GastbeitragRuf nach simpleren Vorgaben

Regulierung: Weniger Komplexität, mehr Wachstum

Finanzmarktregulierung sei nicht nur zu kompliziert und unübersichtlich, schreibt Heiner Herkenhoff, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes. Das droht ihm zufolge auch das Gegenteil der erwünschten Effekte hervorzubringen.

Regulierung: Weniger Komplexität, mehr Wachstum

Gastbeitrag

Weniger Komplexität in der Regulierung bringt mehr Wachstum

Heiner Herkenhoff, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes

„Wenn aber der Schilderwald im Straßenverkehr immer dichter und unübersichtlicher wird, geht die Orientierung verloren.“ BaFin-Präsident Mark Branson hat kürzlich mit diesen Worten den Zustand des aktuellen Regulierungsrahmens beschrieben und zugleich Änderungsbedarf angemahnt. Er ist nicht der Einzige, der darauf dringt, die Finanzmarktregulierung zu vereinfachen. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz hat ausdrücklich die Banken mit einbezogen, als er neulich beim Deutschen Bankentag in Berlin vom dringend notwendigen Bürokratieabbau sprach. Aber wo genau gibt es Handlungsbedarf?

Schilderwald aus Regeln

Wir alle sind uns einig: Eine effektive Regulierung ist die Basis für ein stabiles Finanzsystem. Doch in den letzten 15 Jahren ist ein Regulierungswerk für Banken entstanden, das in seiner Komplexität seinesgleichen sucht. Diese Komplexität resultiert nicht nur aus dem Wirken zahlreicher nationaler und europäischer Institutionen, die sich mit der Bankenregulierung und -aufsicht befassen. Sie ist auch Ergebnis der schieren Menge an Regelungstexten. Herausgekommen ist ein zum Teil unüberschaubares Geflecht aus Detailregeln – eben der besagte „Schilderwald“.

Fünf verschiedene Eigenkapitalpuffer

Beispielhaft sei das makroprudenzielle Rahmenwerk in der EU genannt: Es gibt allein fünf unterschiedliche Eigenkapitalpuffer, die nicht überschneidungsfrei und daher nur schwer voneinander abgrenzbar sind. Die Komplexität ließe sich schon dadurch reduzieren, dass einzelne Puffer zusammengelegt werden – ohne das bestehende Kapitalniveau zu senken und damit Abstriche bei der Finanzstabilität machen zu müssen.

Häufige Redundanzen

Insgesamt finden sich Redundanzen an vielen Stellen der Regulierung, ohne dass dadurch zwingend mehr Sicherheit entsteht. Dies gilt etwa für den regulatorischen Umgang mit allgemeinwirtschaftlichen Risiken. Natürlich müssen Banken auch schweren Konjunkturabschwüngen standhalten können. Dies prüft die Bankenaufsicht durch regelmäßige Stresstests. In Abhängigkeit der Ergebnisse kann sie Maßnahmen ergreifen, die bis zur Verhängung zusätzlicher Kapitalanforderungen reichen.

Aber bereits bei der Unterlegung von Krediten mit Eigenkapital müssen die Institute negative wirtschaftliche Entwicklungen beachten, wenn sie die Verlustquote eines Kredits berechnen und seine Ausfallwahrscheinlichkeit ableiten. On top kommen für die Institute dann aber noch die erwähnten Kapitalpuffer, wie zum Beispiel der antizyklische Kapitalpuffer und der Systemrisikopuffer für Wohnimmobilienkredite, die zusätzlich zyklische Risiken abfedern sollen. Ist das in Summe wirklich sinnvoll? 

Verzicht auf nachhaltige Produkte

Überbordende Regulierung wirkt sich negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit der Institute aus und behindert damit dringend notwendiges Wachstum. Sie kann aber auch für die Bankkunden zu einem Ärgernis werden. Das ist etwa beim Thema Nachhaltigkeit zu beobachten. Eine bis zur Unverständlichkeit komplexe Regulierung ist ein wesentlicher Grund dafür, warum Kunden bei der Geldanlage in der Präferenzabfrage zunehmend kein Interesse an nachhaltigen Produkten bekunden. Viele von ihnen sind nicht bereit, den umständlichen bürokratischen Hindernislauf auf sich zu nehmen, und verzichten stattdessen auf entsprechende Anlagen.

Abschreckende Wirkung

Exemplarisch für das Dilemma steht die Offenlegungsverordnung (SFDR), mit der die EU eigentlich nachhaltige Investments ankurbeln wollte. Sie sieht vor, dass die Finanzmarktteilnehmer jährlich einen detaillierten Bericht über die nachteiligen Auswirkungen ihrer Investitionsentscheidungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren veröffentlichen müssen. Allerdings ist die Regulierung mit 64 unterschiedlichen Indikatoren nicht nur viel zu komplex, sondern auch missverständlich. Die Information, welche summierten nachteiligen Auswirkungen sich in sämtlichen Finanzportfolioverwaltungen der Bank befinden, hilft den Kunden jedenfalls nicht weiter, wenn sie nachhaltiger investieren wollen, sondern schreckt sie eher ab.

Fallstricke der Retail-Investment-Strategie

Bei der anstehenden Überarbeitung der Verordnung müssen die Offenlegungserfordernisse daher sinnvoll reduziert, die Zahl der Indikatoren verringert und gleichzeitig aussagekräftiger werden. Ganz generell gilt: Umfassende Neuerungen gerade im Anlagebereich dürfen weder den Anlegern noch den Anbietern zugemutet werden, vor allem dann nicht, wenn sie neue Lasten ohne erkennbaren Nutzen für die Anleger mit sich bringen. Leider zeichnet sich im Kontext der Retail-Investment-Strategy genau dieses Szenario ab: Die vorgeschlagenen Maßnahmen würden zu mehr Bürokratie führen und den Vertrieb von Wertpapieren deutlich verkomplizieren. Genau das steht aber im Widerspruch zum erklärten Ziel der Politik, mehr Anleger an den Kapitalmarkt zu bringen.

Appell an Europäische Kommission

Komplexität betrifft aber auch das Aufsichtshandeln. Es ist zum Beispiel nicht zwingend notwendig, von kleinen Unternehmen einzelne ESG-Daten abzurufen. Branchenwerte, also Proxies, führen zu ebenso guten Ergebnissen, entlasten aber die Wirtschaft. „Wir müssen die Komplexität unserer Regulierung reduzieren“ – dieser Aussage von Mark Branson ist uneingeschränkt zuzustimmen. Eine effiziente und smarte Regulierung dient nicht nur der Wettbewerbsfähigkeit des Finanzsektors, sie kommt auch den Kundinnen und Kunden zugute. Speziell die nächste Europäische Kommission ist gefordert, den Schalter umzulegen.

Heiner Herkenhoff

Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes

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