Gerold Grasshoff

Risikoexperten nehmen Zahlungsverkehr ins Visier

Das Frankfurter Institut für Risikomanagement und Regulierung (FIRM) setzt die Risiken, die mit dem rasanten Wachstum des digitalen Zahlungsverkehrs entstanden sind, auf seine Agenda.

Risikoexperten nehmen Zahlungsverkehr ins Visier

Von Bernd Neubacher, Frankfurt

Das Frankfurter Institut für Risikomanagement und Regulierung (FIRM) setzt mit Blick auf das kommende Jahr neben Dauerbrennern wie Kredit-, Compliance-, IT- und Cyberrisiken auch den Zahlungsverkehr, die Umsetzung neuer Technologie sowie abermals Covid und den Megatrend ESG auf seine Risikolandkarte. Dies sagt sein Vorstandschef Gerold Grasshoff, Senior Partner und Managing Director sowie internationaler Leiter Risikomanagement und Regulierung/Compliance der Boston Consulting Group (BCG), im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.

Mit seinem Fokus auf den Zahlungsverkehr unterscheidet sich der 2009 ins Leben gerufene Verein, der auf seiner Webseite als stiftende Mitglieder die Deutsche Bank, die DZ Bank sowie die Helaba aufzählt und zu seinen Treibern auch Unternehmen, Beratungsgesellschaften und das Land Hessen nennt, unter anderem von der europäischen Bankenaufsicht. Die hatte jüngst als ihre aufsichtlichen Prioritäten für die Jahre 2022 bis 2024 neben den oben genannten Risiken vielmehr die Governance der Institute sowie deren Aktivitäten im Leveraged-Finance-Geschäft sowie im Nichtbankensektor aufgelistet.

Wie Grasshoff erläutert, ist der Zahlungsverkehr wegen seines schieren Volumens und im Zuge seiner Veränderung durch die Pandemie in den Fokus gerückt: „Wir haben jetzt sehr stark das Thema Payments in den Blick genommen, weil sich in dem Markt eine starke Dynamik entwickelt hat, insbesondere durch Konsolidierungen und neue Spieler mit neuer Technologie“. Die Pandemie habe den Anteil der elektronisch abgewickelten Transaktionsvolumina in die Höhe springen lassen: „Mit der Zunahme digitaler Bezahlvarianten ergeben sich auch neue Risiken.“ So müssten bankunabhängige Zahlungsdienstleister in Settlement-Prozessen teils erhebliche Kreditrisiken übernehmen, die zu steuern seien. Der von der Digitalisierung ausgelöste Technologieschub komme in der Bankenwirtschaft an, und im Payment-Sektor habe die Digitalisierung den größten Effekt.

Instrument der Akquise

FIRM wählt Grasshoff zufolge „bewusst eine moderne und breite Definition von Risiken und versteht darunter alle finanziellen und nicht finanziellen Risiken, die die Finanzdienstleister betreffen. Die Skepsis, die der European Payments Initiative (EPI), einem Vorstoß europäischer Banken für ein europäisches Zahlungssystem, mancherorts entgegenschlägt, mag er daher nicht teilen. Ob das Vorhaben in seiner konkreten Form funktionieren werde, könne er nicht einschätzen, schickt er voraus.

In Banken aber gebe es grundsätzlich nicht allzu viele Wertschöpfungsketten. Der Zahlungsverkehr sei dabei ein Bereich, der die entscheidenden Anknüpfungspunkte für eine Kundenbeziehung biete. „Somit ist es schon notwendig, da wettbewerbsfähig zu sein. Zudem können die Banken diese Daten auch stärker für Mehrwertleistungen nutzen“ argumentiert er. Rund 30 Großbanken und Zahlungsdienstleister in Europa wollen bis Weihnachten entscheiden, ob sie Anteile an der Gesellschaft EPI zeichnen. Deutschlands Kreditwirtschaft unterstützt das Vorhaben, dessen Kosten auf 1,5 Mrd. Euro beziffert werden. „Kryptowährungen werden uns 2022 als Bezahlvariante noch nicht beschäftigen“, schränkt Grasshoff ein. Als Anlageklasse allerdings seien diese mit ihrer Volatilität sicher interessant, auch habe die Blockchain-Technologie hohe Relevanz.

Daneben richtet FIRM sein Augenmerk unter anderem auf den Megatrend ESG: „In der Summe bin ich sehr optimistisch, dass hier eine große Chance für Banken besteht, positive Veränderungen in der Gesellschaft voranzutreiben und einen Beitrag zu leisten“, erläutert Grasshoff.

Die momentanen Überlegungen seien sehr hilfreich, teils aber auch sehr detailliert. Die Finanzinstitute stehen vor der Aufgabe, Belange der Dekarbonisierung in ihre Risikostrategie zu integrieren. Ein großes Problem dabei ist die Verfügbarkeit valider Daten in den sogenannten Scopes 1 bis 3 – Scope 1 bezeichnet die direkten Emissionen einer Bank, etwa durch ihren Fuhrpark, Scope 2 den indirekten Ausstoß zum Beispiel aus außerhalb erzeugtem und eingekauftem Strom, Scope 3 wiederum alle sonstigen indirekten Emissionen etwa aus Herstellung und Transport eingekaufter Güter, dem Vertrieb eigener Produkte oder der Entsorgung von Abfällen. Für Grasshoff ist dabei klar: „Die Bereitstellung der Daten von Scope 1 bis 3 ist eine Aufgabe, die gesamthaft angegangen werden muss. Die Banken alleine können das nicht bewältigen.“

Die momentan größte Herausforderung aus Sicht des Risikomanagements sieht er dabei darin, eine Standardisierung und eine nachvollziehbare quantifizierbare Grundlage zur Berechnung von ESG-Risiken zu schaffen. „Wir werden stärker in Szenarien und Sensitäten denken müssen, bis die Standards, die Methodik und die Datengrundlage belastbar geworden sind“, prognostiziert er. Die Debatte über eine Standardisierung stehe erst am Anfang und erhalte mit der Ansiedlung des grünen Standardsetzers ISSB in Frankfurt sowie mit der Taxonomie zweifelsohne einen Schub. 

Angesichts des erheblichen Finanzierungsbedarfs im Zuge der grünen Transformation hält Grasshoff es dabei für erforderlich, den Kapitalmarkt einzubeziehen: „Allein über öffentliche Mittel und die Kreditfinanzierung ist es schwer vorstellbar, den Finanzierungsbedarf zu decken. Das Kapitalmarktgeschäft und der Zugang von Privatinvestoren wird sehr wichtig sein.“

Eine neue Gestalt

Im Zuge der Pandemie haben nicht zuletzt Kreditrisiken eine neue Gestalt angenommen. Dabei stellt Grasshoff dem öffentlichen Krisenmanagement ein sehr gutes Zeugnis aus. Die Effekte auf die Realwirtschaft seien erheblich abgefedert worden, die schlimmsten Befürchtungen seien nicht eingetreten. Nicht zuletzt hätten die Banken, die lange Zeit nicht im besten Licht dagestanden hätten, eine Möglichkeit bekommen, ihre Wahrnehmung zu ändern: „Die Banken sind in dieser Pandemie Teil der Lösung. Die Belastungen wurden bisher gut gemeistert.“ Handlungsbedarf ortet der Manager allerdings noch mit Blick auf andere Arbeitsweisen. Die Pandemie habe die Umstellung auf neue Betriebsmodelle beschleunigt, und sehr viele Institute stellten auf hybride Modelle um, erläutert er. Aber: „Es ist noch nicht vollständig absehbar, was dies für die Arbeitsabläufe und Risiken bedeutet. Es erfordert eine gesamthafte und strukturierte Herangehensweise, um eine dauerhafte Umstellung zu ermöglichen“, gibt er zu bedenken. Zwar brächten die neuen Modelle für Banken Einsparungen in der Logistik mit sich, zugleich werde aber die Interaktion mit Kunden erschwert. Auch die europäische Bankenaufsicht treibe die Frage um, welche Ressourcen aufzuwenden sind, um über einen Sicherheitspuffer zu verfügen, der in Krisen die operativen Prozesse stabil halte: „Es gibt sicher Bedarf, das für eine Bank insgesamt systemisch durchzudenken. Covid hat das verstärkt.“

Neue Spielformen von Risiken bringt die Digitalisierung allerdings auch ohne New-Work-Modelle mit sich, wenn etwa Banken zunehmend auf Cloud-Dienstleister setzen oder Neobanken die Branche aufmischen. Grasshoff: „Die klassischen Themen der Digitalisierung finden heute sehr stark auf Kundenseite statt. Dass die Dinge im Sinne einer ‚Customer Journey‘ auch über die gesamte Prozesskette zu Ende gedacht werden, ist heute nicht unbedingt der Fall.“

Grundsätzlich vermag er dabei keinen Grund zu erkennen, warum etwa eine Neobank in Sachen Compliance anders behandelt werden sollte als eine Bank: „Mit Blick auf Fintechs und Neobanken besteht Vereinheitlichungs- und Regelungsbedarf, um ein Level Playing Field zu ermöglichen“, postuliert er: „Nur weil eine neue Technik genutzt wird, ist nicht ersichtlich, warum die Anforderungen unterschiedlich sein sollten. Diese Erkenntnis ist aber wohl bereits angekommen.“ Etwaige Nacharbeiten sind seiner Einschätzung durchaus auch im eigenen Interesse der neuen Wettbewerber: „Angesichts der Reputationsrisiken und einer drohenden Verschärfung durch die Aufsicht ist es jedenfalls keine gute Idee, wenn Fintechs oder Neobanken die Profitabilität und das Wachstum forcieren, indem sie das Risikomanagement vernachlässigen.“

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