Polarisierer
bn – Oft dürfte es nicht vorkommen, dass der Vertreter einer Behörde – eines extrovertierten Wesens ebenso unverdächtig wie Rednertalent – derart polarisiert. Der Italiener Andrea Enria hat es geschafft. Auch das noch, dachten sich nicht wenige Beobachter, als der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) den Vorsitzenden der EU-Bankenbehörde EBA per Januar für fünf Jahre als künftigen Chef der europäischen Bankenaufsicht nominierte.Wäre es mit Blick auf den Berg notleidender Kredite der Banken in Italien nicht klüger gewesen, den Posten jemandem anzuvertrauen, der nicht aus dem Land kommt, wo die Zitronen blühen, lautete die Frage, die ihnen ins Gesicht geschrieben stand. Und überhaupt: Hat das Stiefelland mit EZB-Präsident Mario Draghi, der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini, dem EU-Parlamentspräsidenten Antonio Tajani sowie Roberto Gualtieri, dem Vorsitzenden des Wirtschafts- und Währungsausschusses im EU-Parlament, in Europa nicht schon genug Schaltstellen besetzt?Lässt man Proporzdenken, Vorurteile und Nationalismus beiseite, spricht einiges dafür, dass der 57-jährige Enria Einflüsterungen aus der Politik seines Heimatlandes ebenso unbeirrt und zuverlässig ignorieren wird, wie er während öffentlicher Auftritte die Aufmerksamkeit des Publikums verschleißt. In seiner Anhörung vor dem EU-Parlament warnte er mit Blick nach Italien bereits vor den Risiken hoher Bestände an Staatsanleihen in den Bankbilanzen und forderte den Abbau fauler Kredite. Beinahe im gleichen Atemzug machte er sich dafür stark, europäische Staatsanleihen zu verbriefen in Sovereign Bond Backed Securities (SBBS), ähnlich Euroland-Bonds, aber ohne Haftungsgemeinschaft. Im März 2017 hatte er noch eine europaweite Bad Bank für faule Kredite angeregt und sich damit den Rüffel von Elke König, der Chefin der EU-Bankenabwicklungsbehörde (SRB), eingehandelt, dieser Vorschlag komme “einer wundersamen Geldvermehrung nahe”.Vielleicht geht es Enria, den Beobachter als ausgewogen, objektiv und unparteiisch beschreiben und der in der EZB als hochintelligent gilt, tatsächlich allein um die Sache. Auch wenn die von ihm geleitete EBA das Stigma rasch von der Realität überholter Bankenstresstests in der öffentlichen Wahrnehmung so schnell nicht mehr loswerden wird – in London hat er zu sehr komplexen Themen mit einer relativ geringen Personalausstattung respektabel gearbeitet, wie es im Markt anerkennend heißt.Und vielleicht bringt der Ökonom, der schon von 1999 bis 2004 bei der EZB arbeitete, ja auch einen schärferen Blick als seine Vorgängerin Danièle Nouy dafür mit, was Aufgaben der EZB sind und was diese besser dem Regulator EBA bzw. dem Bilanzstandardsetzer IFRS überlässt. Der Bankenaufsicht würde dies guttun.