GASTBEITRAG

Porter, Schuster und die Sparkassen der Zukunft

Börsen-Zeitung, 22.8.2018 Glaubt man den Silicon-Valley-Protagonisten Google, Apple, Facebook und Amazon, gibt es nur eine Möglichkeit, die digitale Transformation zu überleben - nämlich indem man das eigene Geschäftsmodell durch Weiterentwicklungen...

Porter, Schuster und die Sparkassen der Zukunft

Glaubt man den Silicon-Valley-Protagonisten Google, Apple, Facebook und Amazon, gibt es nur eine Möglichkeit, die digitale Transformation zu überleben – nämlich indem man das eigene Geschäftsmodell durch Weiterentwicklungen vermeintlich kannibalisiert und damit voranbringt. Gut gebrüllt, GAFA, aber was heißt das für eine Sparkasse? Statt einer Antwort drei erste Fragen an die Intelligenz des Schwarms, die mein geliebtes rotes “S” zwar nicht gleich drohen zu verspeisen, aber doch an dem derzeitigen Bild “Sparkasse” zumindest rütteln.Frage 1: Zeit für die Rente, Michael E. Porter?Viele Experten-Einschätzungen zur Zukunft des Bankenmarktes kommen zu dem verstörenden Schluss, dass ein im herkömmlichen Sinne verstandenes Geschäftsmodell einer Bank keine Zukunft mehr hat. Da drängt sich zwangsläufig die Frage auf, ob es reichen wird, wenn wir unser derzeitiges Geschäftsmodell in die digitale Welt hinüberretten. Müssten wir nicht vielmehr die Denke der digitalen Welt auf ein neues Geschäftsmodell übertragen? Es zählt der GeschäftsmomentIn dem Fall dürften wir nicht mehr in linear aufeinander aufbauenden Wertschöpfungsschritten à la Michael E. Porter denken. Vielmehr müssten wir unsere Geschäftsprozesse mit der Welt des Kunden verknüpfen und daraus ein sich permanent anpassendes System von Kundenkontakten in Form von “Geschäftsmomenten” entwickeln. In der Denke des US-Ökonomen Porter stehen Kunden (und Bezahlvorgänge) am Ende der Prozesskette. Stattdessen werden sich Kunden mit Blick auf die digitale Plattformentwicklung zukünftig selbst je nach persönlicher Präferenz in unserer Kette, oder besser: in unserem lebenden “System von Geschäftsmomenten”, platzieren – wenn es gut läuft. Denn dann hätten wir a) ein solches Momentsystem für Kundenkontakte gefunden und b) wären unsere Kunden uns treu geblieben. Möglich wäre es aber auch, dass sie sich im “internet of me” ihre eigene Geld-Plattform zusammengestellt und uns geblockt haben.Angesichts zunehmend obsoleter linearer Wertschöpfungsketten sterben voraussichtlich auch viele klassische Branchendefinitionen. An ihre Stelle treten Plattformen mit Bestandteilen verschiedener Branchen, die über die Plattformen vernetzt werden. Wir müssen also unser Arbeits- und Fachgebiet als Sparkasse neu definieren und die für unsere Kunden relevanten Geschäftsmomente in der Welt der Plattformen finden. Frage 2: Wo bleibt der Schuster?Wie und wo könnten diese “Momente” für eine Sparkasse sein? Unsere Markenaussage “Wir machen es den Menschen einfach, ihr Leben besser zu gestalten” kann hier der Schlüssel sein. Wir sollten die Punkte suchen, wo nicht der Einzelne allein oder über einen sparkassenfremden Weg seine Bedürfnisse “einfach” und “besser” befriedigen kann. Lastnehmer für den EinzelnenWo können wir zeitaufwendige und lästige Aufgaben für den Einzelnen als “Lastnehmer” im Wust des digitalen Chaos übernehmen? Machen wir uns also auf die Suche nach Themen, bei denen wir als “Vertrauensgeber” die Adjektive “schnell” und “einfach” noch um “sicher” und “persönlich” ergänzen dürfen. So wie unser neuer Vertrauensdienst “Yes” für hochwertige Identitätsdaten oder “Kwitt” für Geldüberweisungen dies beispielhaft schon für gewisse “Momente” erfüllen. Das sind die Chancen der Digitalisierung, die wir über Technik und Ideen für uns nutzen können. Daneben bin ich überzeugt, dass der Berater weiterhin bei persönlich bedeutenden Lebensentscheidungen der wettbewerbsrelevante Wert einer Sparkasse bleibt. Jeder Mensch hat ein Set von “Geschäftsmomenten”, bei denen das Gegenüber bei aller Digitalisierung auch weiterhin ein Mensch und kein Robo-Etwas sein muss. Das Rollenbild des Beraters wird sich einschneidend ändern, aber er wird weiterhin dort von Bedeutung sein, wo die Plattform an ihre Algorithmen-Grenzen stößt. Zusammengefasst und in der Sprache des Schusters: Ohne Leisten wird es nicht gehen, aber bei ihm zu bleiben wird nicht reichen.Punktuell müssen wir zukünftig an allen für die Menschen bedeutsamen Momenten entscheidend sein, um unsere Markenaussage auch in der transformierten Welt wahr zu machen. “Digitales Ökosystem der Sparkasse” ist hier das Schlagwort. Je breiter und vernetzter wir es schaffen, dieses auszugestalten, umso mehr “Lebens- bzw. Geschäftsmomente” kann der Kunde über unsere Sparkassen-Plattform gestalten. Neben dem Kundenmehrwert entsteht hier übrigens ein nicht zu verachtender wohlfahrtsökonomischer Gewinn, denn “Plattformisierung” heißt auch “Monopolisierung”. Gut, wenn sich also viele Lebensmomente der Menschen nicht allein über GAFA, sondern zukünftig zunehmend auch mittels einer Plattform mit öffentlichem Auftrag gestalten lassen können. Folgen für die Organisation Frage 3: Alles fluid?Die Auflösung der alten Branchenwelt wirkt auch auf Formen der Organisation und der Mitarbeiterschaft. Die ING mit ihrer neuen, fluiden Organisationsmatrix macht es vor und liefert gleich neue Wörter für die Vokabelkärtchen mit: Statt “Führungsebenen” gibt es “chapters”, “squads” und “tribes”. Will sagen: Hierarchien sind dort inklusive eigener Büros für Vorstände abgeschafft. Das Sagen hat, wer Ahnung hat, und somit je nach Thema jemand anders. Theoretisch passt dies meines Erachtens gut zu der oben skizzierten Vision eines komplexen Systems von Geschäftsmomenten statt linearer Geschäftsprozesse. Und doch mag ich erstens mein Büro, und zweitens weiß ich noch gar nicht, welche Art von Mitarbeiterqualifikation für ein solch komplexes Gefüge erforderlich wäre. Und wenn es statt “Per-se-Verantwortlichen” zukünftig “Themen-Führer und damit -Verantwortliche” gibt und diese je nach Aufgabe rotieren, gibt es die klassische Führungskraft nicht mehr und unsere sparkasseninterne Personalentwicklung muss hierauf Antworten finden. GenerationenmanagementKein Geschäftsmodell, keine Branche, kein Büro – seid umschlungen, Veränderungen! Es wird anders und wahrscheinlich nicht gemütlicher. Doch eine Sache gibt mir Zuversicht. Wir haben jahrhundertelange Übung in der Adaption, GAFA nicht. Während der Transformation haben die, die sie initiiert haben, die Nase vorn. Aber Disruption ist allein vom Wort her endlich. Es könnte sein, dass schon bald eine implizite Kernkompetenz der Sparkassen zu einer expliziten wird: das Generationenmanagement hinsichtlich Kunden und Mitarbeiterschaft – für GAFA gänzlich unbekannt. Doch auch GAFA-Kunden werden älter und sich bald an das heute Neue und Disruptive gewöhnt haben, um dann wiederum vom Nachwuchs überrascht zu werden. Aus der derzeit homogenen GAFA-Kundschaft wird eine heterogene werden, die es zu umspannen gilt. Und Betriebszugehörigkeit hin oder her – auch im Silicon Valley wird eines Tages der erste Renteneintritt zu gestalten sein. Und so könnte der Wandel von Homogenität zu Heterogenität auf Kunden- wie auf Mitarbeiterseite wahrlich disruptiv für GAFA werden, während er für Sparkassen von jeher Teil des öffentlichen Auftrags ist. Wenn er also wieder modern wird, können wir ihn schon. Und bis dahin gilt: mutig voraus! —-Markus Schabel, Vorstandsvorsitzender Sparkasse Münsterland Ost