Schwellenländer im Fokus
Peter Becker Investmentdirektor für Anleihen bei der Capital GroupDas Wachstum ist zurzeit eher mäßig. Das liegt nicht nur an China, den USA, Europa und Japan, sondern auch an den Entwicklungen in den Schwellenländern selbst. Einerseits scheinen die Bewertungen günstig, andererseits gibt es Zweifel an den Fundamentaldaten und der Konjunktur. Und doch halten wir die Ertragsaussichten von Emerging-Market-Anleihen noch immer für gut. Seit Jahresbeginn hat die Assetklasse gute Erträge im hohen einstelligen Bereich erzielt, und für die nächsten ein bis drei Jahre erwarte ich in US-Dollar gerechnet etwa 5 % bis 8 %. Ich sehe kein anderes Anleihenmarktsegment mit ähnlichen Ertragsperspektiven.Günstiger bewertet scheinen uns Lokalwährungsanleihen. Die Zinsstrukturkurven sind steil und angesichts der noch immer niedrigen Inflation bieten viele Länder attraktive Realrenditen. Ein Großteil unserer Positionen in Lokalwährungsanleihen entfällt auf Länder mit einer sehr eigenen Entwicklung, etwa auf Ägypten und Nigeria. Hier bevorzugen wir kurzlaufende Schatzwechsel. Auch Emerging-Market-Anleihen ohne Investment-Grade-Status mit “BB”-Rating erscheinen uns in vielen Fällen noch immer attraktiv, während Titel mit höheren Ratings häufig teuer sind. Interessant bewertet sind zurzeit eurodenominierte Fremdwährungsanleihen. Abgesichert in US-Dollar ist ihre Rendite im Vergleich zu US-Dollar-denominierten Papieren hoch: Oft lassen sich 100 Basispunkte mehr verdienen. Fundamental haben wir eine Zeitlang auf Indien gesetzt. Wir schätzen das Land noch immer. Der Wahlausgang war gut für die Wirtschaft, die Kreditqualität verbessert sich und wir halten die Renditen für attraktiv.In Russland haben sich die Fundamentaldaten verbessert. In der Türkei machen zwar die oft unberechenbare Politik und weltpolitische Risiken Sorgen, aber wir halten türkische Anleihen für recht interessant. In Lateinamerika ist Wachstum ein Thema. Schon seit fünf Jahren ist das Wachstum in Mexiko und Brasilien schwach. Eine lange Duration kann sich daher auszahlen, aber wir müssen auch die Währungsentwicklung im Auge behalten.Unseren Informationen zufolge hat das Wachstum in China kräftig nachgelassen. Geld- und Fiskalpolitik wurden aber gelockert und die Mindestreserveanforderungen für die Banken wurden gesenkt, damit sie mehr Kredite vergeben. Der Spielraum der Geld- und Fiskalpolitik ist allerdings kleiner als 2008/2009. Damals waren große staatliche Ausgabenprogramme kein Problem. Heute ist das anders und wir sorgen uns um die Gesundheit des Schattenbankensystems. Außerdem versuchen die Behörden jetzt, mehr gegenläufige Ziele miteinander in Einklang zu bringen.Vermutlich wird die Fiskalpolitik noch expansiver und auch die Geldpolitik könnte weiter gelockert werden. Gemessen an der Wirtschaftslage ist all dies aber nicht sehr bald zu erwarten. Man wird daher noch länger auf greifbare Ergebnisse warten müssen und das Wachstum dürfte weiterhin unter dem Trendwachstum liegen.Sollte der US-Dollar schwächer werden, wäre dies für die Emerging Markets in aller Regel gut – falls die Fed angemessen darauf reagiert. Bei einem schwachen US-Dollar sind die US-Zinsen meist gefallen, was für die Emerging Markets günstig war, selbst wenn das Wachstum in den USA nachgelassen hat. Wenn die Notenbank aber durch eine restriktivere Geldpolitik für einen steigenden US-Dollar sorgt, würden auch die Finanzbedingungen für die Emerging Markets straffer, was für einigen Gegenwind sorgen würde. Einstweilen rechnen wir aber nicht mit einem klaren Trend, weder in die eine noch in die andere Richtung.Die Emerging-Market-Währungen sind günstig bewertet, aber nicht so günstig, dass sie ohne einen Konjunkturaufschwung stabil bleiben können. Angesichts der aktuellen Wirtschaftslage in China und Europa ist eine Aufwertung der Emerging-Market-Währungen daher eher unwahrscheinlich.