Brexit

„Regimewechsel für das EU-Finanzsystem“

Auch vier Wochen nach dem Ende der Brexit-Übergangsphase zeichnet sich noch keine Einigung zum Handel mit Finanzdienstleistungen ab. In Großbritannien hat man die Hoffnung auf ein umfassendes Äquivalenzregime aufgegeben.

„Regimewechsel für das EU-Finanzsystem“

Von Andreas Heitker, Brüssel,

und Andreas Hippin, London

Der Post-Brexit-Deal, auf den sich Brüssel und London an Heiligabend verständigt haben, hat einen harten Bruch in den Beziehungen zum Jahreswechsel verhindert. Viele für die Finanzbranche wichtige Themen wer­den in dem Abkommen aber nicht aufgegriffen. So verpflichten sich die Europäische Union und Großbritannien lediglich ganz allgemein, ihre Märkte für Anbieter der jeweils anderen Seite offen zu halten. Es gibt zwar nun keine grenzüberschreitende Dienstleistungsfreiheit mehr, aber zumindest eine Niederlassungsfreiheit. Ansonsten versprechen beide Seiten lediglich, international vereinbarte Standards im Finanzbereich auch umzusetzen und anzuwenden.

Klar ist schon lange, dass es für britische Finanzdienstleister seit dem 1. Januar kein „Passporting“ mehr gibt, mit dem sie EU-weit tätig werden dürfen. Der Jurist und Brexit-Experte René Repasi, Assistenzprofessor an der Erasmus-Universität Rotterdam, verweist darauf, dass britische Dienstleister jetzt die jeweiligen nationalen Anforderungen erfüllen müssen, wenn sie in der EU-27 tätig werden wollen. Damit drohe ihnen ein Flickenteppich beim Marktzugang, so Repasi.

Bis März wollen die EU und Großbritannien jetzt erst einmal ein Memorandum of Understanding (MoU) vereinbaren, wie die künftige regulatorische Zusammenarbeit aussehen soll. Die Verhandlungen hierüber haben noch nicht begonnen. Bisher gab es lediglich informelle Kontakte. Auch ist noch gar nicht klar, welche Themen genau in dem MoU behandelt werden sollen.

Unverbindlicher Dialog

Die Brüsseler Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness versucht aber schon, die Erwartungen zu senken: „Es geht weder um die Wiederherstellung von Marktzugangsrechten, die Großbritannien verloren hat, noch um die Einschränkung des einseitigen Äquivalenzprozesses der EU“, betonte die Irin diese Woche im EU-Parlament. Die EU wolle vielmehr einen ähnlichen Rahmen wie mit den USA aufstellen. Und das heißt: eine lediglich freiwillige Struktur, um Regulierungsinitiativen zu vergleichen, Meinungen über internationale Entwicklungen auszutauschen und Äquivalenzfragen zu erörtern. Ein unverbindlicher Dialog – nicht mehr, nicht weniger.

„Der Brexit ist ein bedeutender Regimewechsel für das EU-Finanzsystem“, sagt EU-Kommissarin McGuinness. Und das bedeutet auch: Der Marktzugang wird künftig über einseitige Äquivalenzentscheidungen gesteuert. In Brüssel wurden im vergangenen Jahr bereits 28 dieser zeitlich befristeten Gleichwertigkeitsentscheidungen in Bezug auf Großbritannien sondiert. Das Motto der EU-Kommission war dabei offenbar: Wenn es für Europa ist, muss es in Europa sein und von Europa kontrolliert werden. Dabei kam sie allerdings nicht um die Tatsache herum, dass ein wesentlicher Teil des Kapitals, das in Europa investiert wird, nicht aus Europa stammt. Im September wurde dann lediglich beschlossen, die Regeln für die in Europa dominierenden britischen zentralen Gegenparteien (CCPs) zunächst für weitere 18 Monate un­verändert zu lassen. Ansonsten hätten EU-Banken für ihr Exposure weitaus mehr Kapital vorhalten müssen. London dominiert das Geschäft mit OTC-Zinsderivaten (siehe Grafik). Auch sonst geht es bei Äquivalenzentscheidungen weniger um juristische als um wirtschaftliche Abwägungen. Sonst hätte man kaum den sich selbst regulierenden US-Börsen Äquivalenz eingeräumt. EU-Firmen brauchen einfach den Zugang zum amerikanischen Markt.

Hoffnung aufgegeben

In der britischen Finanzbranche hat man die Hoffnung auf eine um­fassende Äquivalenzvereinbarung, die von Brüssel nicht einseitig außer Kraft gesetzt werden kann, längst aufgegeben und sich an die neuen Ge­gebenheiten angepasst. „Den Schaden werden in erster Linie EU-Unternehmen davontragen, die nicht mehr so einfach Zugang zu den besten Produkten und den liquidesten Kapitalpools haben werden“, sagte der PwC-Veteran Andrew Gray, der dem Brexit-Steuerungskomitee der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft vorsitzt, auf einer Veranstaltung der Denkfabrik CSFI. „Es ist eher eine Begrenzung, die sich Europa selbst auferlegt, als eine für Großbritannien oder den Rest der Welt.“ In London versteht man durchaus, dass sich die EU in einer so wichtigen Frage wie der Kapitalbeschaffung nicht von anderen Teilen der Welt abhängig machen will.

Zuckerbrot und Peitsche

Aus Sicht der ehemaligen Europaabgeordneten Kay Swinburne, die maßgeblich an der Ausgestaltung der europäischen Finanzregulierung be­teiligt war und mittlerweile für KPMG tätig ist, setzt Brüssel jeden Hebel ein, um Geschäft aus London nach Paris, Frankfurt, Amsterdam und potenziell auch Dublin und Lu­xem­burg umzulenken. „Sie haben nicht ein Finanzzentrum ausgewählt, wo es ein Regelwerk gibt und alles hinstrebt, um ein neues Ökosystem innerhalb der EU-27 zu schaffen“, sagte sie auf derselben Veranstaltung. „Es wird mindestens fünf Ökosysteme geben, die gegeneinander im Wettbewerb stehen.“

Am Ende gebe es ein unterschiedliches Insolvenzrecht und eine andere Ab­geltungsteuer und damit große grundsätzliche Unterschiede, wie Anleger und die Unternehmen, die Ka­pital benötigen, behandelt werden. „Kurzfristig kann man mit der Peitsche drohen, um Geschäft zu bekommen“, sagte Swinburne. Man solle aber nicht erwarten, dass das langfristig funktioniert. „Dazu braucht man Zuckerbrot, einen effizienten Kapitalmarkt mit niedrigen Kapitalbeschaffungskosten.“ Wenn man darüber nicht verfüge, könne man das Geschäft genauso wenig halten wie sonst irgendjemand in der Welt, der es mit Druck versuche.

Beim Bundesverband deutscher Banken (BdB) geht man davon aus, dass Großbritannien jetzt auch über die Regulatorik versuchen wird, die Attraktivität des Finanzplatzes London zu sichern. BdB-Präsident Hans-Walter Peters fordert eine enge Zusammenarbeit von Aufsehern und Regulatoren. „Es bleibt im beiderseitigen Interesse, dass die EU und Großbritannien gleichwertige Standards aufrechterhalten, um den ge­genseitigen Marktzugang auszubauen“, sagte er der Börsen-Zeitung. Vor allem müsse die Abwanderung des Geschäfts in andere Regionen der Welt vermieden werden.

Großbritannien will ein eigenes ESG-Regime. Es wird die Offenlegungsverordnung nicht übernehmen und seine eigene Taxonomie haben. „Gut möglich, dass Großbritannien vernünftigere, zugänglichere und weniger bürokratische Versionen dieser Regimes für die Herstellung von grünen Finanzmarktprodukten und nachhaltige Finanzen haben wird“, sagte Michael Sholem, Partner bei der Kanzlei Cadwalader. Swinburne hofft, dass das Land eine Führungsrolle bei der Digitalisierung der Finanzmärkte und im Handel mit digitalisierten Assets übernehmen wird. Sie will das Steuersystem so reformieren, dass Fonds nicht mehr nach Dublin oder Luxemburg streben, sondern nach London. Man habe das Fondsregime zu Beginn der Koalitionsregierung (2010 bis 2015) diskutiert. Doch damals war Irland in einer schwierigen Lage, die irische Finanzwirtschaft sollte gestützt werden, und so wurden entsprechende Pläne auf Eis gelegt. Nun sei schnelles Handeln angesagt. Zudem benötige man sehr effiziente Post-Trade-Mechanismen, sagt Swinburne.

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