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Risikotransparenz von Banken bleibt undurchsichtig

Börsen-Zeitung, 18.4.2014 "Erfahrene Investoren beschreiben die Großbanken als ,Blackbox', die immer noch enorme Risiken bergen kann - und zwar die Art von Risiken, die schnell wieder zu wirtschaftlichen Verwerfungen führen könnten. Die...

Risikotransparenz von Banken bleibt undurchsichtig

“Erfahrene Investoren beschreiben die Großbanken als ,Blackbox’, die immer noch enorme Risiken bergen kann – und zwar die Art von Risiken, die schnell wieder zu wirtschaftlichen Verwerfungen führen könnten. Die Finanzausweise einer angeblich konservativen Bank enthüllen nach genauer Prüfung den Grund für diese Besorgnis und machen damit einmal mehr deutlich, wie dringend notwendig Reformen sind.” Zu diesem Urteil kommen Prof. Frank Partnoy und Jesse Eisinger in ihrem Essay “What’s inside America’s Banks?” (The Atlantic Monthly, Januar/Februar 2013), in dem sie sich kritisch mit der Risikotransparenz US-amerikanischer Banken auseinandersetzen. Vor dem Hintergrund der Basel-II-Umsetzung der Europäischen Union sowie der Verabschiedung der Capital Requirements Regulation/Capital Requirements Directive IV (CRR und CRD IV) stellt sich die Frage, ob objektivierbare Kriterien für die Beurteilung der Risikoberichte existieren und ob in Europa und den USA gleichermaßen Handlungsbedarf hinsichtlich der Risikotransparenz besteht. Best-Practice-StandardEine Analyse der Risikoberichte 2012 der US-amerikanischen Banken J. P. Morgan Chase und Wells Fargo sowie der europäischen Institute Deutsche Bank und HSBC liefert Antworten auf diese Fragen. Ein erster Indikator dafür, wie intensiv sich die Institute mit dem Thema Risikomanagement beschäftigen, ist die Länge der Berichte. Diese hat im Vergleich zu den Jahresabschlüssen 2007 stark zugenommen. Gehaltlose Berichte in USAAußerdem sticht ins Auge, dass die Berichtslänge der beiden europäischen Institute die der US-amerikanischen Banken um das Drei- bis Vierfache übersteigt. Ausschlaggebend für die Qualität der Berichte ist jedoch deren inhaltliche Tragweite. Als Maßstab für die Beurteilung dienten je sechs qualitative und quantitative Beurteilungskriterien, die ich anhand der Orientierungshilfen der Enhanced Disclosure Task Force (EDTF) des Financial Stability Board (FSB) erarbeitet habe. Qualitativ bewertet wurden zum Beispiel Risikomanagement und Risikogovernance oder die Gesamtrisikoposition basierend auf Marktstruktur und Geschäftsmodell. Quantitative Kriterien waren unter anderem die Offenlegung des regulatorischen und ökonomischen Eigenkapitals für die gesamte Bankengruppe oder die Offenlegung des Liquiditäts- und Refinanzierungsrisikos. Anhand eines Scoringverfahrens wurden je nach Erfüllungsgrad maximal drei Punkte pro Kriterium vergeben. Die maximal erreichbare Gesamtpunktzahl liegt somit bei 12 x 3 = 36 Punkten.Das Ergebnis zeigt: Die US-Institute schneiden gegenüber den beiden europäischen Banken in der Gesamtwertung und in den Einzelkategorien deutlich schlechter ab. Wells Fargo liefert mit Abstand den schwächsten Risikobericht und erreicht nur 19 % der möglichen Gesamtpunktzahl. J. P. Morgan Chase liegt mit 36 % zwar deutlich besser, die Grabenbreite zu den 63 % der Deutschen Bank oder den 75 % von HSBC ist dennoch groß. Die beiden europäischen Institute haben sich bei ihren Berichten an den Empfehlungen der EDTF orientiert und weitere Verbesserungen für künftige Berichte versprochen. Diesen Hinweis vermisse ich in den Risikoberichten der US-Institute. Deren Risk Reports sind nicht nur deutlich kürzer. Die Formulierungen sind oft zu allgemein und sagen über die Risikolage und das Risikomanagement des Instituts wenig aus – insbesondere bei Wells Fargo.Aber auch bei den europäischen Instituten bleibt Optimierungsbedarf. Dürftig sind hier die Ausführungen zur Etablierung einer leistungsfähigen Risikokultur und zu den operationellen Risiken. Auch von den US-Instituten gibt es dazu kaum Zahlen. Als Bestandteil operationeller Risiken scheinen Rechtsrisiken und Compliance-Risiken an Bedeutung zuzunehmen. Insofern wären detaillierte qualitative wie quantitative Aussagen hierzu wünschenswert. Regulator gefordertAls Fazit gilt deshalb: Rein qualitativ liegen Welten zwischen der Risikoberichterstattung der US-amerikanischen Banken und der europäischer Marktteilnehmer. Für Analysten und institutionelle Investoren sind einheitliche Standards und Mindestanforderungen an die Risikoberichterstattung notwendig, um die Institute vergleichen zu können. Auf Basis der aktuell vorliegenden Berichte ist das jedoch nur rudimentär möglich. Insbesondere in den USA ist der Regulator gefordert, die Risikoberichterstattung deutlich zu verbessern. Denn einen Blindflug in eine erneute Finanzmarktkrise können wir uns nicht erlauben – schon gar nicht bei den 29 vom FSB als systemrelevant eingestuften Banken, zu denen die vier ausgewählten Institute gehören. Außerdem sollten die Ratingagenturen bei der Bonitätseinstufung von Banken nicht vergessen, dass die Finanzmarktkrise von 2008 – wie die meisten Krisen der letzten 40 Jahre – ihren Ursprung in den USA hatte. In Europa auf gutem WegFür Europa scheinen wir aktuell auf einem deutlich besseren Weg zu sein. Wenn die Europäische Bankenaufsicht die Hinweise der EDTF für Mindeststandards nutzt, liefert sie den Banken weitere Impulse. Und ich bin sicher, dass die Investoren dies langfristig mit besseren Price-to-Book-Ratios honorieren werden. Alles in allem bleibt national wie international viel zu tun, um für alle großen Banken einen Best-Practice-Standard in der Risikotransparenz zu erreichen. Für den Aktionär gilt leider weiterhin: Banken bleiben undurchsichtige und komplexe Adressen, deren Risiken nur schwer zu durchschauen sind.Wolfgang Hartmann ist Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft für Risikomanagement und Regulierung e. V. Der Beitrag erscheint im Jahrbuch 2014 des Frankfurter Instituts für Risikomanagement und Regulierung (FIRM), www.firm.fm.In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——–Von Wolfgang Hartmann Einheitliche Standards sind notwendig, um das Risiko- management von Großbanken vergleichen zu können.——-