Nicht nur die Flieger bleiben am Boden
Von Anna Sleegers, FrankfurtNicht jeder in der Finanzbranche hat den Lockdown gebraucht, um zu lernen, den Mute-Knopf zu finden. Vielerorts war es schon vorher möglich, von zu Hause aus zu arbeiten. Etwa um neben der Betreuung des erkälteten Kindes ein bisschen was wegzuschaffen. Oder um ein längeres Wochenende mit der Freundin in Berlin verbringen zu können. Was einst vom Arbeitgeber eher geduldet als gefördert wurde, könnte zumindest für einen Teil der Beschäftigten zum Regelfall werden.Darauf deuten zumindest die Aussagen der beiden größten Finanzkonzerne des Landes hin, die schon bald nach Start des Lockdowns begannen, öffentlich über ihren Bedarf an Büroflächen nachzudenken. So deutete der Chef der Deutschen Bank bereits im April auf einer der ersten virtuellen Hauptversammlungen eines Dax-Konzerns an, dass er die Reduktion teurer Büroflächen in den Metropolen angesichts des gelungenen Umzug ins Homeoffice mittel- bis langfristig für ein Instrument der Kostensteuerung hält. Noch konkreter wurde Allianz-Vorstand Christof Mascher, der wenige Monate später die geschätzten Flächeneinsparungen auf etwa 30 % bezifferte. Nicht selten geben die beiden Marktführer die Richtung an, in die sich die Branche bewegt. Gelingt es ihnen tatsächlich, über eine Verringerung der Büroflächen ihre Kosten zu drücken, setzen sie damit Benchmarks, an denen sich die Wettbewerber orientieren.Die Grundvoraussetzungen sind gegeben, da sowohl die Allianz als auch die Deutsche Bank schon lange vor Corona Betriebsvereinbarungen zum mobilen Arbeiten abgeschlossen hatten. Gleichwohl dürfte es noch eine Weile dauern, bis der tatsächliche Flächenbedarf ermittelt ist und die entsprechenden Raumkonzepte entwickelt worden sind – dann gilt es nur noch, aus den in der Regel mit langen Laufzeiten ausgestatteten Mietverträgen herauszukommen.Doch nicht nur beim Thema Homeoffice hat sich etwas verschoben, auch die Reisetätigkeit in der Finanzbranche dürfte sich nachhaltig verändern. Nicht nur im Investment Banking fragen sich viele, ob es die branchenübliche Vielfliegerei auch in Zukunft noch braucht. Selbst im besonders beratungsintensiven Geschäft mit Fusionen und Übernahmen (Mergers & Acquisitions/M&A) haben sich die Banken in einer enormen Geschwindigkeit an die neuen Bedingungen angepasst.Die im Frühjahr durch Zukunftssorgen, Reiseverbote und Kontaktbeschränkung ausgelöste Schockstarre währte nicht lange. Bereits im dritten Quartal zog die Marktaktivität wieder deutlich an, was die M&A-Experten Tibor Kossa und Christopher Droege von Goldman Sachs nicht nur auf Transaktionsstau nach dem erzwungenen Stillstand und auf teilweise infolge des Nachfrageknicks erhöhten Restrukturierungsbedarf zurückführen, sondern auch darauf, dass es über den Sommer gelungen ist, die technischen und rechtlichen Voraussetzungen für einen virtuellen Transaktionsprozess zu schaffen.Noch im Februar, als sich der Ausbruch der Pandemie in Europa erst schemenhaft am Horizont abzuzeichnen begann, hielten es viele Investmentbanker für völlig ausgeschlossen, dass sich ein M&A-Deal ohne persönlichen Kontakt einfädeln und umsetzen lässt. Wenige Monate später konstatierten Kossa und Droege, dass zwei Drittel der rund 100 Deals, die Goldman Sachs unter pandemiebedingten Restriktionen in Europa begleitet hat, komplett auf virtueller Basis umgesetzt wurden.Obschon aus der Not geboren, handelt es sich aus Sicht der beiden Co-Chefs M&A beim virtuellen Deal keineswegs um eine Übergangserscheinung, sondern um eine Innovation, die Kunden große Vorteile bietet – sogar mit Blick auf die Sicherheit. Demnach ist es einfacher, den virtuellen Prozess effektiv gegen Hackerattacken zu schützen als das auf der Dienstreise geöffnete Laptop der beteiligten Manager vor den neugierigen Blicken Mitreisender.Angesichts der enormen Managementkapazitäten, die jeder M&A-Prozess bei den beteiligten Unternehmen bindet, ist es nach Ansicht der M&A-Experten von Goldman Sachs zudem vorteilhaft, wenn zumindest die Reisezeiten entfallen. Ein Punkt, der nach Einschätzung von Citigroup-Manager Stefan Wintels auch seitens der Banken an Bedeutung gewinnt. Der psychologische Effekt des Coronajahres sei nicht zu unterschätzen: “Nachdem wir alle schon seit Monaten erleben, was alles per Videokonferenz möglich ist, stellt sich jedem Einzelnen die Frage, wann es wirklich notwendig ist, den Aufwand einer Dienstreise auf sich zu nehmen.” Natürlich werde es bei der Citigroup wie im gesamten Dienstleistungssektor wieder mehr Dienstreisen geben, sobald ein Impfstoff in ausreichender Menge zur Verfügung steht. “Aber es werden deutlich weniger sein als vor der Covid-19-Krise”, sagt Wintels. Der Manager, der im Frühjahr in das globale Management der Citigroup aufgestiegen ist, macht kein Hehl daraus, dass ihn die Reiseverbote bislang um etwas gebracht haben, auf das er sich besonders gefreut hatte: den persönlichen Kontakt mit interessanten Menschen rund um den Globus. Nun werde es voraussichtlich sehr lange dauern, bis in der Finanzbranche wieder so viel gereist wird wie 2019. Wintels: “Ob es sich bei einem Rückgang von 25 % oder einem Drittel einpendeln wird, ist schwer vorherzusagen.”Der Zeitfaktor ist Wintels zufolge nur einer von drei Aspekten, die einer Rückkehr zum gewohnten Reiseverhalten entgegenstehen. Aufgrund der wirtschaftlichen Belastungen durch die Pandemie werde auf jeden Fall auch im kommenden Jahr das Kostenmanagement bei den Banken im Vordergrund stehen. “Außerdem rückt zunehmend das ,E` aus den ESG-Kriterien in den Fokus der Banken”, sagt Wintels. Er geht davon aus, dass die Klimafolgen der Reiseaktivitäten künftig schärfer überprüft werden als bisher.Auch die Commerzbank glaubt nicht daran, dass sich beim Thema Dienstreisen die Uhr einfach zurückdrehen lassen wird. Nach Angaben von Albert Reicherzer, der als Bereichsvorstand Group Organisation und Sicherheit das betriebliche Umweltmanagement der Großbank verantwortet, sind die Reisekosten in den ersten drei Quartalen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um mehr als ein Drittel zurückgegangen. Zurückzuführen sei dies vor allem auf weniger Flug-, Unterbringungs- sowie Bahn-Reisekosten. Ein Effekt, der sich in Krisenzeiten nur schwer ignorieren lassen dürfte, zumal auch die zweitgrößte deutsche Privatbank von positiven Erfahrungen mit dem mobilen Arbeiten berichtet.Reicherzer zufolge werden die Beschäftigten der Commerzbank daher auch künftig vermehrt auf digitale Medien statt auf Dienstreisen setzen. Damit könnte es dem Institut auch gelingen, sein Versprechen eines nachhaltigeren Bankbetriebs einzulösen. “Wir erwarten, dass sich unser Carbon Footprint 2020 um rund 10 % gegenüber dem Vorjahr verringern könnte”, sagt Reicherzer. Neben dem Rückgang bei den Dienstreisen, die für rund ein Viertel der CO2-Emissionen verantwortlich sind, werde dazu auch der reduzierte Pendelverkehr der Belegschaft beitragen.