GASTBEITRAG

Plattformen - Schlussakkord oder Ouvertüre für die Banken?

Börsen-Zeitung, 16.10.2018 Auch unser Wortschatz kennt Moden. Absolut en vogue ist gerade der Begriff der Plattform. Die gibt es inzwischen für Rechtsprechung, Bildung oder auch die Forstwirtschaft. Und für so ziemlich alles andere auch. Wenn aber...

Plattformen - Schlussakkord oder Ouvertüre für die Banken?

Auch unser Wortschatz kennt Moden. Absolut en vogue ist gerade der Begriff der Plattform. Die gibt es inzwischen für Rechtsprechung, Bildung oder auch die Forstwirtschaft. Und für so ziemlich alles andere auch. Wenn aber ein Begriff so inflationär gebraucht wird – das lehrt die Erfahrung -, dann verliert der rasch an Sinn und Bedeutung.Das wäre im Fall der digitalen Plattformen allerdings fatal. Digitale Plattformen haben das Zeug dazu, in der Wirtschaft ganze Branchen zu zertrümmern und nach neuen Regeln wieder auferstehen zu lassen. Nicht in der Theorie, sondern ganz real – und für manche bitter. Nach Medien, Musik, Telekommunikation und Einzelhandel ist die Finanzbranche nach einhelliger Meinung von Experten nur einen Wimpernschlag davon entfernt, mit Wucht von der Plattformökonomie erfasst zu werden. Gerade haben Wissenschaftler des renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) eine Studie herausgegeben, die für Deutschland genau das belegt.Der Plattformbegriff des MIT erfasst weder die Juristerei noch den Wald. Die Forscher meinen kuratierte digitale Marktplätze, denen es gelingt, eine sich stetig gegenseitig hochschaukelnde Zahl von Anbietern und von Kunden über das Internet so zu organisieren, dass für alle maximaler Nutzen und größtmöglicher Komfort und für den Betreiber märchenhafte Gewinne herausspringen.Der Plattformbetreiber kuratiert dabei den Zugang zu seinem Marktplatz, das heißt, er sorgt für Transparenz und Qualität, für die Einhaltung von Regeln und den kontinuierlichen Ausbau des Angebots sowie den Zuzug neuer Nutzer. Zudem verbessert er laufend die technischen Möglichkeiten seiner Plattform. Beispiele solcher Plattformen kennt jeder, die Wirkung auf ihre spezifische Branche ebenfalls. Und viele von uns sind längst Kunde: Facebook, Amazon, Netflix, Google, Airbnb oder auch Uber sind aus unserem Leben fast nicht mehr wegzudenken.Was bedeutet das für die Banken in Deutschland und Europa? Nach einigen verlorenen Jahren, in denen sie damit beschäftigt waren, die Folgen der Finanzkrise abzuarbeiten und zu begreifen, dass die meisten der vielen jungen Technologieunternehmen in der Finanzbranche keine Konkurrenten, sondern vielmehr flinke Kooperationspartner sind, geht mittlerweile die Angst vor Amazon- oder Facebook-Banken um. Und diese Furcht ist durchaus berechtigt.Die Plattformanbieter aus den USA und Asien sitzen schlicht mitten im Leben der Kunden. Und sie dienen ihm ganz oft bei emotionalen Themen – wenn die Kunden beispielsweise eine Reise buchen oder ein Geschenk kaufen. Ein Kredit oder eine Überweisung hingegen sind meist weniger emotional. Bankprodukte sind ja fast immer Mittel zum Zweck und vergleichsweise “kalt”.Für Amazon wäre es einfach, zur schicken neuen Couch auch die passende Finanzierung bereitzustellen. Und wenn die Oma ihrem Enkel über Whatsapp schreibt, könnte sie auf demselben Weg auch ein Geldgeschenk an den lieben Kleinen überweisen – das wäre für Facebooks Nachrichtendienst keine große Herausforderung. Die notwendigen Lizenzen haben einige der Internetriesen aus Übersee bereits. Zuschauerrolle wäre fatalWas sollen die Banken also tun? Fatal wäre sicher, einfach weiterzumachen wie bisher, die Bankbilanz und langlaufende Ertragsquellen im Rücken. Diese Strategie führt mit Sicherheit in absehbarer Zukunft zur Erosion der Erträge und in die Bedeutungslosigkeit für Kunden und Markt. Wenig aussichtsreich ist auch, das eigene Online-Banking nun semantisch zur Plattform aufzupumpen und Digital-Kredit oder Online-Konto für der Digitalisierung letzten Schluss zu halten. Der eigentliche Umbruch – neudeutsch Disruption – durch die Digitalisierung liegt ja nicht in der Technik des Internets selbst, sondern im veränderten Verhalten der Kunden, dem Entstehen neuer Geschäftsmodelle und dem Aufstieg neuer Konkurrenten.Und da weisen die Internetriesen den Weg: Sie sind heute nicht nur die mit Abstand erfolgreichsten und wertvollsten Firmen der Welt, sie sind auch ausnahmslos Plattform-Unternehmen. Ihr größtes Kapital und das Geheimnis ihres Erfolgs sind eben nicht eigene Produkte oder Produktionsmittel, sondern der direkte und alleinige Zugang zu den Kunden, zu deren Bedürfnissen und Wünschen, Vorlieben und Plänen. Eigene Rolle definierenWenn also banknahe oder ganz branchenfremde Anbieter in das Feld der Banken drängen, sollten die Finanzinstitute spätestens jetzt überlegen, wie sie ihre Stärken nutzen können, um neue Geschäftsmöglichkeiten für sich zu erarbeiten. Kurz: Banken müssen sich jetzt entscheiden, ob sie künftig ein letztlich austauschbarer Spar-, Anlage- oder Kreditproduktproduzent für andere sein wollen oder ob sie selbst zum Plattformbetreiber werden wollen und können. Als Hersteller und Zulieferer von Produkten lassen sie sich auf ein reines Skalen- und Effizienzspiel ein, in dem wohl nur wenige Banken in Europa werden bestehen können. Banking-Daten sind HebelFür eine Rolle als Plattformbetreiber haben Banken durchaus gute Voraussetzungen. Sie haben es damit immer noch selbst in der Hand, in der Digitalisierung zu den Gewinnern zu gehören. Mit den Kontodaten und Zahlungsverkehrsinformationen sind sie ebenfalls sehr nah dran an den Kunden. Wenn Banken aufhören, nur in Produktkategorien zu denken, und wenn sie den Kunden und seine Bedürfnisse wirklich in den Mittelpunkt ihres Handelns stellen, können sie ihren Datenschatz dienstbar machen – mit Einwilligung der Kunden und zugunsten der Kunden. Das ist der Hebel, mit dem der Umbau der Banken zu Plattformbetreibern gelingen kann entwickeln können. Dafür müssen sie allerdings rasch und entschlossen handeln.Schon gibt es dazu eine typisch deutsche Diskussion. Sie nimmt nicht etwa angriffslustig die Chancen in den Blick und kreist um die Stärken, die heimische Banken für die Plattformökonomie mitbringen. Vielmehr erklärt sie entweder die Verfechter des Plattform-Bankings kurzerhand zu größenwahnsinnigen Naivlingen oder etikettiert mit unverhohlener Schadenfreude die Branche per se als überflüssig. Richtig ist: Die Logik und die Mechanismen der Plattformwirtschaft werden in eine Konsolidierung der europäischen Bankenlandschaft münden. Die Netzwerkeffekte der Plattformen – viele Anbieter machen sie attraktiv für viele Nutzer, wegen derer wiederum weitere Anbieter zur Plattform stoßen, und so weiter – führen zu einer Konzentration. Die Schnellen und Großen werden die Kleinen und zu spät Gekommenen vom Markt drängen oder schlucken, auch wenn es in der Finanzbranche wohl kein “the winner takes it all” geben wird.Wer als Plattformanbieter in der Finanzindustrie reüssieren will, muss für seine Kunden möglichst täglich relevant sein und auf der Plattform die besten Produkte und Dienstleistungen versammeln – für die finanziellen Bedürfnisse und für vieles, was darüber hinausgeht. Wer diesen Anspruch ernst nimmt, wird ehrlicherweise das wenigste davon selbst bauen oder produzieren können – das gilt auch für Bank- und Versicherungsprodukte. Es geht deshalb darum, nicht nur für Kunden, sondern auch für die besten Partner attraktiv zu sein und sie im Sinne der Kunden, der Nutzer der Plattform bestmöglich zu organisieren.Das schreibt und liest sich so einfach, ist aber nichts weniger als das Gegenteil dessen, worauf sich die Bankbranche im letzten Jahrzehnt konzentriert hat. Ging es bisher am Ende des Innovationszyklus und während der Krise vor allem darum, immer effizienter zu werden, also die gewohnten Dinge immer noch ein bisschen richtiger zu machen, geht es in der Digitalisierung darum die richtigen Dinge zu machen. Digitale Innovationen, ein neues Geschäftsmodell verlangen von den Banken wie von allen anderen Unternehmen, neue Partnerschaften einzugehen und neue Risiken zu nehmen. Das ist ein Grund, warum sich auch die Finanzbranche mit der Digitalisierung schwertut. Die Deutsche Bank hat vor gut drei Jahren die Weichen dafür gestellt, ihr Geschäftsmodell in Richtung digitale Plattform zu entwickeln. Instrument API-BankingDer technische Hebel für die Zusammenarbeit mit Externen – Fintechs, Insurtechs, anderen Technologie- und Finanzpartnern -, ist die Deutsche Bank API. API steht für “Application Programming Interface”. Vereinfacht gesprochen verbirgt sich dahinter eine Programmierschnittstelle, die es der Bank ermöglicht, ihre Daten auf sicherem Wege anderen Entwicklern und Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Offen gesagt, ist das eine Tugend aus der Not geboren: Der Regulator hatte die Banken nämlich ohnehin gesetzlich dazu verpflichtet, Dritten begrenzten Zugang zu ihren Kundendaten zu gewähren, vor allem um Fintechs mehr Marktchancen zu verschaffen. Offene EntwicklerumgebungDie Bank hat aus dieser Pflicht die Kür abgeleitet. Sie lädt heute andere Unternehmen und selbstständige Entwickler ein, mit deutlich erweitertem Datenzugang nach den Regeln der Bank neue Produkte und Dienstleistungen für die Kunden zu entwerfen, zu bauen, zu erproben und gemeinsam mit der Bank an den Markt zu bringen. Das läuft besser und besser: Stand Oktober 2018 sind zehn Anwendungen für die Kunden zur Marktreife gelangt, darunter ein digitaler Finanzplaner, eine Teilautomatisierung der Steuererklärung, oder ein Portal für Wohnungsvermieter. 33 weitere werden derzeit getestet – in einer Simulationsumgebung, das ist eine zugangsbeschränkte Internetseite, auf der die Entwickler mit begrenzten Datensätzen arbeiten können. Inzwischen arbeitet die Bank mit mehr als 1 800 Entwicklern zusammen und lotet weitere Chancen aus.Noch ist die Bank dabei recht nah an ihrem ureigenen Geschäft. Doch noch in diesem Jahr wird sie mit einem neuen Plattformangebot an den Markt gehen, das dann bekanntes und bankübliches Terrain schon deutlich hinter sich lässt und auch gesellschaftsrechtlich Fesseln abstreift. Das sind die letzten Takte der Ouvertüre – und dann hebt sich der Vorhang für den ersten Akt einer ganz neuen Aufführung.—-Markus Pertlwieser, Chief Digital Officer Deutsche Bank Privatkunden