Siemens stellt die Finanzierung neu auf

Kleine Volumen statt Multi-Millionen-Tickets im künftigen Kerngeschäft - Finanzsparte gibt Treasury an die Konzernzentrale ab

Siemens stellt die Finanzierung neu auf

Siemens baut nicht nur das Industrie- und Energiegeschäft völlig um. Auch die Konzern-Finanzierung verändert ihr Gesicht. Statt Milliarden-Tickets sind künftig kleine Finanzierungen gefragt. Darüber hinaus wanderte die Verantwortung für das Treasury von der Sparte Financial Services in die Konzernzentrale. Von Michael Flämig, MünchenDie Corporate-Identity-Strategen von Siemens tauchen gewöhnlich alle Unternehmensteile in eine blau-grüne Konzernfarbe. Als die Aufsichtsräte jüngst über den Umbauplänen des Vorstandsvorsitzenden Joe Kaeser brüteten, fiel ihnen eine Anomalie auf: Die Folien zeigten die Finanzsparte in Rot. In einer Zeit, in der vermeintliches Kerngeschäft in München aussortiert wird, provozierte dies Fragen. Die Antwort von Kaeser lautete: “Es ist so, weil das Wesen von Siemens Financial Services sich fundamental ändern wird.”Mit dieser Geschichte, die Kaeser auf dem Siemens-Kapitalmarkttag erzählte, wird klar: Die Aufteilung des Konglomerats greift über den Alltag in den Fabriken hinaus. Es verändert auch die Finanzierung des Geschäfts. Insbesondere die geplante Abtrennung des Kraftwerk- und Windparkbaus in ein börsennotiertes Unternehmen, an dem Siemens nur noch eine Minderheit halten wird, zwingt die Finanzsparte SFS zu einem Umbau des Geschäftsmodells.Dies trifft einen Koloss in der deutschen Finanzszene: Mit weit mehr als 3 000 Beschäftigten wuppte SFS im vergangenen Jahr ein Geschäftsvolumen von 28,3 Mrd. Euro. Die Finanzschulden betrugen 24,2 Mrd. Euro und sind mit einem zugeordneten Eigenkapital von 2,7 Mrd. Euro unterfüttert. Die Profitabilität ist exzellent, im vergangenen Jahr blieb ein Gewinn vor Steuern von 653 Mill. Euro hängen (siehe Grafik). Zielrendite erhöhtDamit beträgt die Eigenkapitalrendite nach Steuern 20 %. Sie landet seit Jahren so regelmäßig am oder über dem oberen Ende des Zielbandes von 15 % bis 20 %, dass die Spanne am Beginn des Geschäftsjahres 2018/19 (30. September) von 15 % auf 22 % aufgestockt wurde. Die Deutsche Bank hatte einst Prügel für eine Vorgabe erhalten, die eine Rendite in nur leicht höherer Größenordnung anpeilte – aber vor Steuern.Was wird sich für Financial Services ändern? Seit April ist die Sparte schon nicht mehr für das Treasury, die Versicherungen und das Management der Pensionen zuständig. Die Aktivitäten mit weit mehr als 500 Beschäftigten gingen zur Zentrale, für SFS arbeiten seit April noch 2 800 Personen. In die Zukunft gewandt hat Kaeser noch eine weitere Antwort: Aktuell werde der Großteil der Mittel für die Projektfinanzierung und damit verbundene großvolumige Aufträge eingesetzt. Natürlich könne auch der künftige Energie-Konzern auf SFS zurückgreifen. Aber es werde eine andere Art der Zusammenarbeit werden, ist für Kaeser klar – eben über die Grenzen der Siemens AG und der sogenannten NewCo hinweg. Langfristig werde sich der Arbeitsinhalt von SFS ändern. “Projektmanagement und -finanzierung wird an die NewCo übergehen”, sagt Kaeser voraus. Dort herrscht jede Menge Bedarf. Kunden forderten für große Projekte zunehmend Eigenkapital-Beteiligungen des Kraftwerk-Herstellers, heißt es im Siemens-Geschäftsbericht 2017/18.Nun wird nichts so heiß gegessen, wie es in der Küche zubereitet wurde. Kaeser spricht denn auch von einer langfristigen Perspektive, und sein Finanzvorstand Ralf Thomas gab jüngst die Einschätzung zu Protokoll, dass die SFS-Bilanz wohl weiterhin zu einem starken Teil aus Assets im Rahmen der Kraftwerksfinanzierung bestehen werde.Aber auch Thomas streicht heraus, dass SFS im Industriegeschäft neue Finanzierungsmodelle für wachsende und teils komplett neue Kundensegmente entwickeln werde. Dort gebe es eine große Chance für die Finanzsparte. Man müsse so früh wie möglich die Bedürfnisse der Kunden erkennen und dann daran aufgehängt Produkte entwickeln.Was bedeutet dies konkret? Kaeser erwartet niedrigere Finanzierungen – derzeit fangen die Volumina im SFS-Portfolio zwar bei 1 000 Euro je Projekt an, sie reichen aber bis über 1 Mrd. Euro. Außerdem prophezeit er eine plattformorientierte, leicht zu nutzende Finanzierung. Diese sei beispielsweise in der Gebäudetechnik einzusetzen. Darüber hinaus könne der Software-Absatz an jene Kunden, die nicht per Kauf, sondern per Nutzung zahlten, auch eine Finanzierungskomponente haben. Frage nach EigentümerschaftWelche Folgen hat die Neuaufstellung für die Risikoposition von Siemens? Immerhin trage dann ein Geschäft mit einem Umsatz von 50 bis 55 Mrd. Euro eine SFS-Verschuldung von fast 25 Mrd. Euro, rechnete jüngst ein Analyst dem Management vor – diese könne ja Auswirkungen auf die Überlegung zur Eigentümerschaft an der Sparte haben, die 2010 den Zusatz “Siemens” aus ihrem Namen gestrichen hatte und seitdem als Financial Services agiert. Thomas ging nicht explizit darauf ein, ob Siemens die Sparte abgeben könnte. Er betonte aber, er sehe keine außerordentlichen Einflüsse auf das SFS-Risikoprofil durch die Portfolio-Veränderung.Thomas wies zudem darauf hin, dass Financial Services seit rund zwei Jahren die Assets im Tempo des Portfolios steigere. Zuvor hatte es eine Phase sehr kräftigen Wachstums gegeben, die SFS-Chef Roland Chalons-Browne schon zu Beginn der Expansion unter anderem damit begründet hatte, dass SFS in den aufstrebenden Märkten eine gewisse Größe haben müsse (vgl. BZ vom 18.10.2012). Für Kaeser allerdings ist heute klar: Der aktuelle Umbau des Konzerns stelle einen fundamentalen Abbau von Risiken auch in der Finanzierung dar.