Run-off-Lebensversicherung: Mehr Objektivität wagen
Das Thema “Run-off” in der Lebensversicherung sorgt in der Öffentlichkeit noch immer für kritische Diskussionen und ein gewisses Unbehagen. Konkrete Gründe sind bei diesem in Deutschland noch jungen Geschäftsmodell nicht zu erkennen, außer der Besorgnis über eine mögliche Schlechterstellung nach einem Übergang des Vertrags auf eine andere Versicherungsgesellschaft bzw. den Wechsel des Eigentümers bei dem alten Versicherungsträger. Doch ist dieses Unbehagen objektiv gerechtfertigt? Neues GeschäftsmodellBei sogenannten Run-off-Gesellschaften sind Versicherungskonzerne mit einem neuen Geschäftsmodell entstanden, die nicht durch Neuabschlüsse, sondern durch die Übernahme von Versicherungsbeständen wachsen wollen, wie z. B. durch Bestandsübertragungen oder den Erwerb ganzer Unternehmen. Dabei werden die Bestände und Kapitalanlagen, häufig auch die Mitarbeiter der übernommenen Gesellschaften, in neuen Versicherungskonzernen zusammengefasst.Die drei großen Anbieter mit diesem Geschäftsmodell in Deutschland streben möglichst große Portfolien an (gemessen an Vertragszahlen), um so durch einheitliche Prozesse in der Abwicklung von Beständen und den Kapitalanlagen auf ihren Plattformen Synergieeffekte, also vor allem Kostengewinne, zu erzielen. Die Anbieter werben damit, dass die Versicherungsnehmer und Aktionäre von diesen Kostengewinnen über entsprechend höhere Überschüsse profitieren.Begünstigt werden die Run-off-Konzerne durch das langjährige Niedrigzinsniveau, denn durch die niedrigen Renditen am Kapitalmarkt geht das Neugeschäft bei den klassischen Lebensversicherungstarifen vieler Anbieter zurück, und die Garantien und Verwaltungskosten lassen sich zunehmend schwerer finanzieren. Auch die anstehenden Mehrkosten durch Modernisierungen in Prozesse und Datenverarbeitung bei Lebensversicherungen und Pensionskassen in den kommenden Jahren – auch durch die fortschreitende Digitalisierung – unterstützen diesen Trend. Letztendlich können aber auch Strategieänderungen, wie z. B. die Fokussierung auf das Kerngeschäft, dazu führen, dass sich Konzerne entscheiden, Tochterunternehmen an Run-off-Gesellschaften zu übertragen.Bei einem Unternehmensverkauf wechselt der Eigentümer durch den Verkauf der Aktien. Ob sich die Änderung der Unternehmenspolitik unter dem neuen Eigentümer eher zum Vorteil oder zum Nachteil für die Versicherungsnehmer auswirkt, kann – wie bei jedem Inhaberwechsel – ex ante nicht gesagt werden. Dies hängt von vielen Faktoren ab, wie z. B. dem Management und der (technischen) Umsetzung der Zusammenfassung verschiedener Programme und Prozesse auf der einheitlichen Plattform, der Integration der Mitarbeiter mit unterschiedlichem Hintergrund und nicht zuletzt von den Kapitalmärkten. Garantien werden erfülltDas Inhaberkontrollverfahren der Finanzaufsicht BaFin, das für jeden Eigentümerwechsel bei einer Versicherung oder Pensionskasse gesetzlich vorgeschrieben ist, soll durch entsprechende Prüfung sicherstellen, dass weiterhin alle bestehenden und zukünftigen Verpflichtungen und Garantien aus den Versicherungsverträgen mit hinreichend hoher Sicherheit dauerhaft erfüllen werden. Die Unternehmen werden auch nach dem Inhaberwechsel laufend von der BaFin beaufsichtigt.Unterschiede können bei der Generierung von zukünftigen Überschüssen entstehen, die das Unternehmen unter dem neuen Eigentümer erwirtschaftet. Überschüsse werden aus den Kapitalanlagen, dem Risikoergebnis (Biometrie) und dem übrigen Ergebnis (Kostenergebnis) erwirtschaftet, wobei die Versicherungsnehmer nach den einschlägigen Vorschriften an Kapitalanlage- und Risikoergebnissen jeweils mit mindestens 90 % und am übrigen Ergebnis mit mindestens 50 % beteiligt werden müssen. Entsprechend dem Geschäftsmodell von Run-off-Gesellschaften soll sich das übrige Ergebnis durch effizientere Prozesse und dadurch höhere Kostengewinne deutlich verbessern und damit auch die Überschüsse für die Versicherungsnehmer.Zu Beginn kann dieses Ergebnis durch die einmaligen Kosten für die Integration auf die neue Plattform allerdings noch belastet sein. Bei geschlossenen Beständen kann man das Risikoergebnis als weitgehend gegeben annehmen, so dass sich die Unterschiede bei den zukünftigen Überschüssen nach dem Inhaberwechsel vor allem in den Kapitalanlageergebnissen der Run-off-Gesellschaften zeigen. Dies allerdings nur dann, wenn die Kapitalanlagestrategie des neuen Eigentümers deutlich von der bisherigen Strategie abweicht. Auch wenn Run-off-Gesellschaften per Definition gute Kapitalanlagekennzahlen nicht für den Vertrieb neuer Versicherungsverträge benötigen (weil sie kein Neugeschäft tätigen), so wäre es sicher voreilig, davon auszugehen, dass ihre Kapitalanlagestrategie geringere Überschüsse anstrebt als andere Lebensversicherungen oder Pensionskassen. Eine grundsätzlich andere Kapitalanlage ist aufgrund der unverändert gültigen aufsichtsrechtlichen Vorschriften ohnehin nur begrenzt möglich. Dies gilt, bei gegebenem Eigenkapital, sowohl unter Solvency II für Lebensversicherungen als auch für die Vorschriften der Anlageverordnung für Pensionskassen. An Überschüssen beteiligtAuch ist zu berücksichtigen, dass von den Überschüssen aus der Kapitalanlage nicht nur der Versicherungsnehmer, sondern auch der Aktionär profitiert, der davon bis zu 10 % erhält. Erzielte Überschüsse dienen zudem zeitweise als Eigenkapitalersatz bzw. tragen zur Bildung von Rücklagen bei und senken dadurch das Risiko zusätzlichen Eigenkapitalbedarfs für den Aktionär. Die Überschüsse aus Kapitalanlagen werden daher auch bei Run-off-Gesellschaften langfristig erwartungsgemäß nicht unter dem allgemeinen Marktniveau liegen.Objektiv besteht keine Schlechterstellung durch Run-off aus heutiger Sicht. Die Besorgnis, dass Versicherungsnehmer unter dem Management von Run-off-Gesellschaften schlechtergestellt werden als unter dem Management der bisherigen Eigentümer der übernommenen Gesellschaften, lässt sich objektiv nicht untermauern. Es bestehen sogar Chancen, dass höhere Überschüsse erwirtschaftet werden. Eine aussagekräftige Beurteilung erfordert allerdings einen mehrjährigen Betrachtungszeitraum, den es – noch – nicht gibt, da das Run-off Geschäftsmodell in Deutschland noch jung ist.Wenn es den Run-off-Konzernen gelingt, durch nachhaltig gutes Management und Kundenservice für die Versicherten, durch das Einlösen ihrer Versprechen dauerhaft höhere Kostenüberschüsse und stetig gute Kapitalanlageergebnisse im Vergleich zum Markt zu erwirtschaften, so haben die Anbieter dieses Geschäftsmodells sehr gute Chancen, in der Lebensversicherung weiter zu wachsen und sich im Kreis der großen Gesellschaften der Branche zu etablieren. Hierbei sollte beim Management neben den technischen Herausforderungen bei der Errichtung der einheitlichen Prozesse auch die Integration der übernommenen Mitarbeiter unter dem neuen Geschäftsmodell einen Schwerpunkt bilden.—-Bernhard Gilgenberg, Head of Group Pensions bei COFRA (C&A-Gruppe)