Schuldenschnitt vor dem Kadi

Oberster Gerichtshof in Wien muss über Klage eines Anlegers gegen hellenische Umschuldung entscheiden

Schuldenschnitt vor dem Kadi

Von Bernd Neubacher, FrankfurtOb die Haushaltssituation in Italien Anleger am Markt für Staatsanleihen 2019 verschrecken oder gar vollends in die Flucht schlagen wird, könnte sich nicht nur in Rom oder in Brüssel, sondern auch in Wien entscheiden. Und zwar am Schmerlingplatz 11. Dort steht am Obersten Gerichtshof Österreichs, in der Hauptstadt der Alpenrepublik gelegen zwischen Parlament, Hofburg und Naturhistorischem Museum, in diesem Jahr eine Entscheidung in einem Rechtsstreit an, die Wellen schlagen könnte – zumindest in Österreich. Es geht um griechische Staatsanleihen, deren Umschuldung und um die Frage, wie sich ein Privatanleger dagegen wehren kann.Leo Kuhn, in Wien wohnend, hatte über eine österreichische Depotbank hellenische Staatstitel gehalten, deren Nennwert von 35 000 Euro Griechenland im Zuge des Zwangsumtauschs 2012 reduzierte. Daraufhin klagte der Anleger vor österreichischen Gerichten. Griechenland dagegen argumentierte, die Justiz des Alpenlands sei gar nicht zuständig. Der Oberste Gerichtshof legte daher dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) diese Frage vor: Haben in einem solchen Rechtsstreit die Gerichte in dem EU-Mitgliedstaat zu entscheiden, den die Anleihebedingungen dafür vorsehen, oder in jenem, in welchem der Schuldner seinen im Anleihevertrag vereinbarten Pflichten nachkommt?Grundsätzlich bestimmt die sogenannte “Brüssel-1a-Verordnung”, dass die gerichtliche Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen dort liegt, wo der Beklagte sitzt – gerade in Vertragsangelegenheiten jedoch ist es demnach der Staat, wo Kontrakte erfüllt werden. Und Kuhn hatte darauf verwiesen, dass Hellas bis zum Tag des Anleiheumtauschs Zinsen auf sein Konto bei einer österreichischen Bank überwiesen hatte.Mitte November nun, anderthalb Jahre, nachdem das “Vorabentscheidungsersuchen” aus Wien eingegangen war, hat der EuGH entschieden. Die Botschaft aus Luxemburg: Die “Brüssel-1a-Verordnung” ist auf den Streit nicht anzuwenden, da der Disput “nicht unter den Begriff ,Zivil- und Handelssachen'” falle. Der griechische Staat habe vielmehr hoheitliche Rechte.Begründung: Mit der Umschuldung, ermöglicht durch eine gesetzlich verfügte, rückwirkende Umstrukturierungsklausel, habe der griechische Staat das im allgemeinen Interesse liegende Ziel verfolgt, die griechische Staatsschuld umzustrukturieren, um einen Zahlungsausfall des Landes zu verhindern und die Finanzstabilität im Euro-Währungsraum wiederherzustellen. Staaten sind immun Der EuGH hat mit seinem Urteil nicht über den nationalen Rechtsstreit entschieden; es ist nun vielmehr Sache der Wiener Richter, im Fall Kuhn gegen Hellenische Republik zu einem Verdikt zu kommen, allerdings im Einklang mit dem Richterspruch aus Luxemburg. Mit seiner Entscheidung habe der EuGH den kriselnden Staaten in der EU keinen Gefallen getan, heißt es nun bei Juristen. Folgt Austrias höchstes Gericht der Argumentation des EuGH, wofür nicht wenig spricht, kann es Kuhns Ansprüche kaum anerkennen. Denn nach dem Grundsatz der Staatenimmunität können Hoheitsakte eines Staates nicht von den Gerichten eines anderen Staates überprüft werden.In jedem Fall wird es interessant sein, die Auswirkungen des Wiener Richterspruchs zu verfolgen. Es ist nicht auszuschließen, dass er Investoren zum Rückzug aus Titeln von Staaten mit schwieriger Haushaltslage bewegt. Szenarien, in welchen Italien oder ein anderer EU-Staat hoheitlich tätig wird und Gläubigern dabei rückwirkend das Nominal von Anleihen kürzt, ohne dass sie sich privatrechtlich dagegen wehren können, werden sie vermeiden wollen.Wahrscheinlich wird aber auch in diesem Fall nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Denn zum einen weisen gemäß dem Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) schon seit Anfang 2013 alle neuen Staatsschuldtitel aus dem Euroraum mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr Umschuldungsklauseln auf, die sicherstellen, dass ihre rechtliche Wirkung im gesamten Währungsgebiet unabhängig von der Rechtsordnung gleich ist. Und zum anderen wäre der Effekt wohl auf die Alpenrepublik beschränkt.Hierzulande hatte der Bundesgerichtshof (BGH) im März 2016 entschieden, dass infolge der Staatenimmunität Griechenlands Anlegerklagen “auf deliktischer Grundlage unzulässig sind”, wie Wiebke Holzapfel, Associate bei der Hellas vertretenden Kanzlei Cleary Gottlieb Steen & Hamilton, im Februar 2018 der Börsen-Zeitung gesagt hatte. Im Dezember 2017 stellte der BGH fest, dass Griechenland auch für Klagen “auf vermeintlich vertraglicher Grundlage Staatenimmunität genießt”, wie Cleary-Gottlieb-Partner Thomas Kopp damals berichtete: “Diese Klagen sind als unzulässig abzuweisen, weil bereits die deutsche Gerichtsbarkeit nicht eröffnet ist.” Im Sommer 2016 waren Privatanleger aus Griechenland mit einer Klage gegen den Schuldenschnitt vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gescheitert. Das Ziel, Griechenland vor der Pleite zu bewahren, rechtfertige den Eingriff in die Eigentumsfreiheit, entschieden die Straßburger Richter damals.