Schlimmer geht immer
Ob John Cryan jetzt ein Argument mehr hat, warum er lieber an der Spitze von Wells Fargo stünde, als CEO der Deutschen Bank zu sein? Noch im Juni schwärmte Cryan von der US-Bank mit dem bis vor kurzem höchsten Börsenwert der Welt. Drei Monate später muss die hierzulande auch von anderen Bankern um ihre unverschämt hohen Margen beneidete und zumindest auch Western-Freunden (ja, die Postkutschen!) bekannt vorkommende Wells Fargo für einen filmreifen Vorgang, den wenn schon nicht der Staatsanwalt, dann doch der Volksmund als schweren Massenbetrug einstufen möchte, mit 185 Mill. Dollar büßen. Die Deutsche Bank will das US-Justizministerium derweil für krumme Geschäfte mit hypothekengedeckten Wertpapieren und Verbriefungen – die jedenfalls der Volksmund vermutlich kein bisschen milder klassifizieren würde – mit dem 76-Fachen bestrafen: 14 Mrd. Dollar. Nur nebenbei: An Marktkapitalisierung bringt Wells Fargo mit 230 Mrd. Dollar aktuell das 12,5-Fache der Deutschen Bank auf die Waage.Schlimmer geht immer. Vor allem wenn Banken involviert sind und wenn die Beteiligten von der juristischen und finanziellen Aufarbeitung von Altlasten der Finanzkrise eingeholt werden. Die in der Causa Deutsche Bank inkriminierten Vorfälle liegen etwa ein Jahrzehnt zurück. Die damals Verantwortlichen sind übrigens in den Folgejahren ehrenvoll, in manchen Fällen unter Ovationen der in der Frankfurter Festhalle versammelten Aktionäre, verabschiedet worden. Anscheinend wird bisher nicht gegen sie persönlich vorgegangen, obwohl man nicht erst seit heute ahnt, mit welcher Bauernfängerei seinerzeit Erträge erwirtschaftet und in Boni, zum kleinen Teil auch in Dividenden, umgemünzt wurden – und wie das Weltfinanzsystem an den Rand des Abgrunds geführt wurde.Schon 2007, als die Subprime-Krise über den Atlantik bis nach Deutschland schwappte, und vor allem nach dem Lehman-Kollaps und der Notübernahme von Merrill Lynch vor acht Jahren mussten wir lernen, das Undenkbare zu denken. Und sowenig die Krise bis heute überwunden ist, so wenig sollte man den damals aus dem persönlichen Vokabular gestrichenen Satz “Das schließe ich aus” wieder in den Mund nehmen. Es lässt sich trefflich spekulieren, wie viel von den 14 Mrd. Dollar am Ende an der Deutschen Bank hängenbleiben wird. Schon wenn es “nur” die Hälfte wäre, sähen etliche Analysten Handlungsbedarf. Einigermaßen mutig erscheint es jedenfalls, wenn laut darüber nachgedacht wird, dass 2 oder 3 Mrd. Dollar doch auch eine schöne Summe wären. Washington ist eigentlich nicht als Heimat des orientalischen Teppichhandels bekannt.Soweit Handlungsbedarf auf Kapitalbedarf hinausliefe, würde sich die Frage stellen, wer denn zu welchen Konditionen in die Blauen investieren sollte – nach einem Kursverfall von mehr als 88 % seit dem Rekordhoch von 2007. Dass jetzt von Berufenen und weniger Berufenen schon mal ein Bedarf für Staatshilfen bestritten wird, klingt ja verdächtig nach dem Pfeifen im Walde. Und wenn ein nicht genannter Bankenaufseher mit den Worten zitiert wird, es gebe “keine Krisenstäbe”, wirkt das auch nicht unbedingt beruhigend. Einschlägige Krisensitzungen werden eher selten vom Gemeindediener mit der Glocke ausgeschellt.Könnte der von Josef Ackermann als “Schande” empfundene Fall, die Rettung durch die Steuerzahler, also doch noch eintreten? Oder stünde im Bedarfsfall wieder ein katarischer Scheich, natürlich nur mit einem privaten Investmentvehikel, bereit? Oder haben Cryan & Co. einen Plan D, zumal wenn sich zu allem Überfluss der Geldwäscheverdacht in Russland erhärten sollte, was ebenfalls nicht ganz preiswert würde? Eine kapitalschonende radikale Schrumpfung der Bank oder deren Zerlegung könnte eine Lösung sein, wahrscheinlich nicht die schlechteste. Die am Freitag reflexartig hochgekommene politische Diskussion erinnert ja – zutreffend und keineswegs überraschend – daran, dass das “Too big to fail”-Problem mitnichten überwunden ist. Das kollektive Versagen, das zur Finanzkrise führte und den historischen Hintergrund des aktuellen “Vergleichsvorschlags” der US-Justiz bildet, aber auch der Fall Wells Fargo zeigen überdeutlich, dass Gebilde dieser Größenordnung zumindest im Finanzwesen unbeherrschbar sind. Schon eingedenk dessen sollten alle, die sich die Zeit mit blau-gelben Fantasien vertreiben, schleunigst zur Vernunft kommen.John Cryan hat übrigens Glück, dass er nicht gesagt hat, er würde lieber die Bank of America führen. Die büßte 2014 allein in einem ähnlichen Fall mit 16,7 Mrd. Dollar. Schlimmer geht eben immer. Die BoA konnte es sich anscheinend leisten.——–Von Bernd WittkowskiDie Fälle Deutsche Bank und Wells Fargo zeigen, dass Gebilde dieser Größenordnung im Finanzwesen unbeherrschbar sind. Das gälte umso mehr für “Blau-Gelb”.——-