IM INTERVIEW: WERNER HOYER

"Priorität ist, sich auf den Worst Case vorzubereiten"

Der EIB-Präsident erklärt, welche Kapitalmaßnahmen auf den Brexit folgen sollen, welche Zukunft der EFSI hat und warum er kein Iran-Engagement eingehen will

"Priorität ist, sich auf den Worst Case vorzubereiten"

– Herr Hoyer, die Brexit-Verhandlungen sind in einer entscheidenden Phase. Im März 2019 soll der Austritt Großbritanniens aus der EU vollzogen werden. Was bedeutet dieses Datum für die Europäische Investitionsbank?Ob Großbritannien den Brexit 2019 auch tatsächlich vollzieht, würde ich noch nicht mit Sicherheit prognostizieren wollen. Die Verhandlungen sind doch zurzeit so festgefahren, dass es mir ein Rätsel ist, wie man dies alles bis zum Ende dieses Jahres durchverhandeln will, um es dann noch rechtzeitig mit den Ratifizierungsverfahren in den Parlamenten abzuschließen. Ich habe in der EIB auf jeden Fall intern klar gesagt, dass unsere Priorität zurzeit ist, sich auf den Worst Case vorzubereiten. Wir sind vorsichtige Banker. – Was würde ein No Deal für die EIB denn bedeuten?Sollte es wirklich kein Austrittsabkommen geben, hätte dies verheerende Konsequenzen – sowohl für Großbritannien als auch für die EU-27. Für die Bank würde dies zum Beispiel bedeuten, dass die Vorvereinbarungen, die EU-Verhandlungsführer Michel Barnier auch in unserem Namen abgeschlossen hat, und mit denen wir sehr zufrieden sind, wieder hinfällig wären. Wir würden hier wieder von Null beginnen. Das Ganze würde auch enorme Rechtsstreitigkeiten nach sich ziehen. Ein überstürzter Austritt Großbritanniens wäre für alle eine Katastrophe. Auch wenn ich nicht davon ausgehe, dass man den Brexit durch ein zweites Referendum einfach wieder rückgängig machen kann, aber dass darüber das letzte Wort schon gesprochen ist, glaube ich auch nicht.- Wie sehen denn die Vorvereinbarungen aus?Die Beteiligung von 16%, die die Briten am eingezahlten Kapital der Bank halten, entspricht 3,5 Mrd. Euro. Das ist Geld, das die Briten eingezahlt haben, und dies müssen wir innerhalb von zwölf Jahren in jährlichen Tranchen an Großbritannien zurückzahlen. – Das dürfte kein großes Problem sein.Nein. Uns treffen aber viel mehr die Auswirkungen beim abrufbaren Kapital. Das von den Anteilseignern eingezahlte Kapital beträgt durchschnittlich nur 8,9% des gezeichneten Kapitals. Der Rest des gezeichneten Kapitals ist nicht eingezahlt, sondern abrufbar. Und da fehlen uns mit dem Ausstieg Großbritanniens 36 Mrd. Euro, was dann zusammen mit dem rückzahlbaren Cash eine Summe von rund 40 Mrd. Euro bedeutet. Die Bank hat zudem eine Limitierung ihrer Kreditvergabekapazität, die laut den Statuten beim 2,5-fachen des gezeichneten Kapitals liegt. Wenn nun also 40 Mrd. beim Kapital der Bank fehlen und wir das mit dem Faktor 2,5 multiplizieren, dann bedeutet das: Die Ausleihkapazität der EIB sinkt durch den Brexit um rund 100 Mrd. Euro. Und da wir die Grenzen unseres Ausleihvolumens, basierend auf dem aktuell gezeichneten Kapital, schon fast erreicht haben, müssten wir die Kreditvergabe massiv reduzieren, wenn wir hier nicht gegensteuern. Das wäre ansonsten ein dramatischer Einschnitt.- Was könnte da die Lösung sein? Die 27 übrigen Mitgliedstaaten der EIB müssten bereit sein, das abrufbare Kapital Großbritanniens quasi auszugleichen. Wir haben bereits einen Grundsatzbeschluss unseres Verwaltungsrats, der in diese Richtung geht. Aber am Ende des Tages müsste eine solche Entscheidung noch von den Gouverneuren der EIB ratifiziert werden, also von den Finanzministern der EU – und zwar einstimmig. Bislang ist die Einstimmigkeit noch nicht gegeben. – Warum?Weil einige Mitgliedstaaten auch bereit wären, ihren Kapitalanteil an der EIB zu erhöhen, und zwar durch eine Bareinzahlung. Dagegen hätte ich natürlich nichts, aber dadurch würden sich die Gewichte innerhalb der Bank verschieben, und dies ist eine hochpolitische Frage, die so schnell nicht entschieden werden kann. Darum brauchen wir nun ein zweistufiges Verfahren: Wir müssen zunächst dafür sorgen, dass der Verlust des britischen abrufbaren Kapitals proportional durch die übrigen Mitglieder ausgeglichen wird. Und dann kann man beispielsweise innerhalb der nächsten zwölf Monate darüber verhandeln, ob man die Beteiligungen der Mitgliedstaaten auch relativ neu gewichten will. – Eine echte Kapitalerhöhung brauchen Sie aber nicht?Nein. Wir brauchen kein Cash. Die Bank hat genügend Reserven akkumuliert, um die 3,5 Mrd. Euro der Briten durch Überführung von Reserven in das aktive Kapital wieder auszugleichen. Diese Reserven würden dann den Mitgliedstaaten entsprechend ihrer Anteile als hartes Kapital angerechnet. Das ist unproblematisch. Das hat man bei der EIB auch schon mehrfach gemacht. Dazu brauchen wir kein zusätzliches Bargeld von den Mitgliedstaaten. Anders sieht dies beim abrufbaren Kapital aus. Die 36 Mrd. Euro sind natürlich eine Menge Geld, und das überlegen sich die Mitglieder durchaus auch dreimal – aber nicht, weil dies die jeweiligen nationalen Haushalte belasten würde, sondern weil es parlamentarische Prozesse voraussetzt, die mühsam sind.- Herr Hoyer, kommen wir zu einem anderen Thema. Seit drei Jahren managt die EIB den Europäischen Fonds für Strategische Investitionen. Wie hat der EFSI seither die Bank und ihr Ausleihgeschäft verändert?Viele denken, die EIB sei in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen. Das stimmt aber nicht. Beim Ausleihvolumen liegen wir zurzeit etwa 20% unter dem Niveau von über 80 Mrd. Euro, das wir in der Hochphase der Finanzkrise erreicht haben. Es geht aber auch gar nicht so sehr um die Größe, sondern mehr um die Wirkung, die wir mit unserer Arbeit erzielen. Im Zuge des EFSI haben wir uns mit dem Thema Risiko angefreundet, und mit dem Thema kleinere Tickets. Das hat die DNA der Bank völlig verändert.- Könnten Sie das noch etwas genauer erklären?Beim Juncker-Plan geht es um Projekte, die im öffentlichen Interesse sind, die aber schwer zu finanzieren sind, weil sie höhere Risiken beinhalten. Das Finanzierungsportfolio, das wir mit EFSI absichern, ist wesentlich stärker risikoorientiert. Und die Projekte, die wir mit Hilfe von EFSI finanzieren, sind deutlich kleiner und werden mit sehr viel mehr Kunden als bisher realisiert – und vor allem mit neuen Klienten. Drei Viertel der EFSI-Projekte machen wir mit Neukundschaft. Das kleinere Projektvolumen ist dabei besonders wichtig für den Mittelstand. Wir können kleinen und mittleren Unternehmen heute Wachstumsfinanzierungen bieten, die ansonsten keinen Zugang zu Krediten haben.- Haben Sie dafür vielleicht ein Beispiel?Ja, ich will dazu beispielhaft einmal ein Unternehmen hervorheben, sozusagen als pars pro toto. Nehmen Sie das deutsche Biotechnologieunternehmen Jennewein. Die Firma hat sich auf die Produktion besonders seltener Zucker spezialisiert, und zwar auf einen Zucker, der auch in der Muttermilch vorkommt. Jennewein kann diesen synthetisch herstellen, was eine ganz hohe Kunst der Biotechnologie ist. Andere große Konzerne hatten schon mehrere 100 Mill. Euro vergeblich in diese Forschung gesteckt. Der Jennewein-Zucker ist heute dagegen schon in fast allen Säuglingsnahrungen der Welt enthalten. Für ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum hat das Unternehmen im Juli nun einen über die EFSI-Garantien abgesicherten Kredit der EIB über 15 Mill. Euro erhalten. Damit unterstützen wir das Wachstum von Jennewein, und die Gründer sind nicht gezwungen, das Unternehmen irgendwann an einen Investor aus Asien zu verkaufen, weil vielleicht das Geld für die nächsten Schritte fehlt. Europa hat schon viel finanziert. Aber wenn es in die Wachstumsphase ging, hat man Firmen früher häufig alleine gelassen. Diesen Fehler müssen wir beheben.- Wie viel ist im Zuge des höheren Risikos in den letzten Jahren schon schiefgelaufen?Natürlich geht auch mal etwas schief. Aber die EIB hat ja auch den Vorteil gegenüber anderen Banken, dass sie eine ungewöhnlich starke hauseigene Expertise im Bereich Technologie und Naturwissenschaften hat. Was man beim Thema EFSI auch hervorheben sollte: Die Intervention einer öffentlichen Bank muss immer auch legitimiert sein. Es muss ein Marktversagen vorliegen. Und dies ist bei den EFSI Projekten der Fall. Wir verdrängen hier niemanden. Wir sind eine Crowding-In-Institution und beteiligen immer andere Investoren an den Projekten – entweder direkt als Co-Finanziers oder indirekt, da wir die Gelder, die wir für die Projekte aufbringen, über den Verkauf von Bonds am Kapitalmarkt einsammeln.- Sie sagten kürzlich, seit dem Start des EFSI vor drei Jahren habe sich die Art und Weise verändert, wie Europa seine Prioritäten finanziere. Ja. Wir nutzen heute den EU-Haushalt besser. Es gab eine strukturelle Verschiebung eines Teils des Haushalts von klassischen Einmalzahlungen, also Subventionen, hin zu Finanzinstrumenten wie Kredite und Garantien. Wenn man das EFSI-Modell nun auf eine höhere Ebene überträgt, also in den Bereich der Entwicklungszusammenarbeit oder der Klimapolitik – dann ist das der Weg der Zukunft. Auch hier muss man private Investoren mobilisieren, wenn man die gesteckten Ziele erreichen will. Und in dieser Hinsicht ist die EU-Bank ein Trendsetter. Viele andere multilaterale Finanzinstitutionen sind zurzeit dabei, das Finanzierungsmodell unter Einsatz einer Garantiefazilität zu übernehmen. – Wenn der EFSI so erfolgreich war und die Erwartungen bisher übererfüllt hat – warum soll er dann 2021 abgeschafft werden?Zunächst einmal: Der Fonds war von vornherein begrenzt- zunächst auf drei, dann auf fünf Jahre, also jetzt bis zum Ende der laufenden Haushaltsperiode. Und nun muss man sich überlegen, wie es dann weitergeht. Ich habe nichts dagegen, den Ansatz EFSI auf eine höhere Ebene zu bringen, wenn der Grundgedanke erhalten bleibt, ebenso wie die Arbeitsteilung zwischen Europäischer Kommission und EIB, die sich absolut bewährt hat.- Die EU-Kommission hat ab 2021 eine Bündelung der Investitionsförderprogramme der Europäischen Union im neuen Programm “InvestEU” vorgeschlagen. Das ist dann aber kein EFSI 3.0. Könnten Sie damit leben?So, wie der Vorschlag jetzt auf dem Tisch liegt, nein. Aber wir sind in sehr guten Gesprächen mit der EU-Kommission. Ich bin mittlerweile optimistisch, dass wir eine gemeinsame Linie finden werden. Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat zuletzt erst öffentlich betont: Die Kommission ist keine Bank. Und umgekehrt ist die EU-Bank nicht der Ersatz für das policy setting der Kommission. Das war ein klares und wichtiges Statement. Aber einig sind wir uns noch nicht.- Was sind die wesentlichen Knackpunkte?Zum Beispiel die künftige Rolle des Investmentkomitees. Dort entscheiden heute unabhängige Experten, ob Garantien aus EFSI für Projekte genutzt werden können. Oder die Frage, ob die Rolle der EIB als Bank der EU und damit natürlicher Ansprechpartner respektiert wird, wenn es um den Einsatz von EU-Budgetmittel für die Garantien geht, oder ob Kommissionsbeamte künftig darüber entscheiden, ob eine Finanzierung über die EIB erfolgt oder über eine nicht-europäische oder eine nationale Institution. Das sind offene Punkte, über die wir reden müssen. Außerdem muss verhindert werden, dass die Einbeziehung der nationalen Förderbanken dazu führt, dass möglicherweise nur die Förderbanken der größten EU-Staaten etwas davon haben, kleinere Länder aber leer ausgehen. Ich kann hier nur sagen: Der Ansatz mit EFSI hat sich bewährt. Warum sollen wir daher etwas ändern? – Bis 2020 sollen über den EFSI insgesamt 500 Mrd. Euro zusätzliche Investitionen in Europa mobilisiert werden. Wird sich die Investitionslücke in der EU, von der immer so viel die Rede ist, damit ein Stück weit geschlossen haben?Die Investitionslücke war zum Start des EFSI auf 700 Mrd. Euro pro Jahr berechnet worden. Bis heute – also in den ersten drei Jahren – haben wir über den Fonds Investitionen von mehr als 330 Mrd. Euro angestoßen. Die Investitionslücke wäre damit um rund 110 Mrd. Euro jährlich verringert worden. Das ist doch schon mal eine Hausnummer. Aber ich glaube auch, dass wir jetzt in eine andere Phase der Wirtschaftsentwicklung kommen.- Was meinen Sie damit?In den vergangenen zehn Jahren hat Europa sich nach innen orientiert, sich nur mit Finanz-, Verschuldungs- und Eurokrise beschäftigt und dabei übersehen, dass in dieser Zeit die Mitgliedstaaten der EU jedes Jahr 1,5% des Sozialprodukts weniger in Forschung, Entwicklung und Innovation investiert haben als unsere Partner in Asien und Amerika. Das heißt: Wir haben mittlerweile einen riesigen Rückstand beim Produktivitätswachstum und in der Wettbewerbsfähigkeit. Das muss jetzt angegangen werden. Wir müssen verstärkt in Forschung, Entwicklung, Innovation und Bildung investieren. Das muss unsere Arbeit in den nächsten Jahren prägen. Und auch dafür brauchen wir die Mobilisierung privaten Kapitals. Wir müssen den Fokus auf die Behebung der strukturellen Schwächen der europäischen Volkswirtschaft richten.- Sie meinen, die Investitionslücke in Europa hat heute eine andere Qualität als noch vor wenigen Jahren?Ja, genau. Es geht in den nächsten Jahren um unsere Stellung im globalen Wettbewerb. Da hat Europa in den letzten Jahren viel an Boden verloren, da müssen wir deutlich besser werden.- Reden wir noch über den Iran. Die EU-Kommission hatte als Reaktion auf die Aufkündigung des Atomabkommens durch die USA unter anderem angekündigt, die EIB solle künftig auch Projekte im Iran finanzieren. Haben Sie oder hat die Kommission keine Angst, dass die EIB dadurch ihren Zugang zum US-Kapitalmarkt oder zu US-Investoren verlieren könnte, weil die Bank dann ebenfalls auf der Sanktionsliste der Amerikaner landet?Doch. Diese Gefahr sehen wir ganz sicher. Es geht auch nicht nur um US-Investoren, sondern um alle Investoren, die ihre Anlagen in Dollar kaufen oder den Zahlungsverkehr über US-Systeme abwickeln. Aber vorweggesagt: Dieser Iran-Deal seinerzeit der europäischen Akteure zusammen mit einem kongenialen Partner auf US-Seite – das war damals John Kerry als Außenminister -, das war bis heute eines der feinsten Stücke der europäischen Diplomatie, die ich je gesehen habe. Es ist nach meiner Auffassung höchst unklug, dieses Projekt in Frage zu stellen. Daher unterstütze ich auch jede Initiative von europäischer Seite, sich weiterhin um die Reformkräfte im Iran zu bemühen, auch durch das Anbieten wirtschaftlicher Zusammenarbeit. – Sie meinen aber, die Bank sei hierfür das falsche Instrument?Nicht nur die EIB, sondern alle europäischen Banken. Auch andere Institute sind wie wir auf die Teilnahme am internationalen Zahlungsverkehr angewiesen. Das tut mir weh, das so zu sagen, weil ich eigentlich die Politik der EU-Kommission in diesem Punkt voll unterstütze. Aber wir gehen hier an die Grundlage unserer Existenz heran. Wenn wir zum Beispiel nicht mehr in der Lage wären, den Investoren, die unsere Bonds gekauft haben, ihre Zinsen zu zahlen, weil wir aus dem amerikanischen Zahlungssystem herausgeflogen sind, dann gehen wir in den Bankrott. Von daher ist das ein ganz ernstes Thema.- Und was ist mit der EU-Kommission?Sie beginnt so langsam auch zu verstehen. Sie war im Zuge der Ereignisse vor einigen Monaten auf das Allheilmittel EIB gekommen. Ich freue mich natürlich, dass wir so wahrgenommen werden. Aber hier muss man das außenpolitisch Wünschbare mit dem finanzwirtschaftlich und ökonomisch Vertretbaren in Einklang bringen. – Sehen Sie eine Alternative in der europäischen Iran-Politik?Die Mitgliedstaaten der EU könnten ja einmal darüber nachdenken, ein Finanzinstrument aufzusetzen, das nicht auf den Kapitalmarkt angewiesen ist, also sozusagen government-backed ist. Man darf sich nicht der Illusion hingeben, dass die Unternehmen massenhaft bei uns auf der Matte stehen, weil sie unbedingt im Iran investieren wollten. Wichtig ist aber ein politisches Signal in Richtung der Reformkräfte im Land. Und dafür muss ein kreativer Weg gefunden werden. – Der Iran erfüllt heute allerdings noch nicht einmal die internationalen Vorgaben in Bezug auf Geldwäsche und Terrorfinanzierung.Das kommt noch alles dazu. Das müsste man sicherlich auch noch klären, bevor man im Land aktiv werden würde. Aber noch einmal: Die EIB ist für Aktivitäten im Iran das falsche Instrument.—-Das Interview führte Andreas Heitker.