IM GESPRÄCH: KLAUS-PETER NAUMANN UND BURKHARD ECKES

Prüfer suchen nach Cum-ex-Geschäften

Risiken stehen im Fokus der aktuellen Testate - Bankenfachausschuss erarbeitet Papier zur Bilanzierung von Nachhaltigkeitsrisiken

Prüfer suchen nach Cum-ex-Geschäften

Cum-ex-Geschäfte von Banken rufen die Prüfer auf den Plan. Entsprechende Risiken stehen im Prüfungszyklus für die Jahresabschlüsse 2019 ganz oben auf der Agenda. “Da können ganz erhebliche Risiken für einzelne Banken bestehen”, heißt es beim Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW).Von Bernd Neubacher, FrankfurtDie Wirtschaftsprüfer der deutschen Banken werden bei Analyse der in den kommenden Wochen zur Publikation anstehenden Abschlüsse für 2019 etwaige Risiken aus Cum-ex-Geschäften intensiv unter die Lupe nehmen, wie Klaus-Peter Naumann, Vorstandssprecher des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IDW), im Gespräch mit der Börsen-Zeitung deutlich macht. Naumann verweist auf “empfindliche Steuerrückforderungen”, die Banken drohen, wenn sich die Interpretation der steuerlichen Rechtslage verändert: “Diese könnten im Einzelfall erhebliche Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation haben. Daher müssen wir uns anschauen, wie Banken mit dem Risiko aus Rückforderungen umgehen.” “Erhebliche Effekte”Erschwerend kommt für Naumann hinzu, dass Staatsanwälte, wie er berichtet, die Beteiligung an Cum-ex-Geschäften mittlerweile dem Sektor der organisierten Kriminalität zurechnen. Dies wiederum hat nicht nur Folgen für den Reputationsschaden, der aus Cum-ex-Geschäften rund eine Dekade nach Eskalation der Finanzkrise für die Branche resultiert, sondern vor allem für etwaige Belastungen der Institute. “Das hat erhebliche Effekte auf die Höhe der geforderten Beträge. Diese könnten über die mit Cum-ex-Geschäften erwirtschafteten Erträge noch hinausgehen”, zeigt Naumann die finanziellen Risiken auf.Das Strafrecht erlaubt es dabei, dass sich der Staat einen geforderten Betrag, falls eine Bank ihn nicht zu zahlen vermag, nicht dort eintreibt, sondern bei anderen Instituten, die als Prozessbeteiligte benannt werden, etwa als Depotbank. Naumann: “Da können ganz erhebliche Risiken für einzelne Banken bestehen.”Auf der anderen Seite liege noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung etwa des Bundesfinanzhofs zu diesen Fragen vor, relativiert er zugleich. Zwischen Anerkennung eines Steuerrückerstattungsanspruchs, dessen Verweigerung sowie der Abschöpfung von Erträgen liege ein weites Feld.Das IDW wirkt nun auf Institute ein, damit diese sich entsprechende Risiken eingestehen: “Die Banken und deren Aufsichtsgremien sind aufgefordert, ihre Risikoposition zu validieren”, erklärt Naumann. Je konkreter sich dabei ein Risiko zeige, desto eher sei es auch im Geschäftsbericht dazulegen, und zwar entweder im Lagebericht oder als Rückstellung in der Ergebnisrechnung. Sobald sich Anhaltspunkte ergäben, dass eine Bank involviert sei, werde man darüber reden müssen, erklärt er. “Klare Erwartungshaltung””Das ist eine klare Erwartungshaltung von uns: dass sich Bank und Aufsichtsrat intensiv mit Risiken aus solchen Geschäften auseinandersetzen”, ergänzt Burkhard Eckes, Vorsitzender des Bankenfachausschusses des IDW und Partner Banking & Capital Markets Leader bei PwC: “Jede Bank muss analysieren, ob sie davon betroffen ist, und nötigenfalls entsprechende Transaktionen aufarbeiten. Das werden wir intensiv überprüfen.” Es liege auch im eigenen Interesse eines Aufsichtsrates sicherzustellen, dass nicht Risiken der Bank unerkannt bzw. ungenannt bleiben, argumentiert er.Die Frage der Rückforderung erstatteter Kapitalertragsteuer bzw. von Gewinnabschöpfungen aus Cum-ex-Transaktionen ist damit Teil der laufenden Prüfung im Zyklus 2019. Entsprechende Belastungen können noch bis Ende der Aufhellungsperiode zum Datum des Testats gebucht werden.Damit zeigt sich eine neue Facette im Cum-ex-Komplex. Nachdem zunächst die Justiz sich Jahre nach entsprechenden Handelsgeschäften um den Dividendenstichtag an deren Aufarbeitung gemacht hat und auch die Aufsicht Instituten verstärkt auf den Zahn fühlt, melden sich nun die Prüfer öffentlich zu Wort. Wie in Marktkreisen zu erfahren ist, steht auch die Finanzaufsicht derzeit mit etwa zwei Hand voll Banken in Kontakt, denen entsprechende Belastungen drohen und die diese in ihren Rückstellungen womöglich noch nicht angemessen verarbeitet haben.Die Liste der Institute, die im Zusammenhang mit Cum-ex-Geschäften für Schlagzeilen gesorgt haben, ist lang. Bei ABN Amro, der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (Apo-Bank), der Commerzbank sowie der Deutsche-Börse-Tochter Clearstream sind in den vergangenen Monaten Strafverfolger zu Durchsuchungen angerückt. Im Dezember zog sich die Spitze des Aufsichtsrates von M.M. Warburg offenbar auf Druck der Finanzaufsicht zurück. Erst vor wenigen Tagen warf der NDR der Bank-of-America-Tochter Merrill Lynch vor, “über Jahre hinweg die deutsche Steuerkasse mit Cum-ex- und vergleichbaren Geschäften geplündert” zu haben, und Macquarie räumte ein, bei Cum-ex-Geschäften ein größeres Rad gedreht zu haben, als bislang angenommen wurde. Die Maple Bank ist nach Steuerrückforderungen der Behörden bereits kollabiert. Millionenschwere Zahlungen an Steuerbehörden wegen Handelsgeschäften um den Dividendenstichtag könnten unterdessen Citigroup ins Haus stehen, die nach eigenen Angaben kein Cum-ex-Handelsgeschäft betrieben und ausschließlich als Settlement Agent Kunden Infrastruktur zur Abwicklung von Wertpapiergeschäften zur Verfügung gestellt hat.In der Regel liegen die inkriminierten Geschäfte viele Jahre zurück. Den Schuh, die Hände in den Schoß gelegt zu haben, ziehen sich die Prüfer nicht an. “Wir können als Prüfer Transaktionen nicht abschließend als Cum-ex-Transaktionen erkennen”, erklärt Naumann. “Denn dazu müssten wir etwa wissen, wer jeweils auf der anderen Seite als Verkäufer oder Leerverkäufer gestanden hat. Dies aber kann selbst die Finanzverwaltung nach eigenem Bekunden, auch wenn es um jeweils inländische Geschäftspartner geht, mitunter nicht herausfinden. Wir stoßen da an eine Erkenntnisgrenze.” “Das versteht kein Mensch”Rechtfertigen will Naumann Cum-ex-Geschäfte damit keineswegs: “Eine einmal gezahlte Steuer sich doppelt erstatten zu lassen – das versteht kein Mensch. Die Frage ist doch: War dies erkennbar? Wir haben schon 2009 die Politik aufgefordert, die Steuerschlupflöcher auch im Ausland zu schließen. Und was hat die Politik dagegen getan?”Tatsächlich kann das IDW für sich in Anspruch nehmen, schon 2009 eine gesetzliche Regelung gefordert zu haben, um damit bei der Erstattung von Kapitalertragsteuer Steuereinbußen infolge der Gestaltung von Leerverkäufen um den Dividendenstichtag entgegenzuwirken. Es sei nicht zulässig, “eine vom Gesetzgeber bewusst offen gelassene Regelungslücke” durch ein Schreiben des Bundesfinanzministeriums zu schließen, schrieb das Institut dem Ministerium, als dieses unter anderem Prüfer für Bestätigungen heranziehen wollte, denen zufolge Aktienkäufe um den Dividendenstichtag nicht in Zusammenhang mit Leerverkäufen über ein ausländisches Institut stehen, die auf eine doppelte Erstattung der Kapitalertragsteuer abzielen. “Mit dem Jahressteuergesetz 2007 hätte der Gesetzgeber das Missverhältnis zwischen Ausweis und Einbehalt von Kapitalertragsteuer beseitigen können, wenn er ausländische Kreditinstitute mit in diese Regelung einbezogen hätte”, schrieb das IDW. Nach der Gesetzesbegründung aber seien diese von den entsprechenden Regelungen “ausdrücklich ausgenommen”, rügte das IDW damals. Risikomodelle sind gefordertEin zweites Thema neben Cum-ex sieht das IDW 2020 in Nachhaltigkeit. So stellt sich der Bankenfachausschuss auf die Prüfung entsprechender Risiken ein. Zwar hat das von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) herausgegebene Merkblatt zur Nachhaltigkeit bislang rechtsunverbindlichen Charakter. Eckes geht aber davon aus, dass Vorgaben zu Nachhaltigkeitsrisiken schon im Jahresverlauf bei Überarbeitung der Mindestanforderungen ans Risikomanagement (MaRisk) “in irgendeiner Form” einfließen werden: “Wir werden dies begleiten müssen.”Banken müssen dabei beachten, dass sie nicht nur Risiken aus ihrer Geschäftstätigkeit, sondern auch aus Aktivitäten ihrer Kunden haben, wie Naumann anmerkt. Dies könnten finanzielle oder auch Reputationsrisiken sein, welche die Tilgungsfähigkeit beeinflussen: “Wenn wir zum Beispiel wissen, dass sich Nachhaltigkeitsrisiken auf den Automotive-Sektor auswirken, müssen wir uns fragen, wie sich dies auf Banken auswirkt, die diese finanzieren.”Auch gelte es, die Gefahr sogenannter Stranded Assets im Auge zu behalten, also von Aktiva, deren Wert der grüne Wandel verfallen lässt. Sollte sich etwa für ein kohleförderndes Unternehmen die Refinanzierung verteuern, ziehe dies womöglich einen deutlichen Anstieg des Kreditrisikos nach sich, so Naumann. Um solche in die Zukunft reichenden Informationen einzupreisen, benötige eine Bank Modelle. Naumann: “Risiken aus CO2-Emissionen bei Geschäftspartnern von Banken können zu wirtschaftlichen Risiken bei Banken führen.” Nachhaltigkeitsrisiken könnten sich zudem mit Blick auf soziale Aspekte ergeben – wenn etwa einem Bekleidungshersteller Kinderarbeit vorgeworfen werde. Wie genau die Prüfer solchen Risiken bilanziell gerecht werden wollen, steht noch nicht fest. Wertberichtigungen würden erst ein Thema, wenn sich Risiken konkret und messbar erfassen ließen, heißt es. Man rede jetzt mit den Instituten und fordere sie auf, sich darüber Gedanken zu machen, ob bzw. wie entsprechende Risiken in der Bilanz oder im Lagebericht darzustellen seien.Eckes zufolge will der Bankenfachausschuss im zweiten Halbjahr ein Papier zum Umgang von Banken mit Nachhaltigkeitsrisiken in Abschlüssen vorlegen. Letztlich werde die Debatte um Nachhaltigkeit “sicher irgendwann dazu führen, dass sich dies auf die Bilanzierung von Risikovorsorge nach dem Standard IFRS 9 auswirkt, der sich an den Risikomodellen der Banken orientiert”, sagt Eckes: “Die Risikomodelle werden diese in Zukunft abbilden müssen.”