Pierin Vincenz im Visier der Aufsicht

Ex-Raiffeisen-Chef muss sich wegen möglicher Interessenkonflikte erklären

Pierin Vincenz im Visier der Aufsicht

dz Zürich – Ein bereits am Sonntag vor Wochenfrist publik gewordenes Verwaltungsverfahren gegen die Raiffeisen-Gruppe richtet sich, nicht ganz unerwartet, also doch auch gegen deren langjährigen CEO Pierin Vincenz. Was dieser in der vergangenen Woche auf Anfrage von Journalisten noch bestritten hatte, ließ er am Sonntag via Medienmitteilung bestätigen. Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) habe “ein Enforcement-Verfahren bezüglich Handhabung von Interessenkonflikten während meiner Zeit bei Raiffeisen Schweiz eröffnet”, kommunizierte Vincenz am Wochenende. Enforcement-Verfahren können vom Berufsverbot über die Einziehung von Gewinnen bis zum Lizenzentzug verschiedene, schwerwiegende Zwangsmaßnahmen nach sich ziehen. Die Sache ist für die Bank und ihren Ex-Chef also alles andere als eine Lappalie, zumal Letzterer beim Versicherungskonzern Helvetia auch noch als Verwaltungsratspräsident wirkt.Zu den Hintergründen des Verfahrens sagte der aktuelle Raiffeisen-Chef Patrik Gisel am Montag im Interview mit der Zeitung “Finanz und Wirtschaft”, im Fokus stünden Governance-Themen im Zusammenhang mit der auf KMU-Finanzierung spezialisierten Raiffeisen-Tochter Investnet Holding. Es gehe um die Entscheidungsprozesse, die zu der Beteiligung geführt hätten, und um Fragen, wie die Verträge gestaltet und aufgesetzt worden seien.Viel lässt sich aus diesen Aussagen nicht herauslesen, außer vielleicht, dass es in der Raiffeisen-Führung möglicherweise an den Checks und Balances fehlte, wie sie jedes Unternehmen, das unterschiedlichen Anspruchsgruppen gerecht werden muss, eigentlich standardmäßig in die Managementprozesse eingebaut haben sollte. Mit eigenmächtigen Verhaltensweisen bringt der 61-jährige Vincenz seine Kritiker freilich schon seit vielen Jahren immer wieder auf die Palme. 2008 prangerte die Schweizer “SonntagsZeitung” seine aufwendigen Reisen an, zum Beispiel, als er sich zusammen mit seiner Ehefrau, Leiterin der Rechtsabteilung in der Bank, auf Firmenkosten zum EM-Finale in Wien fliegen ließ – im Privatjet nota bene. Mit seinen regelmäßigen Helikopterflügen und dem auch sonst reichlich aufwendigen Lebensstil hätte sich Vincenz insbesondere während der Finanzkrise eigentlich als perfekte Projektionsfläche für das damals besonders beliebte Banker-Bashing geeignet. Gute SelbstinszenierungDoch der Genossenschaftsbanker schaffte es trotz seiner Eskapaden und seiner eigenen Biografie als Investmentbanker, sich erfolgreich als Gegenentwurf zu den Großbank-Managern zu positionieren. Dieses erstaunliche Kunststück hat viel damit zu tun, dass Vincenz tatsächlich auch große Erfolge vorweisen und seine Macht im Unternehmen stark ausbauen konnte. Als Vincenz 1999 die Leitung der einstigen Landbank übernahm, zählte diese etwa 600 selbständige Genossenschaftsbanken mit rund 1 300 Standorten. Inzwischen ist die Zahl der Banken auf 255 geschrumpft und das Filialnetz ist auf 930 Standorte verkleinert worden. Vincenz trieb diesen Abbau in den Stammlanden von Raiffeisen vor – in den oft dünn besiedelten Randregionen -, indem er Fusionen förderte und dabei notfalls auch vor Zwang nicht zurückschreckte. Durch diese Zentralisierung hat Vincenz die Macht der Zentrale gestärkt und der Gruppe neue strategische Möglichkeiten eröffnet. Den Handlungsspielraum nutzte er insbesondere für die Eroberung der städtischen Gebiete, in denen Raiffeisen vor der Ära Vincenz noch kaum präsent war.Für das gute Gelingen dieser ehrgeizigen Expansion zur größten Hypothekenbank der Schweiz und zur dritten Kraft neben den beiden Großbanken dürfte die damalige Governance mit der starken Konzentration von Macht und Entscheidungsbefugnissen in den Händen des CEO hilfreich gewesen sein. Vincenz schaffte es mit seinen geschickt inszenierten bodenständigen Auftritten nicht nur, die Mehrheit der Genossenschaftsbanker hinter sich zu bringen, vielmehr etablierte er sich mit prononcierten Meinungen beispielsweise zum Auslaufmodell des “Bankgeheimnisses” als Stimme der inländischen Kreditwirtschaft, die sich von den in breiten Bevölkerungskreisen unbeliebt gewordenen internationalen Geldhäusern abzugrenzen verstand. Mit der Expansion von Raiffeisen in das noble Private Banking, die im Januar 2012 mit der Übernahme der Bank Notenstein (vormals Wegelin) ihren Anfang nahm, wurde Vincenz’ Machtfülle in der Raiffeisen-Gruppe zunehmend auch für Außenstehende sichtbar. Mit Hilfe mehrerer kurz entschlossener Übernahmen baute Vincenz Notenstein zu einem neuen Standbein aus, das dereinst das Wachstumstempo in der Genossenschaft hätte beschleunigen sollen. Die Strategie erwies sich aber als Reinfall. Die Investitionen haben sich bislang bei weitem nicht ausgezahlt. Die verwalteten Kundengelder sind trotz weiteren Akquisitionen nicht gestiegen, um Kosten und Erträge ins Gleichgewicht zu bringen, musste der Bestand von ehemals 700 Angestellten auf 400 verringert werden. Fast die ganze Führungsriege von Notenstein ist inzwischen ausgewechselt. So gesehen ist es kein Zufall, dass die Finma die Verfahren jetzt anstößt, denn in einer schlechten Governance können früher oder später auch Kunden zu Schaden kommen.