ANSICHTSSACHE

Sepa ist nicht verschoben

Börsen-Zeitung, 17.1.2014 EU-Finanzkommissar Barnier hat in einem unter Volldampf fahrenden Zug kurz vor Erreichen des Zielbahnhofs die Notbremse gezogen - mit seinem überraschenden Vorstoß in letzter Minute, eine zusätzliche Übergangsfrist von...

Sepa ist nicht verschoben

EU-Finanzkommissar Barnier hat in einem unter Volldampf fahrenden Zug kurz vor Erreichen des Zielbahnhofs die Notbremse gezogen – mit seinem überraschenden Vorstoß in letzter Minute, eine zusätzliche Übergangsfrist von sechs Monaten für die Einführung des europäischen Zahlungsverkehrs Sepa festzulegen. Und damit einen Halt an einem provisorischen Bahnsteig erzwungen. Das ist nicht ungefährlich. Viele kleine und mittlere Unternehmen sind gerade auch wegen der vielen öffentlichen Mahnungen und Warnungen auf einem guten Weg gewesen, sich noch auf den letzten Metern sepafit zu machen. Diese Anstrengungen dürfen jetzt auf keinen Fall unterbrochen werden – trotz der Fristverlängerung. Nur ein NothaltDeshalb ist es ganz wichtig zu betonen: Sepa ist nicht verschoben. Es bietet sich lediglich die letzte Chance für Unternehmen, die bisher noch nicht ganz fertig sind, die Umstellung auf die neuen Sepa-Verfahren abzuschließen, Testläufe zu planen, mögliche Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Dabei werden die Banken sie, wie bisher, weiter unterstützen. Denn eines muss klar sein: Diese zusätzliche Haltestelle kann nur ein schnell gezimmertes Provisorium aus rohen Balken sein, das nicht beliebig viele Passagiere aufnehmen kann. Banken werden sich daher mit den Unternehmenskunden, die noch nicht sepafähig sind, individuell abstimmen müssen, ob und wie der Nothalt genutzt werden kann.Wir begrüßen, dass die Einigung über den Barnier-Vorschlag zwischen Europäischem Parlament und Rat auf einem guten Weg ist. Damit erhalten alle Beteiligten die notwendige Klarheit über das weitere Vorgehen. Die deutsche Kreditwirtschaft hängt gewissermaßen in der Luft, solange es diese Klarheit nicht gibt. Jetzt zusätzliche KostenFür die Banken ist das Ganze keine einfache Situation. Die Institute haben einen beträchtlichen Aufwand betrieben, damit den Unternehmen weit vor dem Stichtag genug Unterstützung gegeben werden konnte und eine mögliche technische Zahlungsunfähigkeit vermieden wird. Entsprechend ist viel passiert, denn der Prozentsatz der Unternehmen und Vereine, die auf die neuen Verfahren umgestellt haben, ist in der letzten Zeit sprunghaft gestiegen. Aber Ende 2013 wurde klar: In einigen Mitgliedstaaten wie Deutschland und Frankreich waren immer noch mehr als die Hälfte der Zahlungen in der alten Welt, gerade Lastschriften. Und die Politik fragte sich, ob Europa die Umstellung quasi in letzter Minute schafft. Aber anstatt den eigenen Worten zu vertrauen, dass es keinen Plan B geben werde und geben könne, preschte der französische Kommissar Barnier mit seinem überraschenden Vorstoß kurz vor Toresschluss dazwischen. Natürlich wollten wir dafür sorgen, dass kein Unternehmen auf der Strecke bleibt. Auch wenn jemand es nicht ganz geschafft hätte, hätten die Banken beratend und helfend zur Seite gestanden und die Kunden “mitgezogen”. Dadurch gab es in den Häusern einen deutlich erhöhten Personalaufwand. Nun kommen zusätzliche Kosten in erheblichem Umfang auf die Kreditwirtschaft zu, weil die Institute die beiden Zahlungsverkehrssysteme länger als geplant parallel laufen lassen müssen.Dies alles sehen wir mit gemischten Gefühlen. Einerseits verschafft die Fristverlängerung einigen Unternehmen die nötige Luft, die Umstellung auf Sepa zum Abschluss zu bringen. Das ist generell positiv zu bewerten. Dabei denke ich auch ausdrücklich an andere Euro-Länder, die vielleicht noch etwas hinterherhinken. Andererseits werden durch den Kommissionsvorstoß alle bereits unternommenen Anstrengungen kurz vor Schluss torpediert. Und das, nachdem die Kommission zuvor jegliche Verhandlungsversuche seitens der Kreditwirtschaft über kundenfreundliche und längere Übergangsfristen im Keim erstickt hat. Das ist ärgerlich.Wie hat das Ganze angefangen? Ich darf noch mal alle Kritiker und Spötter daran erinnern: Der einheitliche Euro-Zahlungsverkehrsraum ist ein politisches Projekt. Denn die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, den Binnenmarkt zu schaffen und dabei auch den Euro-Zahlungsverkehr zu integrieren. Es nehmen die 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie Island, Liechtenstein, Monaco, Norwegen, San Marino und die Schweiz teil. Mehr als 500 Millionen Bürger und 20 Millionen Unternehmen können genauso sicher, günstig und komfortabel bezahlen wie heute im Inland. So weit die Theorie des Jahres 2002, als das Projekt begonnen wurde. Aber was ist tatsächlich passiert?Die Kreditwirtschaft hatte ihre Hausaufgaben gemacht, die europäischen Verfahren wurden gemeinsam entwickelt und Anfang 2008 bei Überweisungen und Ende 2009 bei Lastschriften eingeführt. Aber Ende 2010, also drei Jahre nach Einführung, waren im Euroraum erst ein Zehntel der Überweisungen umgestellt – in Deutschland gar nur ein Hundertstel. Also stand die Politik vor der Frage, ob das Vorhaben aufgegeben oder gesetzlich festgeschrieben werden muss. Die Antwort ist bekannt: 1. Februar 2014 sollte der Stichtag sein. Ohne Wenn und Aber. Das war im März 2012. Aber zwei Jahre später entstand bei Kommissar Barnier offenbar der Eindruck, er müsse im Alleingang die Notbremse ziehen. Keine VerschnaufpauseSei es, wie es sei, – diese letzte Chance muss ergriffen werden, denn ich sehe durchaus die Gefahr, dass wir im Sommer wieder an der gleichen Stelle stehen wie heute. Es darf sich daher jetzt auf keinen Fall zurückgelehnt und eine Verschnaufpause eingelegt werden. Im Gegenteil: Unternehmen und Vereine sollten weiter den 1. Februar als Stichtag im Blick haben und den Hebel jetzt umlegen. Nur dann sind sie in jedem Fall auf der sicheren Seite.——-Dr. Michael Kemmer ist Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken, Berlin.In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——–Von Michael Kemmer Es besteht die Gefahr, dass wir im Sommer mit Sepa wieder an der gleichen Stelle stehen wie heute.——-