Nordrhein-Westfalen und die Folgen der Coronakrise
Anfang 2020 standen die Zeichen eigentlich auf wirtschaftliche Erholung. Dies galt auch für Nordrhein-Westfalen (NRW). Doch dann kam alles anders. Rückkehrer aus den Skiregionen und Karnevalsfeiern sorgten gerade in diesem Bundesland für eine rasche Ausbreitung des Coronavirus. Hinzu kam der Agglomerationsraum Ruhrgebiet, in dem Großstädte eng aneinander liegen wie in keinem anderen Bundesland.Aber auch in anderen Bundesländern traten erste Fälle von Corona auf, die sich schnell über die Landesgrenzen hinweg verbreiteten. Der folgende bundesweite Lockdown sollte die Infektionswelle bremsen und tat es auch. Die öffentlichen Einrichtungen und Unternehmen nutzten diese Zeit, um Hygienekonzepte zu entwickeln, Krankenhäuser aufzurüsten und Arbeitsformen einzuführen, die den Kontakt zwischen den Beschäftigten, Kunden und Bürgern allgemein möglichst minimieren. Diese Umstellung verlief epidemiologisch zunächst erfolgreich. Alle Corona-Kennzahlen konnten bis zum Sommer deutlich gesenkt werden. Nach den Ferien hat sich jedoch das Infektionsgeschehen merklich beschleunigt, was in Deutschland erneute Kontaktbeschränkungen sowie die Schließung von Betrieben des Gastgewerbes und Freizeiteinrichtungen zunächst für den November nach sich zog.Die ökonomischen Folgen sind unmittelbar spürbar. Die Industrie in NRW, die im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre fast stagniert hatte, musste heftige Rückgänge hinnehmen. In den Monaten April und Mai sanken die Umsätze um 22 % beziehungsweise 26 % gegenüber den Vorjahresmonaten. Inzwischen ist dieser Tiefpunkt durchschritten, und die Abnahmen liegen “nur noch” zwischen 11 % und 13 %. In der Summe der ersten acht Monate 2020 ist so ein Minus von 12 % zustande gekommen, das geringfügig unter dem Bundeswert von 13 % liegt. Bis zum Jahresende dürfte die Verbesserung anhalten, da die Industrie nicht direkt vom November-Lockdown betroffen ist. Ein Rückgang von etwa 10 % wird aber 2020 unvermeidlich sein. Einzelhandel deutlich im PlusDer Einzelhandel als Ganzes durchläuft die Coronakrise unbeschadet. Dies trifft auch für NRW zu. Der reale Umsatzzuwachs von 2,5 % in den ersten acht Monaten 2020 liegt sogar in der Größenordnung von 2019 (2,8 %) – einem besonders starken Jahr. NRW befindet sich damit sehr nahe am Bundesdurchschnitt. Allerdings verbergen sich hinter der Gesamtbetrachtung sehr unterschiedliche Entwicklungen. Zunächst ist der Versand- und Internet-Einzelhandel zu nennen, der sich gerade während des Lockdown im Frühjahr großer Beliebtheit erfreute. Doch auch danach blieben hier die Zuwachsraten hoch. Der reale Umsatzanstieg belief sich bis August auf fast ein Viertel gegenüber dem Vorjahr.Der stationäre Handel konnte immerhin noch ein Plus von 1,2 % erreichen. Bei den Geschäften vor Ort profitierten Super-, Elektro-, Garten- und Baumärkte, Apotheken, Fahrrad- und Sporthändler sowie Campingausrüster. Ihre Umsätze wuchsen bisher zwischen 6 % und 14 %. Andere Einzelhändler haben dagegen schwer zu kämpfen: Bei Bekleidungs- und Schuhgeschäften betrug der Rückgang fast ein Viertel. Auch die Verkäufer von Büchern und Zeitschriften, Büroartikeln, Schmuck sowie medizinischen und orthopädischen Artikeln lagen umsatzmäßig 3 % bis 7 % unter dem Vorjahresergebnis.Das Gastgewerbe war und ist ein Wirtschaftsbereich, der von der Coronakrise ganz besonders betroffen ist. Nach dem Lockdown im Frühjahr setzte sich durch die strengen Abstands- und Hygieneregeln quasi ein partieller Lockdown fort: Hotels und Gastronomie müssen deutlich unter der wirtschaftlich optimalen Auslastung arbeiten. Im November sind sie sogar wieder für den Publikumsverkehr geschlossen. Insgesamt blieb in NRW das Gastgewerbe in den ersten acht Monaten 2020 um 35 % unter den Vorjahresumsätzen – ein Schicksal, das dem Bundesdurchschnitt entspricht. Angesichts von finanziellen Verpflichtungen für Miete und Kredite sowie der häufig nicht anpassbaren Kosten, sobald ein Betrieb geöffnet ist, bedeutet das Ausbleiben von einem Drittel der Einnahmen einen Existenzkampf, den viele Gastbetriebe nicht gewinnen können. Allein die Campingplätze kamen mit einem 9-prozentigen Minus recht glimpflich davon.An den sechs Flughäfen in NRW, die Teil der amtlichen Monatsstatistik sind, werden 17 % der Passagiere deutscher Airports abgefertigt. Düsseldorf hat einen Anteil von 10 % und Köln/Bonn von rund 5 %, die restlichen 2 % verteilen sich auf Dortmund, Niederrhein, Münster/Osnabrück und Paderborn/Lippstadt. Allen gemeinsam ist, dass sie noch weit von ihrer früheren Betriebsamkeit entfernt sind. Wurde der Luftverkehr von April bis Juni weitgehend eingestellt, lagen die Passagierzahlen im Juli um fast 80 % unter dem Vorjahresmonat. Daran wird sich nicht viel ändern, betrachtet man die Daten vom Frankfurter Flughafen, der schon Flugdaten für August/September veröffentlicht hat, sowie den erneuten Lockdown in vielen europäischen Ländern im November. Frische Luft stärkt BauenDer Bauboom setzte sich trotz Corona fort. Im Gegensatz zu manchen Nachbarstaaten wurden in Deutschland die Baustellen nicht geschlossen. Die Arbeit an der frischen Luft reichte aus, der Ausbreitung des Virus unter den Baubeschäftigten entgegenzuwirken. In NRW stiegen die baugewerblichen Umsätze in den ersten acht Monaten um 10 % und damit genauso kräftig wie im Vorjahr. Die Dynamik war sogar höher als bundesweit (minus 6 %). Die Impulse kamen vor allem aus dem öffentlichen Bau und Straßenbau mit einem Plus von 18 %. Im Wohnungsbau war die Zunahme von 3 % unterdurchschnittlich, ebenso wie im Wirtschaftsbau mit 8 %. Im europäischen Vergleich gutDoch so ganz unbeeindruckt dürfte die Baubranche von der Coronakrise nicht bleiben. Die Auftragseingänge sind inzwischen im gesamtdeutschen Durchschnitt, aber auch in NRW im Minus. Die Ursache liegt im Wirtschaftsbau mit einem Rückgang der Auftragseingänge in den ersten acht Monaten 2020 um 11 %. Hier ist die Unsicherheit vieler Unternehmen angesichts der Folgen der Coronakrise zu spüren. Zum einen bleibt die Frage, wann eine Rückkehr zur Normalität und damit normales Planen zum Beispiel für Fabrikgebäude möglich sein wird. Zum anderen hat der Lockdown gezeigt, wie viele Arbeiten von zu Hause erledigt werden können. Dadurch sind die Perspektiven für Investitionen in Büroimmobilien unklar. Eine gewisse Reduzierung bestehender und geplanter Flächenkapazitäten dürfte aber zu erwarten sein.Insgesamt ist Deutschland bisher gut durch die Coronakrise gekommen. So dürfte das Bruttoinlandsprodukt 2020 mit 5 % nicht ganz so tief einbrechen wie im Euro-Währungsraum mit fast 7 %. Der Aufholprozess ist schon in Gang gekommen. Nach dem lebhaften Wachstum im dritten Quartal wird sich das Schritttempo angesichts des erneuten Lockdown für das Gastgewerbe sowie Kultur- und Freizeiteinrichtungen zum Jahresende hin wieder verlangsamen. Die Rettungspolitik des Staates mit Finanzhilfen für Unternehmen und Kurzarbeitergeld verstetigt aber die grundsätzlich positive Entwicklung. Zudem liefert das deutsche Konjunkturprogramm von rund 130 Mrd. Euro Impulse. Die Frühindikatoren signalisieren deshalb eine Fortsetzung der Erholung. 2021 dürfte das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland um schätzungsweise 5,0 % zunehmen, so dass danach das Vorkrisenniveau erreicht sein dürfte. NRW wächst im neuen JahrWie die Analyse ausgewählter Branchen zeigt, unterscheiden sich die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie in NRW kaum von der gesamtdeutschen Situation. Eventuell könnte der Rückgang 2020 etwas geringer ausfallen als im Durchschnitt der Bundesländer. Dafür sprechen zum einen die etwas besseren Ergebnisse in einzelnen Wirtschaftsbereichen, die für die niedrigere Minusrate des Bruttoinlandsprodukts im ersten Halbjahr von 6,2 % (Deutschland: minus 6,6 %) verantwortlich sein dürften. Zum anderen scheint die Schrumpfung ein ähnliches Ausmaß wie in der Finanzkrise 2009 anzunehmen, als der wirtschaftliche Output in NRW um 5,4 % und in Deutschland um 5,7 % sank.Wie in Deutschland insgesamt dürfte sich auch in NRW 2021 die Wirtschaft weiter erholen – vorausgesetzt, es kommt im neuen Jahr nicht wieder zu wochenlangen Lockdowns und im ersten Halbjahr 2021 wird ein Impfstoff gefunden. Das Wachstum könnte dann bei rund 5 % liegen. Gertrud R. Traud, Bankdirektorin, Chefvolkswirtin und Leitung Research der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) und Barbara Bahadori, Stellvertretende Abteilungsdirektorin, Regionalanalystin der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba)