Old Economy und Start-ups - Interesse ist geweckt
Wenn Start-ups und etablierte Unternehmen aufeinandertreffen, dann ist das ungefähr so, wie wenn der fünfzigjährige Vorstand den sechzehnjährigen Nachbarsjungen, der heftig mit dessen Tochter flirtet, zu einer Dinnerparty einlädt. Es existiert ein gewisses Interesse füreinander, man spricht die gleiche Sprache, versteht sich jedoch nicht. Letztlich aber herrscht völliges Unverständnis. Dennoch, so wie ein Heranwachsender noch seine Eltern braucht, brauchen Start-ups den Zugang zu und die Unterstützung von etablierten Unternehmen.Regelmäßig sind Konzerne und Mittelständler Kunden von Start-ups, wenn diese – wie die meisten – einen B2B-Fokus haben. Allein der Verkauf eines tatsächlich passenden und benötigten Produkts stellt junge Unternehmen oft vor unüberwindliche Hürden: Wer ist der richtige Ansprechpartner, wer entscheidet und wie läuft der Entscheidungsprozess, wann kann eine Entscheidung gefällt, wann das Produkt geliefert werden, wer bestätigt die korrekte vereinbarte Lieferung und schlussendlich, wann wird bezahlt? Zahlungsfristen von 180 Tagen und mehr stellen junge Unternehmen regelmäßig vor kaum zu überwindende Cash- und Planungsprobleme.Etablierte Unternehmen sind nicht nur Kunden, sondern regelmäßig auch Kooperationspartner. Sehr wertvoll, wenn auch oftmals schwierig umzusetzen kann beispielsweise eine Vertriebskooperation sein. Es liegt auf der Hand: Warum nicht die eingespielten und gut funktionierenden Vertriebskanäle des etablierten Unternehmens nutzen, anstatt selber eine weltweite Vertriebsorganisation aufzubauen? Ähnlich wie bei anderen Kooperationen liegt der Teufel im Detail: Wie wird die Vertriebsmannschaft für den Vertrieb der Fremdprodukte incentiviert, welche Daten müssen in die diversen IT-Systeme übernommen werden, welche Haftungsfragen ergeben sich aus dem Vertrieb der vielleicht noch unreifen Produkte des jungen Unternehmens?Neben der operativen Ebene kann es die gesellschaftsrechtliche Ebene der Zusammenarbeit geben. Start-ups benötigen, um ihre Anlaufverluste zu decken, eine externe Finanzierung. Zunehmend bieten sich etablierte Unternehmen als Corporate-Venture-Investoren dafür an. Man gibt dem jungen Unternehmen Geld und wird dafür Mitgesellschafter. Das kann vor allem dann funktionieren, wenn das etablierte Unternehmen nicht nur Investor ist, sondern darüber hinaus einen positiven inhaltlichen Beitrag leisten kann und das junge Unternehmen wiederum bereit ist, einen solchen Beitrag anzunehmen. Warum etwas ändern?Ähnlich wie die gut gemeinten Ratschläge des bereits erwähnten Vorstands für den Nachbarsjungen lässt sich leicht vorstellen, dass genau das Gegenteil erreicht wird: Der Ratschlag wird nicht verstanden, und der junge Mann macht, was er und seine Angebetete für richtig halten: Statt für eine Prüfung zu lernen wird lieber “Party gemacht”.Dennoch, die Konzerne und der Mittelstand brauchen den Zugang und das Verständnis für Start-ups: Insbesondere radikal neue Innovationen, neue Technologien, neue Geschäftsmodelle, das Infragestellen lang akzeptierter Regeln, all das können junge Unternehmen viel besser und spielerischer als die alte Industrie. Doch der bisherige Erfolg gibt einem vermeintlich Recht – warum sollte etwas geändert werden? The trend is your friend, das heißt: So weitermachen wie bisher ist die erfolgsversprechendste Strategie. Es sei denn, eine Trendwende steht an. Eher selten, aber wenn, dann wird der Erfolgspfad zur Sackgasse, wenn man ihn weitergeht. Umfangreiches AngebotNach dem Platzen der 2000er Bubble traute sich keiner mehr, Start-ups, insbesondere Technologiegründungen, zu finanzieren. Zu groß sah man die damit verbundenen Risiken. Heute ist das Finanzierungsangebot für technologiebasierte Start-ups umfangreich.Initiiert durch vielleicht den High-Tech Gründerfonds, der seit 2005 440 High-Tech-Gründungen finanziert hat, die Samwer Brüder, die mit Rocket nicht nur viele große Unternehmen geschaffen haben, sondern auch eine Ausbildungsschmiede für mutige Unternehmer etabliert haben, und zahllose Unternehmer, die es geschafft haben, durch ihre Erfolge nicht nur Vorbilder für andere zu werden, sondern auch als ganz frühe Angel-Investoren vielfach den Grundstein für weitere Erfolge gelegt haben. Flankiert wird dies durch mittlerweile sehr clevere Förder- und Finanzierungsprogramme auf Bundes- und Länderebene.Ähnlich wie Baden-Württemberg sieht sich Nordrhein-Westfalen (NRW) als führendes Bundesland – ist es aber nicht. Nach dem Krieg – Keimzelle des Wirtschaftswunders – lange Nettozahler beim Länderfinanzausgleich, hat der Strukturwandel kaum zum Entstehen einer leistungsfähigen Start-up-Bewegung in NRW geführt. Zweifellos liegen Berlin und Bayern vorn. Berlin ist cool, international, schon immer alternativ gewesen, gegen das Establishment. Und die jahrzehntelange Insellage hat zur Abwanderung der etablierten Industrie geführt. Top-Talente, die in Berlin bleiben wollten, hatten kaum die Möglichkeit einer Konzernkarriere.Die bayerische Politik hat Mitte der Neunziger sehr clever einen Teil der Privatisierungserlöse in den Aufbau eines Ecosystems für Gründer gesteckt. Noch bis vor wenigen Jahren fanden sich fast alle Venture-Capital-Investoren mit einer Niederlassung in der bayerischen Landeshauptstadt. Junge Talente ermutigenNRW verfügt jedoch über viele Voraussetzungen, auch bei Neugründungen vorn mitzuspielen. Zuerst: Talente. Als bevölkerungsreichstes Bundesland sagt uns schon die Statistik, dass es auch die meisten Talente gibt. Die vielfältige und in vielen Disziplinen führende Hochschullandschaft bietet die Chance, aus den Talenten echte Gründerprofis zu entwickeln. Unterschiedlichste technische Ausbildungsmöglichkeiten an Universitäten und Hochschulen bis hin zu E-Business und Medien bieten den richtigen Mix und die richtige Breite, um junge Talente zu befähigen und zu ermutigen, ihre Ideen als Unternehmer umzusetzen.Es gibt altes und neues Geld, öffentliches und privates, um dies zu finanzieren. Die lokale Politik hat passenden Unterstützungsbedarf erkannt und engagiert sich auf unterschiedlichste Weise. Neben der Förderung lokaler Investoren gibt es zahlreiche Förderprogramme und Initiativen, wie zuletzt die Errichtung von sechs digitalen Hubs.Der entscheidende Unterschied, eine Stärke und Schwäche zugleich, ist die Industrie in NRW. Telekommunikation, Medien, Chemie, Energie, Versicherung, Logistik – all diese Branchen haben ihre Schwerpunkte hier. Zahlreiche Verlage, Handelsunternehmen, aber auch produzierende Unternehmen und Banken sind in NRW maßgeblich vertreten. Diese Branchen verfügen über Kapital und durch Innovationen getriebenen Handlungsdruck – eine perfekte Mischung für eine Zusammenarbeit mit jungen Gründungen. Wenn es gelingt, die beiden Welten zusammenzubringen, ein Verständnis füreinander zu entwickeln und für beide Seiten nutzbringende Partnerschaften zu entwickeln, dann sind die etablierten, sehr stark dem Wandel unterworfenen Industrien in Nordrhein-Westfalen nicht mehr eine Verbindlichkeit, sondern der entscheidende Erfolgsfaktor für eine erfolgreiche Start-up-Kultur in NRW. Vielversprechende AnsätzeErste, sehr vielversprechende Ansätze gibt es schon. Zahlreiche Corporate-Venture-Einheiten sind in den letzten Jahren entstanden, viele Chief-Digital-Officer-Stellen sind ausgeschrieben und neben Großkonzernen widmet sich zunehmend der Mittelstand jungen Unternehmen. Branchenunabhängig hat die “Digitalisierung” nicht nur die Unternehmen, sondern auch die entscheidenden Köpfe erfasst. Man fängt an zu verstehen, dass Digitalunternehmen durch die Erfassung und Kommerzialisierung von Daten sehr viele Geschäftsmodelle von Grund auf verändern können und in vielen Fällen werden. In wenigen Jahren werden einst sicher geglaubte Unternehmen nicht mehr existieren, ganze Branchen werden sich von Grund auf verändern.Das gegenseitige Interesse ist geweckt. Nun kommt es darauf an, ein echtes Verständnis füreinander als Grundlage für werthaltige Kooperationen zwischen jungen Unternehmen und der Old Economy zu entwickeln. Das ist die Chance, die sich in Nordrhein-Westfalen in besonderer Weise bietet.—Alexander von Frankenberg Geschäftsführer der High-Tech Gründerfonds Management GmbH