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Schluss mit Wirecard-Zwangskäufen!

Börsen-Zeitung, 3.7.2020 Nach dem Milliarden-Betrugsskandal bei Wirecard erwarten knapp zehn Millionen deutsche Privatanleger und die mit über 50 % an den Dax-30-Unternehmen beteiligten internationalen Investment- und Pensionsfonds, dass die für...

Schluss mit Wirecard-Zwangskäufen!

Nach dem Milliarden-Betrugsskandal bei Wirecard erwarten knapp zehn Millionen deutsche Privatanleger und die mit über 50 % an den Dax-30-Unternehmen beteiligten internationalen Investment- und Pensionsfonds, dass die für einen qualitativ anspruchsvollen Börsenhandel verantwortlichen Institutionen kurzfristig für überzeugende Remedur sorgen. Dafür sind vorrangig die Börse und die BaFin verantwortlich, die sich aber bisher damit begnügen, mögliche Veränderungen in den Börsensegmenten für September anzukündigen und sich “wirksame Möglichkeiten” zu wünschen.Was zur Beruhigung der Marktteilnehmer wirklich beitragen könnte, wären folgende Veränderungen:1. Rechtzeitige Veröffentlichung der Jahresberichte: Hier sollte die bisherige Frist von vier Monaten auf drei Monate verkürzt werden, wie dies auch im deutschen Governance-Kodex als Soll-Empfehlung vorgesehen ist (Grundsatz 21, F 2).2. Sanktionen bei zu später Veröffentlichung: Die BaFin und die Frankfurter Wertpapierbörse müssen ihren Überwachungspflichten gemäß § 114 WpHG und § 51 Börsenordnung deutlich besser nachkommen: So sollte bei nicht kodexgemäßer Veröffentlichung nach 90 Tagen unverzüglich gemahnt werden und neben der Bebußung der Widerruf der Zulassung zum Prime Standard nach einer Karenzfrist von weiteren 30 Tagen angedroht werden. Dies ist zu veröffentlichen und gleichzeitig von der Börse die Entfernung aus dem jeweiligen Index anzudrohen.3. Index-Ersatz: In der 30-tägigen Karenzzeit können sich die Ersatzkandidaten und die Index-Investoren “warmlaufen”. Bei einer andauernden Nichtveröffentlichung des Jahresabschlusses sind dann der bzw. die Nachfolgekandidaten nach 120 Tagen automatisch im jeweiligen Dax-Index aufgenommen.4. Einbeziehung von Qualitätskriterien für Dax 30 und MDax: Das Wirecard-Desaster hat überdeutlich gezeigt, dass die bisherigen Kriterien für eine Aufnahme in den für die Qualität des Börsenhandels entscheidenden Segmenten Dax 30 und MDax unzureichend sind: Lediglich auf “Marktkapitalisierung” und “Umsatzvolumen” zu setzen, hat durch Firmen wie Steinhoff und Wirecard zu erheblichen Reputationsschäden geführt. Da beide Adressen erhebliche und früh sichtbare Governance-Defizite aufwiesen, die ursächlich für die Milliarden-Marktverluste gerade für Privatanleger waren, sollte vor und während der Indexzugehörigkeit (und ggf. auch für die Zulassung zum Prime Standard) das Kriterium “Genügende Governance-Qualität” zwingend erfüllt sein. Governance berücksichtigenLeider haben sich die für eine einfache Bewertung der Governance-Qualität verfügbaren Prädikate kommerzieller Governance-Bewerter als wenig geeignet erwiesen, da sie bei Wirecard im Durchschnitt die zweitbeste von fünf Stufen zeigten. Die für die Bilanzprüfung demnächst wohl allein verantwortliche BaFin und die Börse sind somit gefordert, die für die Prüfung der Governance-Qualität gültigen Standards aufzusetzen und deren Einhaltung zu überwachen. Ein hierfür geeigneter, detaillierter Ansatz könnte die von der DVFA vorgelegte “Governance-Scorecard” sein, die insbesondere die Erfüllung der Vorgaben des deutschen Kodex in detaillierter und vergleichbarer Form abbildet. Schneller raus aus dem DaxHierbei sollten auch die für die Qualität der Wirtschaftsprüfung und der diese überwachenden Aufsichtsräte (insbesondere der Ausschussmitglieder) wesentlichen Vorgaben stärker gewichtet werden. Fakultativ könnte die geprüfte Governance-Scorecard auch durch das jeweilige Unternehmen veröffentlicht werden, um die Investoren und Analysten über ihre Governance zu informieren.Fazit: Bei Einführung und konsequenter Verfolgung der vorstehend genannten Wege wären die so rufbelastenden Fälle Wirecard und Steinhoff viel früher erkannt und damit Milliardenverluste für Privatanleger zumindest erheblich verringert worden. Dass diese und auch große Investoren jetzt immer noch im Dax 30 enthaltene Wirecard-Aktien zwanghaft durch Indexfonds kaufen müssen, ist viel früher zu beenden: Der Arbeitskreis Dax der Deutschen Börse kann sehr wohl schneller als erst im September Wirecard aus dem Dax 30 entfernen. Dann wäre endlich erreicht, dass die wesentlich durch die Indexfonds verursachten Kurskapriolen von zuletzt 1,25 bis 8,10 Euro pro Wirecard-Aktie aufhören.Damit der Dax 30 und der deutsche Kapitalmarkt wieder einen angemessenen Qualitätsstandard abbilden, wird es aber ebenfalls baldiger und dennoch wohlüberlegter Veränderungen bei beiden Institutionen bedürfen: Die Prüfung guter Governance-Verhältnisse muss dabei im Vordergrund stehen. Christian Strenger, Akad. Direktor des Governance Centers der HHL Leipzig