Schweizer Banken zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Von Daniel Zulauf, ZürichEigentlich hätte 2018 für die Schweizer Großbanken zu einem Jubeljahr werden sollen. Schließlich ist es längst nicht mehr die Regel, dass beide Finanzkonzerne im gleichen Jahr schwarze Zahlen schreiben können. Im zurückliegenden Jahrzehnt war dies nur gerade fünf Mal der Fall. Doch obwohl die Führungsriegen von UBS und Credit Suisse ihren Aktionären auf den bevorstehenden Hauptversammlungen mit ansehnlichen Zahlen vor die Augen treten können, werden sie sich von diesen keinen warmen Empfang erwarten dürfen.In einer Publikumsgesellschaft muss sich der Mehrwert für die Aktionäre letztlich im Aktienkurs beziehungsweise in der Börsenbewertung der Unternehmen niederschlagen. Und gerade im vergangenen Jahr, als das herbstliche Börsengewitter auch in der Schweiz die wichtigsten Kursbarometer um rund ein Zehntel nach unten drückte, gab es bei vielen Großbank-Aktionären lange Gesichter. Obschon der Credit Suisse die Rückkehr in die Gewinnzone gelungen ist, hat sich der Börsenwert des Finanzkonzerns 2018 um nicht weniger als 17 Mrd. auf nur mehr 28 Mrd. sfr verringert. Verrechnet man diesen Wertverlust mit den 670 Mill. sfr, welche die Aktionäre als Dividende erhalten, ergibt sich ein Verlust von Aktionärswert von über 16 Mrd. sfr. Zu diesem miserablen Ergebnis passen die hohen Löhne des Konzernchefs und seiner Manager denkbar schlecht. Für Konzernchef Tidjane Thiam ging das Jahr mit einer Lohnerhöhung um 30 % auf 12,7 Mill. sfr zu Ende.Aus der gleichen Perspektive sieht das zurückliegende Jahr auch für die UBS alles andere als rosig aus. Zwar kann die Bank ihren Eigentümern 2,7 Mrd. sfr an Dividenden zahlen – so viel hat es seit der Finanzkrise noch nicht gegeben. Doch auch bei der größten Schweizer Bank hat die negative Kursentwicklung eine Wertvernichtung von netto 10,6 Mrd. sfr nach sich gezogen. Obwohl Chief Executive Officer Sergio Ermotti für diese Leistung keine Lohnaufbesserung einstreichen konnte, bleibt er mit einem Jahresgehalt von 14,1 Mill. sfr der bestbezahlte Manager einer Schweizer Publikumsgesellschaft. Auch dies dürfte bei den Aktionären einen ziemlich schrägen Eindruck hinterlassen. Offenkundige DiskrepanzenNatürlich sind den Bankmanagern diese offenkundigen Diskrepanzen wohl bewusst. So macht die UBS-Führung im aktuellen Geschäftsbericht keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung, dass die Börse ihre Leistungen nicht anerkennen will. Das Problem sehen die Verantwortlichen aber mehr außerhalb als innerhalb des eigenen Instituts. Ermotti und dessen Präsident Axel Weber schreiben in ihrem Brief an die Aktionäre, der aktuelle Aktienkurs entspreche nicht dem langfristigen Wert der Bank und deren Marktposition.Doch der Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist offenkundig, und er wird auch im langfristigen Vergleich kaum kleiner. In den Jahren 2011 bis heute ist der Börsenwert der UBS gerade einmal um 9 % bzw. um 4 Mrd. sfr gestiegen. Bei der Credit Suisse betrug der Anstieg immerhin 15 %, die Bewertung von 31 Mrd. sfr liegt aber auch dort weit von dem entfernt, was man als gerechtfertigt ansehen würde. Das gängige Argument der Schweizer Großbanken ist jenes der Sippenhaftung. Man werde im Markt zu Unrecht als europäische Adressen wahrgenommen, was sich vor allem im Vergleich mit der US-Konkurrenz äußerst ungünstig auf die Bewertung auswirke. Tatsächlich aber gehöre man mit den weltweit ausgerichteten Vermögensverwaltungsaktivitäten und dem auf dieses Angebot zugeschnittenen Investment Banking zu den globalen Spielern.Doch Risiken erkennen die Investoren offensichtlich nicht nur im europäischen Kreditgeschäft – diese sind in den vergangenen Jahren im Zuge heftiger konjunktureller Einbrüche bisweilen brutal zutage getreten. Vielmehr zeigt die Erfahrung, dass auch im Geschäft mit der grenzüberschreitenden Vermögensverwaltung erhebliche Gefahren lauern, die für die Aktionäre teuer werden können. Das zeigt im Fall der UBS der aktuelle Steuerstreit in Frankreich, der bislang gar nicht nach dem Drehbuch der Bank verläuft. Ins Auge fällt die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit auch bei einem simplen Vergleich von bereinigten und ausgewiesenen Gewinnzahlen. Für die Zeit von 2012 bis 2018 hat die UBS ein um außerordentliche Rückstellungen und Restrukturierungsaufwendungen bereinigtes Vorsteuerergebnis von kumuliert rund 34 Mrd. sfr gezeigt. Der tatsächlich ausgewiesene Nettogewinn belief sich kumuliert auf knapp 20 Mrd. sfr. Die Differenz von 14 Mrd. sfr lässt sich bei weitem nicht nur mit den Steuern erklären. Vielmehr zeigt sie, dass vermeintliche Sonderaufwendungen jährlich wiederkehren und zum Alltag einer Großbank geworden sind. Bei der Credit Suisse ist das Ergebnis der Rechnung noch viel offensichtlicher. Der kumulierte ausgewiesene Nettogewinn der Bank in der siebenjährigen Beobachtungsperiode liegt gerade mal bei knapp 1 Mrd. sfr. Damit hat die kleinere der beiden Großbanken nicht einmal im Ansatz die in der gleichen Zeit ausgeschütteten Dividenden von 7,5 Mrd. sfr verdient. Bei der UBS lagen die Dividendenzahlungen von kumuliert gut 15 Mrd. sfr immerhin noch deutlich unter dem Niveau der ausgewiesenen Gewinne. Wenig gefallen dürfte den Aktionären auch der Umstand, dass es für die Chefs der beiden Großbanken zwischen 2012 und 2018 Lohnsteigerungen um je um die 60 % gegeben hat. Allein diese Zahl vermag zu belegen, dass es in den Führungsetagen der beiden Institute an Realitätssinn mangelt.