Rekord am deutschen Wagniskapitalmarkt
Viel ist von Defiziten am deutschen Wagniskapitalmarkt die Rede. Doch die Stimmung ist offenbar schlechter als die Lage. Laut KPMG hat sich das Volumen der Venture-Capital-Investitionen in der Bundesrepublik im vergangenen Jahr auf den Rekordwert von umgerechnet 6,9 Mrd. Dollar fast verdoppelt. Von Bernd Neubacher, FrankfurtDie Bundesrepublik vermag als Fintech-Standort mit Großbritannien, den USA oder China nicht mitzuhalten, und generell werden Deutschlands Wagniskapitalsektor oft Defizite attestiert, gerade mit Blick auf die Finanzierung von Unternehmen in späteren Wachstumsphasen. Auch deshalb hat die Bundesregierung angekündigt, die Beteiligungsfinanzierung junger Unternehmen mit einem “Zukunftsfonds für Wagniskapital” zu verbessern.Das Beratungshaus KPMG nimmt eine andere Perspektive ein: Immerhin fünf der 100 Fintechs, welche die Berater zu den “führenden globalen Innovatoren” des Jahres 2019 zählen, stammen aus der Bundesrepublik: N26, Kreditech, der Einlagenvermittler Raisin, der Factoring-Anbieter Billie sowie der auf künstliche Intelligenz setzende Versichererdienstleister Omnius. “Ein super Jahr”In einer Analyse der globalen Venture-Capital-Finanzströme hat KPMG nun zwar nicht ausdrücklich Deutschland, wohl aber Europa im Ganzen “ein super Jahr” für Wagniskapital-Investitionen bescheinigt. Angesichts einer breiten Spanne an ökonomischen Herausforderungen, vom Brexit bis hin zur nachlassenden Konjunktur in Deutschland, habe sich Europa widerstandsfähig gezeigt. Demnach hat der Kontinent 2019 seinen Anteil an den weltweiten Finanzierungen um sechs Prozentpunkte auf 15 % ausgebaut.Im dritten aufeinanderfolgenden Jahr hätten die Investitionen demnach ein Rekordvolumen erreicht, schreibt KPMG. Neben Großbritannien, Deutschland und Israel hätten auch die Niederlande, Frankreich sowie Litauen jeweils eine Transaktion über mehr als umgerechnet 100 Mill. Dollar angezogen. Steigende Transaktionsgrößen sprächen dabei für eine zunehmende Reife des Marktes in der Region. Den Angaben zufolge ist die Summe des in Europa investierten Risikokapitals 2019 von 28,2 Mrd. auf 37,5 Mrd. Dollar gestiegen. In Deutschland hätten sich die Geldzuflüsse der Investoren fast verdoppelt auf den Rekordwert von 6,9 Mrd. Dollar, während weltweit ein Rückgang von 301,5 Mrd. auf 256,8 Mrd. Euro zu verzeichnen gewesen sei.KPMG verweist auf eine wachsende Zahl von Einhörnern, also von Start-ups, deren Bewertung die Marke von 1 Mrd. Dollar übersteigt. Solche Firmen seien auch in europäischen Ländern zu finden, die ähnlich wie die Bundesrepublik nicht zu den klassischen Märkten für Wagniskapital zählten. Im Finanzsektor hebt das Beratungshaus den schweizerischen Banking-App-Anbieter Numbrs hervor. Europaweit zählen die Berater nunmehr 18 Einhörner nach zehn im Jahr 2018 und drei im Jahr 2017.Weltweit sind Fintechs neben Autotech, Biotech, Mobilität und Logistik sowie Essenslieferung “einer der heißesten Sektoren” geblieben, wie der Bericht festhält. So zog der indische Finanzdienstleister PayTM, Betreiber eines E-Commerce-Zahlungssystems, im vierten Quartal Eigenkapital über umgerechnet 1 Mrd. Dollar an. In den USA steckten Anleger im Zuge einer Series-E-Finanzierung derweil rund 500 Mill. Dollar in die Digitalbank Chime. Optimistischer AusblickIn Europa entfielen im Schlussquartal drei der zehn größten Transaktionen auf Fintechs. Im Technologiesektor hätten dabei künstliche Intelligenz, Automatisierung, Deeptech sowie B2B-Lösungen jeweils erhebliche Investitionen auf sich vereint. KPMG zeigt sich optimistisch: “Ich gehe von einem auch in diesem Jahr starken Venture-Capital-Markt in Deutschland und Europa aus”, erklärt Partner Ashkan Kalantary. Exits, also der Ausstieg von Investoren, dürften indes vor allem in Form von M&A-Transaktionen stattfinden “und weniger durch IPOs”, heißt es angesichts eines schwachen Aktienprimärmarkts.