-Umfeld müssen zusammenspielen, um die Vorteile der persönlichen und virtuellen Zusammenarbeit zu nutzen. Die Risiken sind aktuell vielerorts noch kein großes Thema, denn geringe Motivation, schwache Identifikation mit dem Arbeitgeber und ein niedriges Kreativitätsniveau werden erst über Zeit zum Problem für das Unternehmen. Die negativen Effekte werden deshalb erst in Monaten oder Jahren zu Buche schlagen, doch die Zeit zum Gegensteuern ist jetzt.
Manager als Coachs gefragt
Die größte Anforderung stellt New Work an die Führungskräfte. Statt als Kontroll- und Weisungsinstanz sind sie in der neuen Arbeitsumwelt eher als Coach und Moderator gefragt. Sie befähigen Mitarbeiter zur Eigenverantwortung und leben ihnen eine klare Vision vor. Doch eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe kann für eine Managerin, die vor Jahrzehnten sozialisiert wurde, eine Herausforderung darstellen.
Um sich vor Augen zu führen, was alles besser gemacht werden kann, lohnt ein Blick in die Vergangenheit: Open Space und Großraum waren lange vor der Pandemie die große Veränderung am Arbeitsplatz – nach vielen anderen Branchen zogen auch Banken nach. Das Einzelbüro stand einem verstärkt kooperativen Arbeitsstil im Weg und wurde als nicht mehr zeitgemäß angesehen. Im Homeoffice hingegen sitzt der Einzelne wieder genau dort: im Einzelbüro. Videokonferenzen, E-Mail-Verteiler, Chats und virtuelle schwarze Bretter können viel informelle Kommunikation abbilden, aber niemand wird ernsthaft behaupten, dass der Austausch im Homeoffice mit dem Informationsfluss im Büro mithalten kann.
Das Hybridmodell versucht beide Optionen unter einen Hut zu bringen, doch solange der einzelne Bürotag genauso aussieht wie vor ein paar Jahren, bringt es eher Frustration als Mehrwert. Niemand wird einen Arbeitstag im Büro mit eventuell langer Anfahrtszeit und hohem organisatorischem Aufwand begrüßen, wenn er dann im Büro lediglich E-Mails beantwortet, an Videokonferenzen teilnimmt und unter Umständen feststellen muss, dass die Chefin gerade heute ihrerseits vom Homeoffice aus arbeitet. Aufgaben und Abläufe müssen also neu strukturiert werden: Was gehört ins Büro, was ist zu Hause besser aufgehoben? Mitarbeiter nutzen die Zeit zu Hause intuitiv für Projekte, die Ruhe und Konzentration erfordern. Führungskräfte hingegen sind noch nicht immer erfolgreich darin, die Zeit der Präsenz so zu nutzen, dass sie produktiv für das Unternehmen und sinnvoll – letztlich motivierend – für den Arbeitnehmer ausfällt.
Alle Argumente gegen New Work hängen letztlich an dieser Frage: Wie die Zeit im Büro sinnvoll genutzt werden soll und kann. Wie können junge Kollegen eine steile Lernkurve erzielen? Wie werden Unternehmenskultur und Wir-Gefühl vermittelt? Wie können interne Netzwerke gepflegt und aufgebaut werden? Wie können Innovation und Spontaneität gefördert werden? Führungskräfte sind hier in der Verantwortung. Ihre Tätigkeit ist wichtiger geworden. Sie müssen in der hybriden Welt die Voraussetzungen schaffen, um die gleiche Motivation und Inspiration zu generieren wie in der alten Präsenzwelt. Sie müssen dafür ausgebildet werden und die nötige Zeit dafür erhalten. Führung in Zeiten von New Work setzt mehr Zeit und Anstrengung voraus als früher – Führungskräfte müssen dementsprechend bei anderen Aufgaben entlastet werden.
Experimentelle Phase
Was sich auf den ersten Blick aufwendig anhört, sollte in Wirklichkeit keine Mehrkosten verursachen. Einsparungen in Reise- und Übernachtungsbudgets sowie bei Büromieten sollten Zusatzqualifikationen und Coachings problemlos ermöglichen. Erste Schritte in diese Richtung in der Pandemie waren gut und sinnvoll, reichen aber nicht aus. Wir befinden uns weiterhin in einer experimentellen Phase, und die Form der Zusammenarbeit wird sich kontinuierlich weiter verändern. Individuelle Lösungen für unterschiedliche Institute und Teams werden den Ausschlag über den Erfolg geben. Wer auf Altbewährtes setzt, hat in der neuen Arbeitswelt unter Umständen bald das Nachsehen.
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