Risiken verlagern sich in die entwickelte Welt

Zunehmende Reife von Schwellenländern zu erkennen

Risiken verlagern sich in die entwickelte Welt

Zweifellos hat sich die Quelle eines Großteils des weltweiten Investmentrisikos drastisch verschoben. In den achtziger und neunziger Jahren ging Aufruhr meist von Schwellenländern aus: Chaotische politische Verhältnisse, hohe Verschuldung und Liquiditätsprobleme haben unter anderem in Mexiko, Russland, Asien und Argentinien zu Krisen geführt. Die Epizentren der “Erdbeben”, die das globale Finanzsystem in den letzten Jahren erschüttert haben, lagen jedoch schon damals nicht in Schwellenländern, sondern in der entwickelten Welt.Die Weichen für die weltweite Kreditklemme von 2007 bis 2008 wurden beispielsweise am US-Wohnungsmarkt gestellt, während es heute die Staatsschuldenkrise in der Eurozone ist, die Anleger in Angst versetzt. Hinzu kommt, dass sich auch die wirtschaftlichen Rahmendaten in Emerging Markets – an der Verschuldung und am Wachstum gemessen – weitaus stärker darstellen als in Industrieländern. Folglich geht das Hauptrisiko für globale Anleger derzeit von der entwickelten Welt, vor allem Europa, aus, wenngleich Schwellenländer nicht vor Problemen gefeit sind, wie die IWF-Hilfspakete für die Ukraine und Ungarn beweisen. Anleger denken umZur Ankurbelung der Wirtschaft beschloss die US-Notenbank im September eine neue Runde Quantitative Easing, kurz QE 3 genannt, und in der Eurozone gab die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Absicht bekannt, Anleihen kriselnder Peripheriestaaten zu kaufen. Nutznießer dieser Maßnahmen waren jedoch in erster Linie aufstrebende Volkswirtschaften, deren Anleihen so niedrig wie nie rentieren, wobei sich diese Anlageklasse schon seit einigen Monaten hervorragend entwickelt.Da die Renditen der Staatsanleihen aus Kernländern auf ein extrem niedriges Niveau sinken, sind immer mehr Anleger bereit, das Renditepotenzial von Schwellenländer-Anleihen zu nutzen. Enorme Summen wollen renditeorientiert angelegt werden, und dank quantitativer Lockerungsmaßnahmen (sowohl in Japan und dem Vereinigten Königreich als auch in den USA und Europa) steigt die Nachfrage. Zudem sind die wirtschaftlichen Rahmendaten aufstrebender Volkswirtschaften vor allem im Vergleich zur entwickelten Welt sehr attraktiv.Dies wird deutlich, wenn man das Verhältnis von Herabstufungen zu Hochstufungen von Ratingagenturen wie S & P oder Moody’s betrachtet. In den vergangenen zwölf Monaten wurden die Ratings von Industrienationen elfmal gesenkt und es gab keine Hochstufungen. In Lateinamerika gab es acht Hochstufungen und vier Herabstufungen. In Asien waren es vier Hochstufungen und eine Herabstufung. Selbst in Osteuropa gab es mehr Hoch- (vier) als Herabstufungen (drei). Für die Ratingagenturen sind die Risiken in Schwellenländern zweifelsohne gesunken – und es gibt viele Anzeichen, die diese Einschätzung bekräftigen. Niedrigeres AusfallrisikoDie Staatsverschuldung in Industrienationen steigt seit fünf Jahren immer weiter, während die drastischen Sparmaßnahmen durch das schwache Bruttoinlandsprodukt-Wachstum erschwert werden. In Schwellenländern hingegen ist die Staatsverschuldung niedrig und geht weiter zurück. Nach Schätzungen des IWF liegt die Staatsverschuldung von Industrieländern 2012 bei rund 110 % des Bruttoinlandsprodukts, während sie in Schwellenländern rund 34 % beträgt und rückläufig ist (Fiscal Monitor Update des IWF vom Juli 2012).Zudem sinkt das Ausfallrisiko in Schwellenländern, weil immer mehr Staatsanleihen in Landeswährung begeben werden. Anleger investieren zwar zunehmend in auf Landeswährung lautende Schwellenländer-Anleihen, doch diese Vermögenswerte machen nur 10 % des globalen Anleihemarkts aus. Der Anteil von Auslandsanleihen ist mit nur 2 % sogar noch niedriger. Schwäche bringt KapitalDurch die Schwäche der etablierten Märkte fließt viel Kapital in die Vermögenswerte von Schwellenländern. Das Risiko, dass diese Gelder wieder abfließen, wenn sich die Märkte der Industrienationen erholen, ist niedriger als in früheren Fortsetzung Seite B 14Zyklen. Die Reserven der Zentralbanken haben sich seit 2005 fast verdoppelt und weisen einen weitaus niedrigeren Anteil an ausländischen Portfolioinvestitionen auf als noch vor fünf Jahren. In Brasilien und Ungarn beispielsweise hat sich der Anteil ausländischer Portfolioinvestitionen an den Zentralbankreserven halbiert und auch in Mexiko und Russland ist der Anteil deutlich zurückgegangen. Außerdem haben die Zentralbanken von Schwellenländern ihre Bestände in den letzten zehn Jahren vom US-Dollar weg diversifiziert.Ausländische Direktinvestitionen (Foreign Direct Investment, FDI) waren seit 2005 in jedem Quartal positiv. In europäischen Schwellenländern gab es zwar gelegentlich Abflüsse ausländischer Direktinvestitionen, vor allem 2006 und 2010, die aber verhältnismäßig gering waren. In Asien waren die FDI-Flüsse durchgehend positiv. Durch diesen Trend konnten die Zentralbanken in Schwellenländern die Qualität der Reserven erhöhen, wodurch sie nun besser in der Lage sind, eine Krise zu bewältigen.Die Tatsache, dass Schwellenländer schneller wachsen als Industrienationen, ist allgemein bekannt. Erstaunlich ist jedoch, wie weit die Wachstumsraten auseinanderklaffen. Der IWF rechnet damit, dass Schwellenländer 2012 insgesamt ein Wachstum von 5,6 % erreichen, während Industrienationen mit 1,4 % hinterherhinken (World Economic Outlook Update des IWF vom Juli 2012). Diese Kluft legt nahe, dass Schwellenländer sich zunehmend von der entwickelten Welt abnabeln und selbst dann wachsen können, wenn die traditionellen Wirtschaftsmächte des Westens schwächeln. Die Handelsströme belegen tatsächlich, dass der Handel zwischen Schwellenländern im Jahresvergleich von weniger als 25 % im Jahr 2000 auf fast 40 % im Folgejahr stetig zugelegt hat.In den Schwellenländern haben die Entscheidungsträger der Geld- und Wirtschaftspolitik offensichtlich aus der Vergangenheit gelernt. Im Großen und Ganzen verfolgen sie eine vernünftige Haushaltspolitik mit einer strikten Schuldengrenze: Für 2012 liegt das Haushaltsdefizit der Schwellenländer bei weniger als 2 % des Bruttoinlandsprodukts, während es unter den etablierten Volkswirtschaften fast 6 % sind (Fiscal Monitor Update des IWF vom Juli 2012). Dadurch erhalten die Zentralbanken ausreichend Spielraum, um die vorrangigen Ziele ihrer Geldpolitik zu verfolgen – nämlich zu hohe Inflation zu bekämpfen und zu niedriges Wachstum anzukurbeln. Das kann man in Mexiko und Korea, aber auch in Brasilien und Indien beobachten. Die Zentralbanken verfolgen eine antizyklische Zinspolitik, was in der Regel gut funktioniert, denn das Wachstum reagiert immer noch auf die Geldpolitik.Fazit: Schwellenländer weisen generell stärkere Fundamentaldaten als Industrienationen auf. Die Bilanzen sind robuster, die Fiskal- und Geldpolitik ist in der Regel angemessen, die Währungsreserven werden vernünftig verwaltet und das Wachstum ist kräftig. Wir haben beobachtet, dass das Vertrauen der Anleger in die Anlageklasse seit der Finanzkrise gestiegen ist und dass Ausverkäufe, wenn sie sich ereigneten, in der letzten Zeit weitaus weniger einschneidend waren als 2009 oder bei vorherigen Marktschocks. Anleger haben sich auf die zunehmende Reife von Schwellenländern eingestellt, was ein gutes Zeichen für die Zukunft ist.