IM INTERVIEW: HERBERT HANS GRÜNTKER

"Schmalhans ist Küchenmeister"

Der Vorstandsvorsitzende der Frankfurter Sparkasse über die Risiken und Nebenwirkungen der extremen Niedrigzinsen

"Schmalhans ist Küchenmeister"

– Herr Grüntker, wir wollen über Risiken und Nebenwirkungen der extremen Niedrigzinsen sprechen. Wie wichtig ist der Zinsüberschuss überhaupt für die Banken und Sparkassen?Bezogen auf die Gesamtheit der deutschen Kreditinstitute, macht der Zinsüberschuss fast 72 % der operativen Erträge aus, wie die Bundesbank kürzlich für das Jahr 2013 vorgerechnet hat. Bei Sparkassen liegt der Anteil – bedingt durch das Geschäftsmodell – eher bei 80 %. Wir sprechen hier also über die mit Abstand wichtigste Ertragsgröße.- Nun warnen nicht zuletzt die Sparkassen seit langem vor den negativen Auswirkungen der Niedrigzinsen auf die Ertragslage. Tatsächlich ist von diesen Folgen noch nichts zu sehen, der Branche geht es alles in allem recht gut. Hat man die Pferde scheu gemacht?Keineswegs. Richtig ist, dass sich die Niedrigzinsen in den meisten Gewinn-und-Verlust-Rechnungen unterm Strich noch nicht spürbar niedergeschlagen haben. Das hat im Wesentlichen drei Gründe. Erstens: Der Risikovorsorgebedarf im Kreditgeschäft ist seit einigen Jahren äußerst überschaubar. Zweitens: Gerade Sparkassen bilanzieren traditionell konservativ. Und drittens: Der Zinsüberschuss bewegt sich eher wie ein Tanker, nicht wie ein Schnellboot.- Gehen wir die drei Punkte durch. Wertberichtigungen waren in jüngerer Zeit in der Tat eine Marginalie, wenn die Institute nicht sogar Kreditvorsorge auflösen konnten. Wie kommt’s?Neben der vorsichtigen Risikopolitik kommt den Primärinstituten sicher die bisher erfreuliche konjunkturelle Entwicklung in Deutschland entgegen. Bei den Immobilienfinanzierungen, die für Sparkassen typischerweise eine große Rolle spielen, mag auch die günstige Wertentwicklung der jüngeren Vergangenheit mitgeholfen haben. Das führt zu den guten Risikoergebnissen. Die Standardrisikokosten, die jede Bank und Sparkasse einplant, wurden in vielen Fällen nicht gebraucht. Für unser Haus kann ich sagen, dass die Situation auch aktuell unauffällig ist. So wird der Druck auf das Zinsergebnis teilweise abgefedert.- Zweiter Punkt: konservative Bilanzierung. Was heißt das?Möglichkeiten, die Zukunft zu entlasten, werden im Rahmen der zulässigen Bilanzierungsspielräume rege genutzt. Sparkassen sind nicht börsennotiert und müssen daher nicht quartalsweise Gewinne ausweisen, die von Analysten daraufhin überprüft werden, ob sie die Markterwartungen erfüllen.- Ein Beispiel?Nach dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) von 2009 musste die Frankfurter Sparkasse ihre Pensionsrückstellungen neu bewerten und nach dem Erfüllungsbetrag ansetzen und auch abzinsen. Den Umstellungsaufwand von rund 37,3 Mill. Euro hätten wir über 15 Jahre bis 2024 strecken können. Wir haben uns dann aber aufgrund unseres sehr erfolgreichen Geschäftsjahres 2012 entschlossen, den gesamten ausstehenden Restbetrag im damaligen Abschluss zu verarbeiten. Dies entlastet ganz konkret die Ertragsrechnung in den kommenden Jahren.- Womit wieder einmal bestätigt wird, dass gute Bilanzen noch besser sind, als sie aussehen.So ist es. Und umgekehrt.- Ihr dritter Punkt: der Tanker.Wenn ein Tanker seine Richtung ändert, bekommen Sie das am Anfang gar nicht mit. Wenn er aber erst einmal die Richtung geändert hat, findet er so schnell nicht wieder in die alte Spur zurück. Auf die Zinsen übertragen: Die negativen Folgen eines Zinsrückgangs kommen mit Verzögerung in der Erfolgsrechnung an. So weit die gute Nachricht. Die schlechte: Wenn der Zins wieder ansteigt, dauert es auch länger, bis man den positiven Effekt in der Gewinn-und-Verlust-Rechnung spürt.- Haben Sie auch dazu ein Beispiel?Ich nenne Ihnen ein Beispiel anhand von Credit Spreads. Angenommen, eine Sparkasse hat 2011 einen Teil ihres Depot A, also der Eigenanlagen, für fünf Jahre in Top-Corporate-Adressen investiert. Dafür gab es damals einen Aufschlag auf den Assetswap von 150 Basispunkten. Diese 150 Basispunkte bekommen Sie heute immer noch – und ein Plus im Bewertungsergebnis Wertpapiere obendrauf, denn aktuell beträgt der Aufschlag nur noch 65 Basispunkte. Das heißt, hier tut der Zinsrückgang bisher überhaupt nicht weh, im Gegenteil. Wenn diese Titel aber 2016 fällig werden, muss das Geld auf dem dann absehbar immer noch extrem niedrigen Zins- und Credit-Spread-Niveau reinvestiert werden.- Wenn ein Institut sein Depot A in diesem Zeitraum immer kurzfristig, zum Beispiel über die EZB, refinanziert hat …… dann hat es seine Marge durch den seither eingetretenen Zinsrückgang sogar ausweiten können.- So schön bleibt die Entwicklung aber nicht, die positiven Effekte laufen irgendwann aus, der Tanker ändert doch die Richtung. Was passiert dann?Auf der Passivseite sinken die Zinsmargen. Die Reagibilität der Kundenkonditionen ist ja nicht mehr gegeben. Mit dem Bodensatz aus den Einlagen auf laufenden Konten, der teilweise mit etwas längeren Fristen angelegt werden kann, war in den Jahren 2010 bis 2012 bei einem typischen Mischungsverhältnis eine durchschnittliche Marge von etwa 2,5 % erzielbar. 2015/2016 wird es voraussichtlich maximal die Hälfte sein. Das sind rollierende Sätze. In den dann vielleicht 1,25 % Marge sind also noch die vergleichsweise guten Zinsen drin, die vor ein paar Jahren erzielbar waren. Übrigens: Eine oft übersehene Nebenwirkung ist, dass unter der Niedrigzinsphase auch der Provisionsüberschuss leidet.- Was hat der Provisionsüberschuss mit den Niedrigzinsen zu tun?Die Niedrigzinsen beeinträchtigen das Sparverhalten allgemein. Die Sparquote ist in Deutschland mit Ausbruch der Finanzmarktkrise von rund 10,5 % auf 9 % gesunken. Das wirkt sich auch auf Sparformen im Wertpapierprovisionsgeschäft aus. Erschwerend kommt hinzu, dass die Beratung der Kunden heutzutage aufgrund der Regulatorik und der Verunsicherung der Kunden noch zeitaufwendiger ist beziehungsweise kaum nachgefragt wird.- So weit das Kundengeschäft. Wie sieht es mit der Anlage des Eigenkapitals aus?Sparkassen legen ihr Eigenkapital typischerweise zehn Jahre rollierend an. Daraus ergibt sich eine Duration von gut vier Jahren. Der maßgebliche gleitende Durchschnitt der Swapsätze lag im September 2010 noch bei 4,25 %, vier Jahre später hat er die Marke von 3,25 % unterschritten, und in weiteren vier Jahren werden wir nach unserer Prognose bei konstantem Zinsniveau bei 2 % herauskommen. Das heißt, wir verlieren bei den Eigenanlagen im Vergleich zu heute noch einmal mehr als einen Prozentpunkt. Dann gibt es noch eine weitere Nebenwirkung der Niedrigzinsen, die häufig vergessen wird: die Abzinsungspflicht aller längerfristigen Rückstellungen – vor allem der Pensionsrückstellungen.- Was hat es damit auf sich?Die Bundesbank gibt uns dafür den Zinssatz vor: Zugrunde zu legen ist der Satz für eine Restlaufzeit von 15 Jahren rollierend über sieben Jahre. Man kann es kaum glauben: Dieser Satz lag Ende 2013 noch bei 4,88 %. In diesem Jahr wird er, so schätzen wir, auf 4,54 % sinken, und 2015 dürfte es um weitere 60 Basispunkte runtergehen, 2017 liegen wir vielleicht noch einen Schnaps über 3 %.- Diese Zurechnung trifft alle Unternehmen, die längerfristige Verpflichtungen auf der Bilanz haben. Was kostet der Spaß für Ihr Haus?Bei der Frankfurter Sparkasse summiert sich die Belastung aus der Zinssatzänderung im Fünfjahreszeitraum 2013 bis 2017 auf mehr als 30 Mill. Euro – rund ein Drittel des absoluten Betrages unserer Pensionsrückstellungen von 90 Mill. Euro! Das geht also richtig ins Geld. Das ist auch einer dieser Effekte, die man erst mit Verzögerung spürt, dann aber umso schmerzhafter.- Ist Blasenbildung nicht auch eine Nebenwirkung der Ultraniedrigzinsen? Die Bundesbank konstatiert in Ballungsräumen bei Immobilien Überbewertungen bis zu 25 %.Mit Blick auf die heutige Ausgangslage bin ich dezidiert der Meinung, dass wir keine Blase am Immobilienmarkt haben. Als ich 2005 zur Frankfurter Sparkasse gekommen bin, hatten wir hier in der Stadt in großen Neubaugebieten Quadratmeterpreise für Eigentumswohnungen von 3 000 Euro. Heute ist es hier und da ein Drittel mehr. Aber die Kunden haben eine Zinsersparnis von mindestens 2 Prozentpunkten, die sie ganz oder teilweise – das empfehlen wir jedenfalls nachdrücklich – für die Tilgung einsetzen. Und die günstigen Zinsen werden in aller Regel auf zehn Jahre festgeschrieben.- Das sieht dann recht solide aus.Das sind bei angemessenem Einsatz von Eigenkapital sehr solide Finanzierungsstrukturen, denn nach Ablauf von zehn Jahren ist die Restvaluta so niedrig, dass sie einen spürbaren Marktpreisrückgang verkraften kann. Es gibt aber noch einen zweiten Grund, warum ich nicht an Übertreibungen glaube: Die Mieten laufen zumindest in Frankfurt mit den Kaufpreisen mit, wenn sie nicht sogar vorauslaufen. Alles in allem kann ich zum jetzigen Zeitpunkt keine Entwicklung erkennen, die mir mit Blick auf das Bewertungsergebnis Kredit Sorgen bereiten würde.- Die Kundengelder der Frankfurter Sparkasse von rund 14,5 Mrd. Euro bestehen zu mehr als 80 % aus potenziell “flüchtigen” Sichteinlagen, während im Aktivgeschäft zunehmend lange Zinsbindungen gefragt sind. Wie steuern Sie das aus?Unser Haus hat einen deutlichen Passivüberhang. Dem von Ihnen genannten Einlagenvolumen stehen im originären Kundenkreditgeschäft Forderungen von rund 7 Mrd. Euro, davon rund 5 Mrd. Euro längerfristig, gegenüber. Das ist schon mal eine sehr entspannte Relation. Zudem haben wir unseren Einlagenbestand in den vergangenen Jahren ungeachtet des hohen Anteils der Sichteinlagen halten oder ausbauen können. Richtig ist, dass als Folge der auf beiden Seiten der Bilanz auseinanderlaufenden Fristen ein tendenziell wachsendes Zinsänderungsrisiko bleibt, das wir natürlich steuern und absichern müssen.- Aber das kostet Geld.Klar, aber das gehört zu unserem täglichen Handwerk, davon wachsen mir keine grauen Haare. Sie müssen zudem bedenken, dass längerfristige Einlagen auf der Kundenseite die Sparkasse ja auch mehr Geld kosten würden.- Stichwort “Kundenseite”: Was bedeuten die Niedrigzinsen für den klassischen Sparkassenkunden? Dessen Altersvorsorgeplanung wird doch über den Haufen geworfen.Das ist leider die “neue Normalität”, an die wir uns wohl oder übel noch für längere Zeit werden gewöhnen müssen. Ja, die Erträge, ob aus Termin- und Spareinlagen, Sparplänen oder aus Lebensversicherungen, die unsere Kunden heute erwarten können, fallen deutlich niedriger aus als noch vor einigen Jahren. Sie haben Recht, dadurch werden in vielen Fällen Lebensplanungen in Frage gestellt. Sosehr die Kreditnehmer profitieren, leiden diejenigen, die Vorsorge fürs Alter betreiben, unter dieser Situation. Da findet eine Umverteilung statt.- Das trifft auch die, die mit ihrem Geld Gutes tun und dafür auf Zinserträge angewiesen sind, also zum Beispiel Stiftungen.Schmalhans ist Küchenmeister, das gilt auch für Stiftungen. Diese legen üblicherweise ihre Gelder in festverzinslichen Titeln an, nur wenige sind so groß, dass sie eine vernünftige Allokation im Immobilienbereich darstellen könnten. Bei festverzinslichen Wertpapieren greift aber der Effekt, über den wir gesprochen haben. Das spüren wir selbstverständlich auch in unserer eigenen Stiftung der Frankfurter Sparkasse.- Mit welchen Konsequenzen, mit welchen sozialen Folgen?Mit der Konsequenz, dass Aktivitäten auf den Prüfstand gestellt und letztlich auf einen Kern reduziert werden müssen. Die sozialen Folgen, die wir sehr bedauern, lassen sich nicht wegdiskutieren.- Hat dieses Zinsumfeld noch irgendetwas mit den fundamentalen Wirtschaftsdaten zu tun?Nicht nur wir beide sind uns darüber einig, dass die Preisbildungsfunktion des Zinses in unserer Volkswirtschaft außer Kraft gesetzt ist – mit Konsequenzen für unterschiedlichste Bereiche. Das ist ja fast schon eine Binsenweisheit. Jüngeren Datums ist dagegen die Erkenntnis, dass dieser Zustand über mehrere Jahre anhalten wird und nicht nur, wie man ursprünglich annehmen durfte, für eine eher kurze Zeitspanne. Auf diese Perspektive muss sich jeder verantwortliche Manager einstellen. Die Möglichkeiten gegenzusteuern sind bedauerlicherweise überschaubar. Auch eine sehr konservative Bilanzpolitik stößt irgendwann an Grenzen.- Sie könnten das Risiko ausweiten.Das werden wir ganz sicher nicht tun. Die Frankfurter Sparkasse hatte vor zehn Jahren eine harte Kernkapitalquote von gut 7 %, heute liegen wir bei mehr als 17 %. Das verschafft uns, um es zurückhaltend zu formulieren, regulatorisch einen gewissen Puffer. Aber wir leben in einer Zeit der Unsicherheit, deshalb denken wir nicht daran, höhere Risiken einzugehen.- Sie können auf der Kostenseite gegensteuern.Da waren wir auch bisher nicht untätig. Unser Verwaltungsaufwand im Jahr 2006 betrug 248,7 Mill. Euro, 2013 waren es 253,5 Mill. Euro, das ist ein Anstieg um gerade mal 2 % in sieben Jahren. Wir haben unter anderem die Stabs- und die Marktfolgebereiche verschlankt. Momentan schauen wir uns den Vertrieb an, weil beim gegebenen Zinsniveau auf absehbare Zeit nicht mit einer nachhaltig anziehenden Nachfrage nach Anlageprodukten wie in der Vergangenheit zu rechnen ist.- Das bedeutet Kapazitätsanpassungen. Auch Filialschließungen?Das Filialnetz ist das Herzstück unseres Vertriebes. Es geht um eine Anpassung der Kapazitäten im Vertrieb, namentlich in der Vermögensberatung.- Geht es der Frankfurter Sparkasse für solche Maßnahmen nicht zu gut?Anpassungen sind dann vorzunehmen, wenn sie notwendig sind, nicht dann, wenn sie leichter “vermittelbar” sind. Es gilt vorausschauend zu handeln.- Und was ist Ihre Vorausschau für die Frankfurter Sparkasse?Es gibt zwei entscheidende Kenngrößen, an denen wir uns orientieren: das harte Kernkapital und die Eigenkapitalrendite. Auf die Kernkapitalquote schaut die Aufsicht. Auf den Return on Equity schaut der Träger. Wir stellen uns auf mehrere Jahre mit rückläufigen Erträgen ein. Für die Jahre 2010 bis 2013 konnten wir jeweils zweistellige Eigenkapitalrenditen vor Steuern ausweisen in einer Bandbreite von 13,3 bis 16,9 %. Dabei haben wir die Kernkapitalquote von 13,7 % auf 16,6 % gesteigert. Ich gehe davon aus, dass wir uns vom nächsten Jahr an hinsichtlich der Eigenkapitalrendite mit einstelligen Werten werden abfinden müssen.—-Das Interview führte Bernd Wittkowski.