Noch abschließender Erklärungsbedarf beim Single Supervisory Mechanism

Verordnung wird erst in der praktischen Anwendung weiter mit "Leben" gefüllt werden

Noch abschließender Erklärungsbedarf beim Single Supervisory Mechanism

Zum 4. November 2014 wurden der Europäischen Zentralbank (EZB) “besondere Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute” übertragen und damit der sogenannte einheitliche Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism – SSM) geschaffen. Der SSM ist – neben der Errichtung eines einheitlichen europäischen Abwicklungsfonds, eines einheitlichen europäischen Abwicklungsmechanismus und der Überarbeitung der Einlagensicherung – Bestandteil der Bankenunion.Er regelt die Aufgabenverteilung zwischen der Europäischen Zentralbank und den nationalen Aufsichtsbehörden der teilnehmenden Mitgliedstaaten, zum Beispiel der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), im Hinblick auf die Aufsicht über Kreditinstitute. Bedeutende Kreditinstitute werden durch die EZB direkt beaufsichtigt, im Übrigen erfolgt die Aufsicht “indirekt” durch nationale Aufsichtsbehörden. Für Entscheidungen im Zusammenhang mit bestimmten Aufsichtsaufgaben, zum Beispiel der Zulassung von Kreditinstituten, ist die EZB nunmehr ausschließlich zuständig.Die Übertragung von Aufgaben und Befugnissen an die Europäische Zentralbank erfolgt jedoch nicht umfassend. Lediglich besondere, ausdrücklich in der SSM-Verordnung aufgezählte Aufgaben (und zugehörige Befugnisse) werden der EZB übertragen. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um Aufgaben und Befugnisse im Zusammenhang mit den materiellen Vorschriften zur Beaufsichtigung von Kreditinstituten, beispielsweise zur Eigenmittelausstattung oder zur Abberufung von Mitgliedern der Leitungsorgane von Kreditinstituten.So bleibt die BaFin zuständig im Hinblick auf die Erbringung von Wertpapierdienstleistungen (und damit die Mifid-Reform), die Überwachung von Leerverkaufsverboten sowie Marktmissbrauchs- und Transparenzvorschriften. Das gilt auch, wenn es sich bei dem betroffenen Institut gegebenenfalls um ein (ansonsten durch die EZB überwachtes) Kreditinstitut handelt.Im Rahmen der ihr übertragenen Aufgaben ist die Europäische Zentralbank berechtigt, selbst die Befugnisse auszuüben, die das Unionsrecht eigentlich anderen Behörden zuweist. Hiervon wird sie insbesondere im Bereich der direkten Aufsicht Gebrauch machen. Soweit die EZB Befugnisse wahrnimmt, die in einer EU-Richtlinie geregelt sind (zum Beispiel in der Capital Requirements Directive IV – kurz CRD IV), wendet sie jedoch nicht direkt die Richtlinie, sondern vielmehr die jeweils geltenden nationalen Vorschriften zu deren Umsetzung an.Dies gilt auch für EU-Verordnungen, soweit diese Mitgliedstaaten “Wahlrechte” einräumen. Der Vorbehalt erfasst jedoch nur die dem nationalen Gesetzgeber eingeräumten Wahlrechte und Spielräume. Nationalen Behörden vorbehaltene Entscheidungs-/Handlungsspielräume, zum Beispiel im Hinblick auf die Konkretisierung der Verwaltungspraxis und Ermessensausübung, entfalten keine “Bindungswirkung” für die EZB.Die Beachtung nationaler Ausgestaltungsvorbehalte wird die Arbeit der EZB erheblich erschweren und bestehende nationale Besonderheiten fortführen. Der Single Supervisory Mechanism führt daher auch zu keiner (weiteren) materiellen Harmonisierung des Aufsichtsrechts in den teilnehmenden Mitgliedstaaten. So ist die Europäische Zentralbank (ebenso wie die BaFin) beispielsweise verpflichtet, bei der Beaufsichtigung von deutschen Kreditinstituten die Inhalte der neugefassten Solvabilitätsverordnung (SolvV) und der Groß- und Millionenkreditverordnung (GroMiKV) zu beachten. Die sich daraus ergebende Gemengelage wird im Zusammenhang mit der EZB-Aufgabe zur Gewährleistung solider Regelungen der Unternehmensführung, einschließlich Vergütungspolitiken und -praktiken, besonders deutlich.Die CRD IV räumte den nationalen Gesetzgebern bei der Umsetzung der Vorgaben zur variablen Vergütung erhebliche Gestaltungsspielräume ein, von denen der deutsche Gesetzgeber extensiv in § 25a Abs. 5, 6 KWG und der Institutsvergütungsverordnung Gebrauch gemacht hat. Die darauf basierende Verwaltungspraxis der BaFin hat diese durch eine sogenannte Auslegungshilfe konkretisiert. Die EZB ist sowohl an das KWG als auch die Institutsvergütungsverordnung gebunden.Die Auslegungshilfe ist für die EZB hingegen lediglich insoweit verbindlich, als sie die Vorgaben der Institutsvergütungsverordnung (zutreffend und konkretisierend) auslegt und damit rein deklaratorisch (das heißt rechtserklärend) ist. Soweit die Auslegungshilfe darüber hinausgeht, sind ihre Inhalte für die Europäische Zentralbank nicht verbindlich. Die gleiche Problematik stellt sich für alle von der BaFin im Rahmen der EZB-Aufgaben erlassenen Rundschreiben, Merkblätter oder sonstigen Stellungnahmen (wie zum Beispiel die Mindestanforderungen an das Risikomanagement – MaRisk).Ausschließlich für das Kreditwesengesetz (KWG) unternahm der deutsche Gesetzgeber bislang den Versuch, die aus der SSM-Verordnung folgenden (neuen) Zuständigkeiten (deklaratorisch) klarzustellen. So ist – je nach Sachlage – nunmehr entweder die BaFin oder die EZB nach KWG zuständig. Dazu wurde der Begriff der “Aufsichtsbehörde” ins KWG eingeführt. Er ersetzt den Begriff der Bundesanstalt, soweit aus Sicht des deutschen Gesetzgebers eine der besonderen, an die EZB übertragenen Aufgaben/Befugnisse betroffen ist. Die Art der Umsetzung ist technisch unglücklich: Sie begründet in einigen Bereichen überlappende und nur schwer abgrenzbare Zuständigkeiten (zum Beispiel bei Maßnahmen des frühzeitigen Eingreifens und Maßnahmen zur Verbesserung der Eigenmittelausstattung und der Liquidität).Viele Details im Zusammenhang mit dem Single Supervisory Mechanism sind bislang noch nicht abschließend geklärt. Dies gilt vor allem für die praktische Ausgestaltung der Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Aufsichtsbehörden und der EZB. Die SSM-Verordnung wird daher erst in den nächsten Monaten in der praktischen Anwendung weiter mit “Leben” gefüllt werden.——Dr. Bernd Geier, Counsel, Allen & Overy LLP