„Risikomanagement gewinnt stark an Bedeutung“
Im Gespräch: Michael Peters und Erik Tim Müller
„Risikomanagement gewinnt stark an Bedeutung“
Die CEOs von Eurex und Eurex Clearing über Sicherheitslinien, Margen und Potenziale jenseits von Equity
Genau vor 25 Jahren wurde die Eurex durch Zusammenschluss der Deutschen Terminbörse und der schweizerischen Soffex gegründet. Seither haben sich das Geschäft mit Finanzderivaten und die Bedürfnisse der Marktakteure erheblich gewandelt. Eurex sieht sich in guter Position, das eigene Wachstum fortzusetzen.
fed Frankfurt
Für die Marktteilnehmer im internationalen Geschäft mit Derivaten ändern sich nach Einschätzung der Vorstandsvorsitzenden der Eurex Frankfurt, Michael Peters, und der Eurex Clearing, Erik Tim Müller, die Prioritäten. „Risikomanagement gewinnt stark an Bedeutung“, sagt Müller. Für die Akteure gehe es längst nicht mehr nur um die Latenz eines Handelssystems – und somit nicht mehr nur darum, noch einige Nanosekunden schneller zu sein.
Seit der Bankenkrise hinzugekommen sei die Sensibilität für das Risikomanagement durch die zentrale Gegenpartei (Central Counter Party, CCP). „Risikomanagement wird nicht zuletzt aufgrund der vielfältigen Krisen zukünftig noch bedeutender für Marktteilnehmer werden“, bekräftigt Müller.
Peters unterstreicht, dass sich in der Bankenkrise die Vorzüge zentraler Gegenparteien anschaulich gezeigt haben. Die Investmentbank Lehman habe zwar ein hohes Exposure gegenüber dem Clearinghaus gehabt. „Aber das wurde ohne Probleme abgearbeitet“, erläutert Peters. Hingegen seien die zahlreichen OTC-Swaps (Over the Counter) nicht angemessen besichert gewesen, die bilateral vereinbart worden waren. „Und die Kontrahentenrisiken waren nur sehr schwer einschätzbar“, fügt der Eurex-CEO an. Dem stimmt Müller zu: Die Bankenkrise 2008 sei eine Zäsur gewesen, weil die Futures-Märkte mit dem Clearing zuverlässig funktionierten. „Aber was die massiven Probleme einiger Institute verursacht hat, das waren die nichtgeclearten Derivate und Exposures zwischen einzelnen globalen Marktteilnehmern.“
Reaktion der Politik
In Pittsburgh 2009 hätten daher die Regierungen der Industrienationen verabredet, dass es neutrale Risikomanager zwischen den Marktteilnehmern geben soll, die das Risiko managen und Sicherheiten einfordern. „Die USA haben als Reaktion auf die globale Finanzkrise daher Dodd-Frank verabschiedet, die Europäer die EU-Derivateverordnung Emir beschlossen“, erinnert Müller.
Auf den gestiegenen Bedarf der Marktakteure, Risiken effektiv zu managen, gebe die Eurex eine ganze Reihe von Antworten. Die Terminbörse verlange im Kern zwei Arten von Sicherheitsleistungen von den Marktteilnehmern. Die Variation Margin stelle quasi einen täglichen Ausgleich (Mark to Market) sicher und verhindere, dass sich in größerem Umfang Verbindlichkeiten zwischen den einzelnen Marktteilnehmern aufbauen. Zugleich decke die Initial Margin Risiken künftiger Marktbewegungen ab. „Die genaue Höhe muss sehr gut kalibriert werden, um einerseits nicht die Handelsmotive zu erdrücken und andererseits nicht in der Krise gezwungen zu sein, Margen schnell erhöhen zu müssen und damit prozyklisch zu agieren“, erklärt Müller und fügt an: „Unser System ist hochtransparent und erleichtert damit für die Marktteilnehmer die Liquiditätsplanung erheblich.“
Sieben Sicherheitslinien
Die Eurex verfüge über sieben Sicherheitslinien, beispielsweise über die beiden Margins hinaus über einen Sicherheitenfonds, den Default Fund, der durch die am Clearing teilnehmenden Häuser bestückt wird. Er fange Tail-Risiken ab, die nicht durch die Initial Margin abgedeckt seien. Zusätzlich stelle das Clearinghaus im Ernstfall auch eigene Mittel zur Verfügung. „Somit haben Marktteilnehmer und der CCP letztendlich ein gemeinsames Interesse – gut funktionierendes Risikomanagement durch den CCP“, betont Müller. „Was wichtig ist: Bisher mussten wir selbst in den kritischsten Momenten immer nur die erste Sicherheitslinie bemühen und haben somit einen erheblichen Beitrag zur Systemstabilität in Krisensituationen geleistet“, so der Eurex-Clearing-CEO.
Als weitere Komponente der Risikoarchitektur gebe es Konzentrationsmargen, die verhindern sollen, dass einzelne Teilnehmer in bestimmten Produkten eine zu dominierende Position einnehmen. Die zentrale Gegenpartei müsse nämlich darauf achten, die Position des ausfallenden Marktteilnehmers im Ernstfall liquidieren zu können. „Zudem verfügen wir als einziger der vier größten CCPs in der Welt über eine Banklizenz, obwohl das die EU-Verordnung nicht verlangt“, stellt Müller fest. Dadurch könne die Eurex „Kundengelder extrem sicher anlegen“ und verfüge im Ernstfall auch über einen garantierten Zugang zu Euro-Liquidität. „In der Krise sind solche Dinge vielleicht überlebenswichtig.“
Peters nimmt für sein Haus in Anspruch, dass es in den vergangenen 25 Jahren global technische Standards gesetzt „und im Produktbereich gemeinsam mit den Kunden die Standardisierung erfolgreich vorangetrieben“ habe, etwa durch die Lancierung von Dividenden- und Total-Return-Derivaten. Eurex habe dafür gesorgt, dass zum Vorteil der Marktteilnehmer Kapitaleffizienz durch die Chance zum Netting von Positionen sichergestellt werden konnte, beispielsweise aufgrund der Korrelationen zwischen Euro-Stoxx-, Dax- und MSCI-Derivaten.
Beim Blick nach vorne geben sich Peters und Müller sehr zuversichtlich. „Wir haben die Weichen für weiteres Wachstum gestellt.“ Aber das Wachstum finde künftig möglicherweise auf anderen Feldern statt als bisher. Große Potenziale gebe es durch die Zinswende im Fixed-Income-Bereich, zum Beispiel im Swap-Clearing oder im Repogeschäft. Und sogar im Devisenhandel, also nicht nur bei Equity. Nach wie vor werde auch ein Teil der Anleihederivate nicht gecleart. Im Forex-Markt spiele Clearing gar nur eine völlig nachgeordnete Rolle. „Da ist noch viel Musik drin“, meint Müller. „Auch wollen wir unsere jüngst gestartete Kooperation mit Google Cloud nutzen, um bei der zugrunde liegenden IT-Architektur neue Wege zu gehen.
Flexible Architektur
Wichtig sei, die Architektur noch flexibler zu organisieren. „Kürzlich haben wir daher eine noch agilere Handelsarchitektur implementiert, die es uns erlaubt, unsere Produkte schneller einzuführen“, erläutert Peters. In diesem Kontext erinnert er an die täglich verfallenden Optionen auf den Euro-Stoxx-Index, die Ende August eingeführt wurden und auf eine hohe Marktakzeptanz stießen.
Schließlich gibt Müller noch einen Ausblick für das Euro-Clearing. „Im Euro-Swapgeschäft haben wir mittlerweile, nicht zuletzt wegen unseres Partnerschaftsprogramms, einen 20-prozentigen Marktanteil.“ Es gebe den erklärten Willen von EU-Kommission, EU-Parlament und Europäischer Zentralbank, dass die Verlagerung von Swapgeschäft aus Großbritannien in die Europäische Union beschleunigt werden solle, damit Entscheidungen über den Euro im Ernstfall nicht allein durch Aufseher in Drittstaaten getroffen werden. Derzeit werde auf europäischer Ebene über die Novelle der EU-Derivateverordnung (Emir 3.0) verhandelt, die im ersten Quartal nächsten Jahres beschlossen werden soll.
Kontraktezahl verachtfacht
Zum 25. Geburtstag der Eurex stellen die beiden Manager rückblickend fest, dass „Soffex und DTB perfekt zusammengepasst“ haben. Beide Eurex-Gründer seien technologisch gleichermaßen affin gewesen und hatten die gleichen Ziele. Der Eurex sei es gelungen, sich „von einem unscheinbaren Pionier zu einem globalen Powerhouse“ zu entwickeln. Sie sei einer der wenigen globalen Marktbetreiber, die die eigene Infrastruktur selbst konzipieren und bauen.
Damals haben wir knapp 1 Million Kontrakte gehandelt, heute sind es achtmal so viel“, veranschaulicht Müller das schwungvolle Wachstum. „1998 hatten wir rund 100 Mill. Euro Umsatz, heute sind es mehr als 1 Mrd. Euro.“ Die Eurex habe einen erheblichen Anteil am Marktwert der Deutschen Börse und sei der führende Marktplatz für europäische Benchmarks: Bei den Aktien-Indizes sei der Euro-Stoxx-50-Kontrakt die Benchmark für Europa und auch bei den weltweiten MSCI-Indizes sei die Eurex mittlerweile Marktführer. „Der Bund-Future ist die Benchmark für europäische Staatsanleihen, und auch die Futures-Märkte für französische und italienische Staatsanleihen laufen heute über Eurex“, so Müller.
„Wir waren disruptiv“
Soffex und DTB waren seinerzeit die einzigen beiden Börsenplätze, die eine vollautomatisierte Börse und ein vollelektronisches integriertes Clearinghaus hatten. Damals habe es weltweit ja fast überall nur Präsenzhandel gegeben. „Mit unserer vollelektronischen Infrastruktur waren wir in der Lage, als Pioniere den standortunabhängigen Zugang anzubieten“, sagt Müller. „Wir waren im wahrsten Sinne disruptiv.“ Denn viele Marktteilnehmer hätten gesehen, dass das vollelektronische System transparenter und viel effizienter sei als der Präsenzhandel.