IN DER SOHLE DES ZINSTALS - KÖPFE DES JAHRES

Oben-ohne-Banker

ski - Die Korrelation zwischen Krawatte und Karriere ist nicht ganz eindeutig. Hans-Bernd Wolberg etwa fiel schon in der Untertertia dadurch auf, dass er als einziger in seiner Klasse ein weißes Hemd und Schlips trug. Das plauderte sein Schulfreund...

Oben-ohne-Banker

ski – Die Korrelation zwischen Krawatte und Karriere ist nicht ganz eindeutig. Hans-Bernd Wolberg etwa fiel schon in der Untertertia dadurch auf, dass er als einziger in seiner Klasse ein weißes Hemd und Schlips trug. Das plauderte sein Schulfreund Johannes Mosters jüngst in einer launigen Gesprächsrunde bei der Verabschiedung des DZ Bank-Vize aus. Wolfgang Kirsch erzählte bei derselben Gelegenheit, im Rheinland wäre man als Schüler mit diesem Outfit ordentlich verprügelt worden. Er ist trotzdem Vorstandschef des genossenschaftlichen Zentralinstituts geworden. Geschadet hat aber auch dem Westfalen Wolberg sein frühes Bekenntnis zum Kulturstrick beim beruflichen Aufstieg immerhin nicht.Wollte man sich nach der Website “www.Krawatten-Binden.net” richten, die indes nicht völlig neutral und auch nicht ganz up to date zu sein scheint, ginge “oben ohne” in der Finanzwelt gar nicht. Unter Hinweis auf Lockerungsübungen in anderen Branchen heißt es dort, bei den Banken gehe es vor allem um Vertrauen und Seriosität. Und Inbegriff von Seriosität sei, na klar, die Krawatte. Sie gehöre “zum unumstößlichen Dresscode in der gesamten Branche und muss von jedem männlichen Mitarbeiter getragen werden”. Werde mit dem Binder doch “ein gewisser Anstand verbunden”, der ohne verloren gehe. Denn mit gelockerten Pflichten lockerten sich auch gern die Sitten.Wenn wir uns recht erinnern, waren es freilich zumeist Krawattenträger, die uns vor zehn Jahren mit ihrem mindestens gegen Sitte und Anstand, wenn nicht zuweilen auch gegen Gesetze verstoßenden Verhalten die Finanzkrise eingebrockt haben. Das führte ja mitunter zu der bizarren Situation, dass Banken ihren Angestellten nahelegten, ihrer Arbeit vorerst in legerer Kleidung nachzugehen, um nicht als Banker erkannt und dann Opfer des Volkszorns zu werden.Wenn Banker und Sparkässler heute immer öfter die Krawatte im Schrank lassen und damit dem Beispiel der Internet-Community folgen, an dem sich längst sogar die Industrieprominenz wie Joe Kaeser (Siemens) oder Dieter Zetsche (Daimler) orientiert, hat das zum Glück andere Motive. Die Begründung, die Bosch-Boss Volkmar Denner vor zwei Jahren im Interview der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” für die Abschaffung des Krawattenzwangs in seinem Unternehmen gab, kann man auch auf die Banker übertragen: “Weil ich weiß, dass zum Beispiel in der Start-up-Szene Schlipsträger als rückständig gelten.” Denner wollte auch bei Bosch eine Start-up-Kultur etablieren, und das Hemd ohne Krawatte sei nun mal ein wichtiges Signal für diese andere Kultur.Die Finanzbranche ist auf diesen Zug aufgesprungen. Der Zeitgeist sei irgendwie so, dass man das mal ausprobieren müsse, meint Harald Vogelsang, der Chef der Hamburger Sparkasse. Also lässt die Kleiderordnung nun “Business Casual” zu, und die allermeisten männlichen Mitarbeiter nehmen sich die Freiheit und kommen “oben ohne” zum Dienst. Die Reaktionen der Kunden seien “überwältigend positiv” ausgefallen, so Vogelsang, der die neue Lockerheit “großartig” findet und das Statussymbol konsequenterweise auch selbst ablegt – wenigstens gelegentlich.Der “Kulturverfall” geht so weit, dass der Vorstand der ING-DiBa komplett krawattenlos zur jüngsten Bilanzpressekonferenz erschien. Noch mögen solche Auftritte nicht überall an der Tagesordnung sein, es sei denn, es geht um einen Fototermin bei einem Hackathon. Aber je mehr herkömmliche Banken zu Digitalfabriken mutieren, desto mehr lösen sie sich vom tradierten Dresscode und machen auf lässig. Das Accessoire am Hals passt ja auch nicht wirklich zur Kultur einer hippen Technologiefirma, die immer mehr Banken sein wollen.