RETAIL BANKING RELOADED - SERIE:RETAIL BANKING RELOADED (11)

Niedrigzinsen fressen halben Gewinn

Sparkassen suchen im Netz neue Kunden - Kosten müssen runter - "Banken sind träge"

Niedrigzinsen fressen halben Gewinn

Anhaltende Niedrigzinsen könnten die Sparkassen die Hälfte ihres heutigen Betriebsgewinns kosten. Trotz dieses drohenden Gewinneinbruchs zeigt sich der Verband dank des breiten Kundengeschäfts “relativ gelassen”.Von Ulli Gericke, Berlin”Wir leiden gleich”, urteilt Michael Kemmer – aber die anderen leiden stärker. Mit ähnlichen Worten, wie sie der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB) benutzt, kommentiert auch der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) die Folgen der inzwischen chronischen Niedrigzinsen. Der Gewinn gehe zwar zurück. Aber wegen des breiten Kundengeschäfts zeigt sich die Verbundorganisation überzeugt, dass Volksbanken und Sparkassen “besser durch die Niedrigzinsphase durchkommen als Häuser mit einem starken Kapitalmarktgeschäft”. Und passend zur Relativität des eigenen Leidens beanspruchen die Sparkassen eine “relative Gelassenheit” für sich – wohingegen sie Kemmer “tendenziell stärker betroffen” sieht als den Durchschnitt der Privatbanken. Willkommen im alten, längst überwunden geglaubten Streit zwischen den Säulen des hiesigen Finanzgewerbes.Dabei ist die Lage angesichts extremer Niedrigzinsen viel zu ernst für solche Spielchen. Aus immer mehr Sparkassenverbänden kommen (Gewinn-)Warnungen. “Ertragsrückgänge werden unausweichlich sein, je länger die (Niedrigzins-)Phase geht”, konstatierte unlängst der baden-württembergische Sparkassen-Präsident Peter Schneider. “Spitzenergebnisse sind nicht mehr drin.” Konkreter und bedrohlicher wird Wolfgang Zender, Geschäftsführer des Ostdeutschen Sparkassenverbandes (OSV). Allein in den nächsten drei Jahren breche das Betriebsergebnis vor Bewertung um 20 bis 30 % ein, weil hoch verzinste Wertpapiere in den umfangreichen Depot-A-Beständen auslaufen. Bislang sind die 46 Sparkassen in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern die Top-Verdiener im öffentlich-rechtlichen Lager. Sagenhafte 2,26 % der durchschnittlichen Bilanzsumme (DBS) kann etwa die in Cottbus beheimatete Sparkasse Spree-Neiße als Betriebsergebnis vor Bewertung zeigen – womit die Lausitzer locker die Zielrendite der Deutschen Bank übertrumpfen.Allerdings sind die Bedingungen im Osten vielfach anders als im Westen. In den industriearmen neuen Bundesländern verbuchen die Sparkassen zwar 85 Mrd. Euro als Einlagen, stellen aber nur 41 Mrd. als Kredite zur Verfügung. Eine dermaßen hohe Passivlastigkeit ist im Westen selten. Dennoch ist die Unwucht bis dato kein Problem. Gesättigt mit hochverzinslichen Wertpapieren aus der guten alten Zeit leben die Ost-Sparkassen von ihrem hohen Depot-A-Volumen durchaus gut – zumal wenig Kredite an die Wirtschaft auch wenig Abschreibungen erzwingen. Summa summarum bescheinigt der neue OSV-Präsident Michael Ermrich seinen Instituten, “betriebswirtschaftlich sehr gut aufgestellt” zu sein, mit der Einschränkung jedoch, dass mit dem Auslaufen der hoch verzinsten Papiere nicht nur der Zinsüberschuss, sondern auch die bislang üblichen hohen Rücklagendotierungen unter Druck geraten.Ermrich und Schneider beschreiben dasselbe Problem, egal ob die Sparkassen in industriearmen oder -starken Gegenden zu Hause sind. Es spiele auch keine große Rolle, ob ein Institut ein großes Kredit- oder ein großes Depot-A-Geschäft habe, relativiert Ulrich Lepsch, Chef der äußerst profitablen Cottbuser Sparkasse. Jede Prolongation, egal ob auf Aktiv- oder Passivseite, erfolge seit Jahren “zu viel, viel niedrigeren Zinssätzen” – wobei die Sparkassen freilich höhere Zinsen auf ihre verlässlichen Einlagen gewähren, als sie Privatbanken zahlen, wenn sie sich am Markt refinanzieren. Soweit hat Kemmer schon recht. Runter und rauf belastetDoch die Unterschiede gehen zurück: “Konditionen für Sparprodukte deutlich über 1 % Zinsen werden auf absehbare Zeit nicht machbar sein”, gibt Schneider die Obergrenze vor. Gleichwohl gerät die Zinsspanne immer mehr unter Druck, die zumindest für die meisten Ost-Sparkassen mit 2 bis 3 % der DBS nach wie vor üppig ist. Eine interne Kalkulation habe ergeben, dass die Niedrigzinsen in den nächsten fünf Jahren die aktuelle Zinsspanne von gut 3 % um 30 bis 40 Basispunkte verringern dürften, versichert Lepsch – “das ist nicht wirklich dramatisch”. Gepaart mit straffem Kostenmanagement und einem stabilen Provisionsergebnis blieben auch zukünftig beneidenswerte 1,7 % der DBS vor Bewertung.Das aber sind einsame Spitzenwerte. Im ostdeutschen Schnitt schnurrt das Betriebsergebnis bei weiter fallenden Zinsen bis 2016 um 20 bis 30 % zusammen, ergaben Modellrechnungen des OSV. Doch selbst ein Ergebnis unter 1 % der DBS “bringt uns nicht in Bedrängnis”, urteilt Zender, würden die Ost-Sparkassen damit doch nur auf ein Niveau abrutschen, auf dem viele West-Sparkassen heute schon sind. Hält der Zinsverfall nach 2016 an, gingen zusätzliche 20 % des Ergebnisses verloren – was für 2020 ein Betriebsergebnis vor Bewertung von 0,5 bis 0,7 % der DBS erwarten ließe, etwa die Hälfte des aktuellen (Ost-)Niveaus.Der Effekt gilt übrigens auch umgekehrt. Für den unwahrscheinlichen Fall, der dennoch in WorstCase-Szenarien durchzurechnen ist, dass die Zinsen quasi über Nacht um 2 Prozentpunkte nach oben schnellen, sähe sich Lepsch mit einem Bewertungsbedarf bei seiner Wertpapieranlage von knapp 2 % der DBS konfrontiert. Da die Lausitzer fast komplett in Bundesanleihen und gesicherte Pfandbriefe investieren, die bis zur Endfälligkeit gehalten werden, stünden dem Bewertungsabschlag stille Reserven und temporäre Steuervorteile gegenüber. Von den Ertragseinbußen würde das Gros mit den Kurswertreserven verrechnet, versichert Lepsch, womit lediglich 20 % in die Gewinn-und-Verlust-Rechnung einflössen – etwa die gleichen 40 Basispunkte, wie auch die Niedrigzinsen belasten. “Immer noch auskömmlich”Immer angenommen, die Vorstände steuern nicht gegen. Bei einem Betriebsergebnis unter 1 % “kommen die Kosten stärker zum Vorschein als heute”, urteilt Kostenkiller Lepsch – nicht ohne anzufügen, dass das Kappen von Aufwandspositionen immer eine “knifflige Geschichte” sei, die nicht von heute auf morgen durchgesetzt werden könne, weil sie Strukturen im Haus verändere. Und wenn dabei die Mitarbeiter nicht mitgenommen würden, drohe ein Einbruch bei der Kundengewinnung. “Banken sind relativ träge.”Das ist das Stichwort für den DSGV. Unter Verweis auf die Entwicklung der Zins- und Provisionsüberschüsse, die, summiert über alle gut 420 Sparkassen hinweg, seit der Jahrtausendwende zwischen gut 26 und 30 Mrd. Euro pendelten, kommt der Verband zu dem beruhigenden Schluss, dass es “seit jeher eine gewisse Schwankungsbreite gibt und die Sparkassen damit klarkommen”. Zwar liege das 2012 in der Gruppe erreichte Vorsteuerergebnis von 4,4 Mrd. Euro deutlich unter dem Vorjahreswert von 4,7 Mrd. Euro. Es sei aber “immer noch auskömmlich” – vor allem, da noch Vorsorgereserven von weiteren 4,3 Mrd. Euro hinzugerechnet werden müssten. Alles in Ordnung also, zumal die Sparkassen aus Berliner Sicht “dank ihrer kaufmännischen Fähigkeiten auch durch ungewöhnliche Zinslandschaften navigieren können”, vertraut der Verband seinen Mitgliedsinstituten. Ertrag aus weltweitem NetzDiese setzen mehr denn je auf ihre breite Präsenz in der Fläche mit engem Kundenkontakt und daraus resultierendem niedrigen Bewertungsbedarf. Zugleich verstärken die Sparkassen ihre Online-Präsenz, erwartet doch DSGV-Präsident Georg Fahrenschon, dass bis zum Jahr 2020 rund 80 % der Ertragspotenziale im Privatkundengeschäft eine Online-Komponente haben. In Dresden startete die dortige Ostsächsische Sparkasse zusammen mit der Wirtschaftsauskunftei Creditreform eine gezielte Kundenakquise, womit die neuntgrößte deutsche Sparkasse ihr (bonitätsgeprüftes) Kreditgeschäft allein in den vergangenen drei Jahren um ein Drittel hochdrehen konnte. “Wir lassen uns nicht so schnell die Butter vom Brot stehlen”, trotzt Institutschef Joachim Hoof der wachsenden Konkurrenz privater Banken.Mit gleichem Engagement fordert der DSGV aber auch Einsparmöglichkeiten. Da die Institute angesichts ihrer breiten Präsenz in der Fläche nicht nennenswert Personal reduzieren könnten, setzt Berlin auf das Kürzen von Sachkosten. Dieser Posten schlug 2012 bundesweit mit satten 6,8 Mrd. Euro ins Kontor – gut anderthalbmal der Vorsteuergewinn -, wobei je ein Drittel der Summe auf Immobilien, IT-Aufwendungen und Sonstiges entfielen. Ziel sei, mit Hilfe der Informationstechnologie Prozesse und Abläufe besser zu harmonisieren und optimieren, um damit die Produktivität zu steigern. Tatsächlich seien damit “ganz erhebliche Produktivitätsfortschritte” zu erzielen, pflichtet Zender bei – gebe es doch bis heute bei 422 Sparkassen 422 unterschiedliche Verfahren und Preise bei einer Kontoeröffnung.—-Zuletzt erschienen:- Banken entdecken Kreditvergabe an Wohnungseigentümer (16. August)- Genossen starten Offensive im Privatkundengeschäft (13. August)