Reputationsmanagement im Krypto-Land
Von Daniel Zulauf, ZürichDie Schweiz hat sich in den vergangenen Jahren zu einem international führenden Standort für Blockchain-Technologien gemausert. Als einer der größten Finanzplätze ist das Land für die Finanzierung von jungen Unternehmen im Fintech-Sektor in einer bevorzugten Position. Doch die sogenannten Initial Coin Offerings (ICOs), mit denen sich die Blockchain-Firmen das nötige Kapital zur Entwicklung ihrer Geschäftsideen beschaffen, sind tückisch – zumal die Transaktionen in weitgehend unerforschtem Terrain stattfinden. Die jungen Blockchain-Firmen beschaffen sich per ICO typischerweise Kryptowährungen. Der Investor erhält im Gegenzug Blockchain-basierte Coins oder Token, die mit gewissen Eigentumsrechten verbunden sind. Doch es gibt entscheidende Unterschiede zu herkömmlichen Wertpapieren wie Aktien oder Anleihen, die entsprechende rechtliche Fragen aufwerfen. Es besteht weder eine spezifische Regulierung noch eine einschlägige Rechtsprechung. Die Investoren leisten bei der Teilnahme an einem ICO also naturgemäß einen beträchtlichen Vertrauensvorschuss, weshalb sich Fehlzündungen schnell negativ auf den Ruf solcher Emissionen und vor allem auch auf den Finanzplatz auswirken. Bei der im Kanton Zug ansässigen Firma Envion AG lief die Kapitalbeschaffung definitiv nicht nach Drehbuch. Die Firma hatte im laufenden Jahr ICO-Mittel im Wert von rund 100 Mill. sfr von mehr als 30 000 Investoren eingesammelt und diesen dafür sogenannte EVN-Token übertragen. Die Token haben nach Angaben der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht eine anleihenähnliche Form, was nach Auffassung der Behörde nicht mit dem Schweizer Gesetz im Einklang steht. Wer sich öffentlich beziehungsweise gewerbsmäßig zur Entgegennahme von Publikumseinlagen empfiehlt, dabei Gelder von mehr als 20 Personen annimmt und dafür Rückzahlungsverpflichtungen eingeht, braucht in der Schweiz eine Bankbewilligung. Nach Auffassung der Finma hat Envion dieses Bankenrecht gebrochen und die Einlagen in unerlaubter Weise entgegengenommen. Ende Juli leitete die Finma deshalb ein sogenanntes Enforcement-Verfahren gegen das Berliner Start-up ein. Envion-Verwaltungsratspräsident Matthias Wöstmann, ein ehemaliger ARD-Korrespondent, wurde seiner Funktion enthoben und von der Behörde durch ein Untersuchungsorgan, die Zürcher Anwaltskanzlei GHR, ersetzt. Mit derartigen vorsorglichen Maßnahmen will die Finma die Anleger schützen. Im Zuge dessen erfolgt nun eine Beweisaufnahme. Zum Stand des Verfahrens macht die Finma keine Angaben. Treten strafrechtlich relevante Tatbestände auf, erstattet die Behörde Anzeige. Ob dies im Fall Envion geschehen ist, ist nicht bekannt.Fakt ist aber, dass das ICO unter den Investoren bereits zu erheblicher Verunsicherung geführt hat. Der Berliner Rechtsanwalt Istvan Cocron führt Schadenersatzklagen für Anleger im Gesamtwert von über 1 Mill. sfr, wie er auf Anfrage sagt. Cocron klagt auf Prospektbetrug. Envion habe das ICO nicht selbst durchgeführt, die Transaktion sei über die in Deutschland domizilierte Firma Trado gelaufen. Die hauptverantwortliche Person sei deshalb nicht der im “White Paper” (Emissionspapier) genannte Wöstmann, sondern Trado-Geschäftsführer Michael Luckow. In der Emission wurde ein Token für 1 Franken bzw. 1 Dollar verkauft. Inzwischen ist der Anteil noch rund 8 Rappen oder 8 Cent wert. Cocron sagt, die Finma hätte mindestens prüfen sollen, ob Envion in der Schweiz eine Geschäftstätigkeit ausübe. Dies sei nicht der Fall gewesen. Die Kritik kommt nicht von ungefähr. Im ICO-Boom der vergangenen Jahre wurde das Land von kapitalhungrigen Blockchain-Firmen geradezu überflutet. Envion ist nicht der erste Problemfall. Anfang des Jahres rief das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen auf Geheiß der Regierung deshalb eine Arbeitsgruppe zum Thema Blockchain und ICOs ins Leben. In enger Konsultation mit der Branche wolle man die rechtlichen Rahmenbedingungen überprüfen und einen etwaigen Handlungsbedarf aufzeigen, hieß es. Der Schweizer Unternehmer Sean Prescott, CEO und Gründer der Unity Investment AG, engagiert sich dort etwa, um die Rechtssicherheit für ICOs zu erhöhen. Prescott will Ende Jahr via ICO rund 30 Mill. sfr aufnehmen, um so den Aufbau von Rechenzentren in der Schweiz zu finanzieren. Ähnlich wie Envion ist auch Unity Investment in der Produktion von Bitcoins und anderen Kryptowährungen tätig, wenn auch mit einem grundsätzlich anderen Geschäftsmodell, wie Prescott betont. —–Die Probleme beim Schweizer ICO von Envion zeigen Handlungsbedarf auf.—–