GASTBEITRAG

Open-Banking-Plattform schlägt Vollfusion

Börsen-Zeitung, 9.3.2019 Die Diskussionen über die Zukunft der deutschen Großbanken reißen nicht ab. Immer wieder wird auch von politischer Seite eine Fusion von Deutscher Bank und Commerzbank als einzige Lösung ins Spiel gebracht, mit der man einen...

Open-Banking-Plattform schlägt Vollfusion

Die Diskussionen über die Zukunft der deutschen Großbanken reißen nicht ab. Immer wieder wird auch von politischer Seite eine Fusion von Deutscher Bank und Commerzbank als einzige Lösung ins Spiel gebracht, mit der man einen nationalen Champion schaffen und die ansonsten drohende Übernahme der beiden Institute durch ausländische Wettbewerber oder auch Finanzinvestoren verhindern könne. Daran haben auch die zuletzt deutlich verbesserten Ergebnisse beider Häuser nichts geändert. Aber wäre eine Fusion tatsächlich sinnvoll in einer Welt, in der sich die Geschäftsmodelle und die Wertschöpfungsketten im Banking radikal verändern?Wir sind davon überzeugt, dass sich das Bankgeschäft zunehmend zu einem datengetriebenen Plattformgeschäft entwickeln wird und sich demzufolge die Frage stellt, welche Kernfähigkeiten künftig eine Bank ausmachen werden und welche Aktivitäten von einer institutsübergreifenden Plattform bereit gestellt werden sollten. Gemeinsame GesellschaftDie Grundidee unseres Vorschlags besteht darin, eine gemeinsame Infrastrukturgesellschaft (“Open Banking Plattform Germany”) zu schaffen, in die die beteiligten Banken nicht nur ihre IT, sondern auch wesentliche Teile der Transaktions- und Kreditabwicklung ausgliedern. Der Wettbewerb unter den Banken vollzieht sich dann auf der Ebene der Produkte und Dienstleistungen, die unter Nutzung eben dieser gemeinsamen Daten- und IT-Plattform entwickelt und produziert werden.Wie das auf eine Datenplattform basierende Modell funktionieren könnte, machen heute schon Internetgiganten wie Amazon und Google vor. Deren hohen Kapitalrenditen basieren vereinfacht gesagt auf einer intelligenten Nutzung ihrer stets wachsenden Datenpools verbunden mit einer optimalen Auslastung ihrer Infrastruktur (IT, Logistik) durch möglichst hohe Transaktionsvolumina. Dadurch entstehen Größenvorteile, die weitere Nutzer anziehen, so dass sich selbst verstärkende Plattformeffekte entstehen können.Ähnliche Effekte werden wir in weiten Teilen des Bankgeschäfts der Zukunft sehen. Denn die intelligente Sammlung, Verknüpfung, Analyse und Auswertung von Daten wird die Grundlage für kundenspezifische Bankprodukte und Dienstleistungen sein, bis hin zur personalisierten Preisgestaltung.Im Folgenden werden wir 1) den Gedanken einer gemeinsamen Banking-Plattform näher darstellen, 2) diese anhand des Beispiels Deutsche Bank/Commerzbank erläutern und schließlich 3) die Vorteile aus Sicht einer modernen Bankenaufsicht darlegen, die ihre Arbeit in Echtzeit ausführen kann. Ausgangspunkt PSD21) Eine zentrale Rolle spielt der technologisch und wettbewerbspolitisch gewollte Trend zum “Open Banking”, durch den Banken veranlasst werden, über entsprechende Schnittstellen (API, Application Programming Interface) Dritten Zugang zu Kunden- und Transaktionsdaten zu gewähren. Umgekehrt können Banken über APIs Drittanbieter in ihr Produktangebot (“Frontend”) integrieren und ihren Kunden zusätzliche Dienstleistungen anbieten. Mit PSD2 (Payment Services Directive 2) ist die zweite, erweiterte Richtlinie über Zahlungsdienste der EU seit Januar 2018 in Kraft, die genau diese regulatorischen Voraussetzungen für Open Banking geschaffen hat.Die Etablierung einer gemeinsamen Banking-Plattform kann durch die gemeinsame Entwicklung und Betrieb einer modernen, modularisierten und agilen IT-Infrastruktur einschließlich der wichtigsten Abwicklungsprozesse erfolgen; dadurch lassen sich Mehrfachinvestitionen vermeiden und Kostenvorteile erzielen. Die Datenhoheit könnte in einem ersten Schritt bei den beteiligten Banken bleiben. In einem zweiten Schritt könnte man die gemeinsame Plattform ausbauen, indem diese regulatorische, finanzbezogene und kundenspezifische Daten der beteiligten Institute sammelt, aufbereitet und den beteiligten Partnern mit unterschiedlichen Zugangs- und Nutzungsrechten zur Verfügung stellt.Die Zugangsregeln zu einem gemeinsamen Datenpool können beliebig fein austariert werden: Z.B. könnte jeder Lieferant von Daten seine eigenen Informationen vollständig einsehen, während die Daten aller anderen Teilnehmer nur in anonymisierter Form einsehbar und nutzbar sind. Zu beachten sind die hohen Anlaufkosten einer solchen Plattform, da für einen Übergangszeitraum die alten Systeme weiter betrieben werden müssen. Eine solche gemeinsame Plattform-Gesellschaft würde ihre jeweiligen Dienstleistungen kostendeckend bereitstellen und Innovationspartner der beteiligten Banken sein, beispielsweise beim Thema Blockchain. Denkbar ist auch die Existenz mehrerer, konkurrierender Banking-Plattformen, etwa nach dem Muster des Dreisäulenmodells im deutschen Bankenmarkt. Das Beispiel der Großbanken2) Was bedeuten diese Überlegungen nun für die deutsche Bankenlandschaft, insbesondere mit Blick auf die Gedankenspiele einer Fusion von Deutscher Bank und Commerzbank?Unter Branchenkennern besteht Einigkeit, dass eine solche Voll-Fusion kaum Vorteile, aber viele Nachteile mit sich bringen würde. Zu groß sind die Überlappungen im deutschen Firmen- und Privatkundengeschäft, zu unterschiedlich die Markenkerne und Unternehmenskulturen. Zwar kann man durch eine Fusion durchaus Kosten sparen, vor allem in den Zentralfunktionen, in der Abwicklung sowie im Filialbereich, jedoch werden gerade bei großen Fusionen die möglichen Kosteneinsparungen vielfach überschätzt und die Integrationskosten (vor allem bei der IT) unterschätzt. Hinzu kommt, dass man bei einem Zusammenschluss von Commerzbank und Deutscher Bank auch mit Ertragseinbußen rechnen müsste, weil Firmenkunden einen Teil ihres Geschäftes auf andere Banken verlagern würden, um eine zu große Abhängigkeit von einem Institut zu vermeiden.Ähnliches gilt für das Privatkundengeschäft. Für Kunden, die sich einmal bewusst gegen eine der beiden Banken entschieden haben und dann zu der jeweils anderen Bank gegangen sind, könnte eine Fusion abschreckend wirken. Am Ende einer mehrjährigen Integrationsphase dürfte eine Marke verschwinden (vermutlich die der Commerzbank) und ein Institut entstanden sein, das vielleicht marginal größer, aber keineswegs wettbewerbsfähiger im globalen Kontext wäre als die beiden Banken heute sind. Das zeigt sehr deutlich die Übernahme der Dresdner Bank durch die Commerzbank, die bis heute nicht vollständig verkraftet ist und auch keine erkennbare Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit erbracht hat.Denn trotz vielfältiger Anstrengungen und erheblichen Personalabbaus verharren beide Häuser hinsichtlich Profitabilität und Börsenbewertung in der zweiten Liga, mit weitem Abstand selbst zu europäischen Konkurrenten, von den US-Banken ganz zu schweigen. Beide deutsche Großbanken kämpfen mit veralteten IT-Infrastrukturen, die den modernen Anforderungen modularer, agiler und offener Banksysteme nur schwer gerecht werden können. Hinzu kommt, dass das anhaltende Niedrigzinsumfeld, hohe regulatorische Kosten sowie der zunehmende Wettbewerb durch junge Technologieunternehmen und Internetgiganten die Profitabilität weiter belasten. Eine strategische Lösung für die beiden Großbanken muss also den sich verändernden Markt- und Wettbewerbsbedingungen Rechnung tragen und gleichzeitig für wettbewerbsfähige Kostenstrukturen sorgen.Für die Thematik Deutsche Bank/Commerzbank könnte daher die “Teilfusion” eine Lösung sein, bei der eine gemeinsame Open-Banking-IT-Plattform etabliert wird. Hierdurch werden Mehrfachinvestitionen vermieden und Größenvorteile einer gemeinsamen Infrastruktur genutzt. Diese könnte nicht nur die IT-Funktionen im engeren Sinne, sondern auch die wesentlichen Back-Office-Funktionen etwa in der Abwicklung von Krediten und Wertpapiertransaktionen sowie das regulatorische und finanzielle Reporting umfassen. In einer solchen Konstellation würde der Wettbewerb zwischen den unverändert unabhängigen Instituten auf den Endkundenmärkten, sei es im Privat-, Firmen- oder Kapitalmarktgeschäft, erhalten bleiben, und gleichzeitig könnten die Fixkosten durch eine gemeinsame Basisinfrastruktur reduziert werden. Eine solche Plattform könnte perspektivisch auch für andere Institute in Deutschland und Europa offen sein. Erleichterung für Aufseher3) Auch aus Sicht der Bankenaufsicht könnte der Gedanke einer oder mehrerer Open-Banking-Plattformen vorteilhaft sein. Die zentrale, standardisierte Datensammlung auf der Ebene ganzer Institutsgruppen, perspektivisch des gesamten Bankensystems, kann eine erhebliche Arbeitserleichterung sowohl für die Aufsicht wie für die beteiligten Institute bedeuten. Zudem wäre eine Bankenaufsicht in Echtzeit verbunden mit einem Frühwarnsystem in greifbarer Nähe, da die Aufsicht flexibel auf regulatorische und sonstige aufsichtsrechtlich relevante Daten über entsprechende Schnittstellen zugreifen könnte. Schließlich würde eine Open-Banking-Plattform die individuelle Abwicklungsfähigkeit einzelner Institute erleichtern, weil die Abwicklung oder Übertragung von Transaktionen auf andere Anbieter sehr viel einfacher würde. Diskussion nutzenZusammenfassend schlagen wir vor, die derzeitige Diskussion um industriepolitische Weichenstellungen im deutschen Bankensektor zu nutzen für die Wegbereitung einer Open-Banking-Plattform. Diese fungiert als institutsübergreifende Infrastrukturgesellschaft, in der die beteiligten Banken eine gemeinsame Daten- und IT-Plattform entwickeln (unter Wahrung der Datenschutzbestimmungen). Wesentliche Teile der Geschäftsabwicklung würden die Institute zusammenlegen und über die Open-Banking-Plattform abwickeln. Im Übrigen bleiben die Institute rechtlich selbständig und untereinander im Wettbewerb. Dieser vollzieht sich auf der Ebene der Produkte und Dienstleistungen, die unter Nutzung eben dieser gemeinsamen Daten- und IT-Plattform entwickelt und produziert werden.Eine derartige Bankenarchitektur wäre eine Alternative zu einer mit hohen Risiken behafteten Fusion von Großbanken, wie etwa von Deutscher Bank und Commerzbank. Sie trägt der strategischen Bedeutung von Daten im Bankgeschäft der Zukunft Rechnung und sie schafft die Voraussetzungen, um im Wettbewerb mit den Internetkonzernen auch in Zukunft bestehen zu können.Volker Brühl, Professor für Banking and Finance an der Hochschule für Oekonomie und Management, Frankfurt und Jan Pieter Krahnen, Professor für Kreditwirtschaft und Finanzierung an der Goethe-Universität Frankfurt