Openbazaar baut den dezentralen Handelsplatz

Gegenmodell zu gebührenfixierten Marktplätzen - Kryptowährungen als internes Payment-System - Deutscher Venture-Capital-Fonds Blue Yard ist investiert

Openbazaar baut den dezentralen Handelsplatz

Der Aufbau von dezentralen Strukturen im digitalen Wirtschaftsbetrieb nimmt Formen an. Die Betreiber solcher Plattformen wollen die zentrale Profit- und Datenabschöpfung zulasten der Nutzer abschaffen. Solche neuartigen P2P-Märkte verändern die Wertschöpfungskette, so dass im Prozess kostspielige Mittelsmänner eliminiert werden. Mit Openbazaar tritt nun ein Herausforderer an, der einen globalen Marktplatz für den Handel von digitalen und physischen Gütern schafft.Von Björn Godenrath, FrankfurtDie Scheinheiligkeiten der Silicon-Valley-Legenden hängen den Nutzern schon lange zum Halse heraus. In bunten Buchstaben wird gerne Fairness und der bestmögliche Deal für das Online-Publikum beschworen, die Realität sieht aber leider so aus, dass an allen möglichen virtuellen Mautstellen abkassiert wird und Daten abgesaugt werden für die weitere kommerzielle Verwendung. Die “schöne neue Welt” füllt Google, Facebook und AirBnB die Taschen, während dem Internetnutzer nur Frust über die Ausbeutung durch die als zentrale Schnittstelle fungierenden Plattformen bleibt.Diese turbokapitalistischen Auswüchse werden in der mit Open Source aufgewachsenen jüngeren Entwicklerszene der Technologiebranche mit Argwohn beäugt. Sie fühlen sich dem freien Internet verpflichtet, welches damals mit dem Browser Netscape als die Welt verbindendes Medium entstand. Um zu dieser Vorstellung von Freiheit und Zusammenarbeit zurückzukehren, werden nun rund um Blockchain und Peer-to-Peer-(P2P)-Systeme Konzepte mit dezentraler Struktur aufgebaut, die direkten Handel/Interaktion ohne kontrollierende/abkassierende Mittelsmänner erlaubt. Wilder FlohmarktWährend im Finanzmarkt Blockchain-Infrastruktur für direktes Settlement bereits für Aufsehen sorgt, da sie die Vorteile des dezentralen Designs illustriert, machen sich nun auch solche Konzepte im E-Commerce breit. Im November 2017 ist mitOpenbazaar ein Projekt live gegangen, dessen eigener Anspruch es ist, einen dezentralen Marktplatz als Alternative zu Ebay und Amazon zu schaffen. Dabei muten die Anfänge zwar wie ein wilder Flohmarkt aus dem Darknet an, aber das Konzept hat grundsätzlich das Potenzial, eine gigantische Skalierung als P2P-Handelsplatz zu erfahren.Denn der Handel kommt ausschließlich über eine P2P-Verbindung zustande. Dafür kann man sich die von Openbazaar entwickelte Software herunterladen, als Händler seine Angebote einstellen oder als Käufer direkt bestehende Angebote bestellen. Der eigene Shop ist mit Akzeptanz der Nutzungsbedingungen schnell funktionsfähig. Im Vergleich zu ersten Versionen hat Openbazaar 2.0 nun eine nutzerfreundliche Bedienung (Frontend) mit Suchmaschine und Filtern, die eine Nutzung auch durchschnittlich begabten Nutzern erlaubt. Noch tummeln sich dort vor allem Techies und Anhänger von Kryptowährungen, die einen natürlichen Hang zur Unterstützung von dezentralen Geschäftsmodellen haben. Denn abgewickelt werden kann eine Transaktion nur über eine integrierte Bitcoin-Wallet oder über den Dienst “Shapeshift” auch mit anderen Kryptowährungen. Anreize schaffenDas Gute daran: In dieser Konstellation fallen keine Händlergebühren an, was natürlich ein ordentlicher Anreiz ist, um das Henne-Ei-Problem beim Aufbau von Marktplätzen zu lösen. Denn nur wenn ein Angebot an Waren und Dienstleistungen vorhanden ist, das sich barrierefrei nutzen lässt und damit kompetitiv ist, besteht für private und gewerbliche Käufer ein Anreiz, dieses zu frequentieren. Das Marketing dafür entsteht viral, findet also Verbreitung über soziale Medien – ein Umstand, den zum Beispiel im B2C-Geschäft tätige Fintechs clever nutzen, um ihre Kosten pro Neukunde zu begrenzen.Elementar für die Nutzbarkeit von Openbazaar ist, dass die Shops mit der neuen Version jetzt auch zugänglich sind, wenn der Anbieter offline ist. Was sich banal anhört, bedarf eines Kniffs, der aus dem Umfeld der illegalen Downloads stammt. Analog zum Bittorrent-Netz werden Daten von Offline-Shops von anderen Nutzern/Shops, mit denen sie interagiert haben, gespiegelt und sind damit verteilt im Netz verfügbar, was über das sogenannte “Interplanetary File System” bewerkstelligt wird – ein System zum verteilten Datenmanagement, das als Grundlage für ein dezentralisiertes World Wide Web dienen könnte.Die Anlehnung an Torrent-Dienste zeigt, aus welchem Umfeld Openbazaar entstanden ist. Im Frühjahr 2014 wurde ein erster Prototyp namens “Darkmarket” geschaffen, der ein vor behördlichem Zugriff geschütztes Nachfolgesystem zum legendären Drogenhandelsplatz “Silk Road” schaffen wollte, aber als dezentralen Marktplatz geschützt vor äußerem Zugriff. Ein Dreiergespann um den US-Entwickler Brian Hoffman griff die Idee dann auf, zielte aber nicht auf den Handel illegaler Waren, sondern lässt das Programm als neutrales Element frei verteilen und die Nutzer dann über die Verwendung entscheiden.Rückendeckung für dieses Geschäftsmodell erhielt Hoffman dann vom renommierten Venture-Capital-Investor Andreessen Horowitz, der Ende 2015 1 Mill. Dollar bereitstellte – das ist kleines Geld für ein Geschäftsmodell, das eine globale Stoßrichtung hat. Ein Jahr später führte dann der Berliner Venture-Capital-Fonds Blue Yard Capital eine Runde über 3 Mill. Dollar an. Keine Darknet-DrehscheibeDabei bringen die Investoren ihre Reputation ein – und kalkulieren sicher so, dass Openbazaar keine Darknet-Drehscheibe wird, die illegale Aktivitäten fördert. Die Rechnung scheint aufzugehen: Bislang fallen nur 5 % der Produkte in die Kategorie “not safe for work”, also nur auf dem Schwarzmarkt erhältliche Medikamente/Rauschmittel. Allerdings ist neuerdings auch der Zugang über den Anonymisierungs-Browser Tor möglich, der Openbazaar in eine Darknet-Plattform verwandeln könnte. Hoffman gab im Dezember an, bislang würden nur 2 % der 6 000 Netzwerk-Schnittstellen (Nodes) der Shops über Tor angesteuert – mittlerweile sind es mehr als 25 000. Er geht davon aus, dass im dezentralen Marktplatz OB1 als Bereitsteller der P2P-Software nicht haftbar gemacht werden kann, die Anbieter illegaler Waren das Risiko selbst tragen – und sie grundsätzlich greifbar sind für Ermittler, solange sie online sind.Was auch immer die Motive für eine Nutzung von Openbazaar sind, als Bonus der dezentralen Architektur gilt, dass Nutzer- und Transaktionsdaten nicht bei Internetkonzernen und Zahlungsdienstleistern landen. P2P-Dienste können aber nicht im luftleeren Raum agieren und müssen zumindest eine Aufzeichnung von Transaktionen ermöglichen, um Geldwäsche vorzubeugen; da verstehen die Aufseher keinen Spaß, sofern sie der Strukturen habhaft werden können – wobei der Ansatzpunkt dafür vorgeschaltet bei den Kryptobörsen liegt, die den Tausch von Notenbank-gestützter Währung in Krypto ermöglichen. Dieses Stufe der Regulierung läuft ja gerade auf globaler Ebene an. Das Hacking-Risiko bei der Nutzung von Kryptowährungen lässt sich bekanntermaßen ausschalten, indem die Coins/Konten in “cold storage” gehen, sprich offline gesichert sind. Dafür brauchen Openbazaar-Nutzer dann ein Tool, das es wohl noch nicht gibt, aber sicher bald in Entwicklung geht. Hohe EntwicklungsdynamikDenn in solchen Zusatzdiensten liegt die Verdienstmöglichkeit der Dachgesellschaft für die Software-Entwicklung des Basisprotokolls OB1. Die Möglichkeiten dafür sind sicher vielfältig, allein wenn man sich vor Augen führt, dass für die Nutzung in Schwellenländern ein gewisses “customizing” stattfinden muss, sofern es um die Lieferung von physischen Waren geht. Gehandelt werden natürlich auch digitale Produkte und Dienstleistungen, bei deren Abwicklung kein Medienbruch droht.Klassischerweise programmiert die Entwickler-Community selbst Apps, falls Bedarf für zusätzliche Funktionalitäten erkannt wird. Aus einem solchen dezentralen Ökosystem heraus wird dann eine ständige Weiterentwicklung betrieben, was den Kern der Plattform erweitert oder aber nur das Portfolio am Rand befruchtet. Damit hätte OB1 dann eigentlich nicht direkt zu tun. Die Dynamik der Openbazaar-Nutzung ist im Open-Source-Umfeld letztlich unberechenbar.Die Bindung von Openbazaar – die selbst einen Coin (OBT) für die interne Verrechnung auf der Plattform schaffen will – an Kryptowährungen ist ein inhärentes Risiko des Geschäftsmodells, da derzeit der Sektor regulatorisch beschnitten wird. Er dürfte aber kaum komplett eliminiert werden. Während die Notenbanken noch damit ringen, wie eigentlich mit der privaten Emission von Währungen umzugehen ist, dürfte man sich in den großen Volkswirtschaften bewusst gemacht haben, dass Kryptowährungen und Initial Coin Offerings (ICO) das Wachstum grundsätzlich ankurbeln und schlicht Teil der Digitalisierung sind. Allerdings werden zwei Dinge sicherlich nicht toleriert: Geldwäsche sowie die Steuervermeidung bei Dienstleistungen.