Sorge um Sparfähigkeit der Haushalte
ab Köln – Die durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine beschleunigte Inflationsspirale beunruhigt die Sparkassen in vielfältiger Hinsicht. „Wir haben die Sorge, dass uns im Zuge der Inflation wegen der Tarifabschlüsse die Kosten um die Ohren fliegen“, sagte Liane Buchholz, Präsidentin des Sparkassenverbands Westfalen-Lippe (SVWL), vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung. Zum anderen geht es um die finanzielle Situation weiter Teile der Bevölkerung. „Etwa 42 % der Haushalte sind schon heute nicht mehr sparfähig. Zum Ende des Jahres dürften schon 60% aller deutschen Haushalte betroffen sein“, machte Buchholz deutlich. Daran ändere sich auch nichts, wenn die Europäische Zentralbank nun zügig den Kurswechsel einleite.
Die eingeschränkte Sparfähigkeit münde in einem Rückgang der Geldvermögensbildung. Schon heute gingen die Einlagen zurück. Die Politik dürfe dem nicht tatenlos zuschauen. „Die fehlende Sparfähigkeit von morgen ist die Altersarmut von übermorgen“, veranschaulichte Buchholz. Zugleich werde es für die betroffenen Haushalte schwierig bis unmöglich, an Kredite zu kommen. Die Folgen der Immobilienpreisentwicklung seien dabei noch gar nicht berücksichtigt. Die Kreditzinsen seien innerhalb kürzester Zeit um bis zu 2 % hochgeschnellt. „Das wirft viele Finanzierungspläne komplett über den Haufen.“
In den Zahlen der Sparkassen sei von dieser Entwicklung jedoch noch nichts zu sehen. Im Gegenteil: In den ersten vier Monaten des Jahres hätten die SVWL-Sparkassen 23 % mehr Darlehen vergeben als im Vorjahr. Allein die Zusagen für Wohnungsbaudarlehen lägen um 15 % über dem vergleichbaren Vorjahreswert. Die Wirtschaft sei robust, wie sich auch am NRW-Geschäftsklima ablesen lasse, das sich im Mai den zweiten Monat in Folge aufgehellt habe. Die Unternehmen haben den ersten Schock, den der Angriffskrieg auslöste, offenbar verdaut.
Auch in den Kreditausfällen zeichne sich noch keine Trendumkehr ab, wohl aber in der Ausfallerwartung, erläuterte Buchholz. Das liege auch daran, dass das Kreditgeschäft der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) etwa ein Jahr hinterherhinke. „Sollte es in diesem Jahr zu einem BIP-Einbruch kommen, dann wird es im nächsten Jahr zu scharfen Kreditausfällen kommen. Das ist ein Szenario, mit dem wir arbeiten“, sagte die Verbandspräsidentin.
Zugleich beklagt Buchholz die Orientierungslosigkeit in der Klimapolitik. Nordrhein-Westfalen werde die Energiewende alljährlich 10 % des BIP oder 72 Mrd. Euro kosten. Doch eine Antwort auf die Frage, wer das finanzieren solle, gebe es nicht. Die Sparkassen würden gerne ihren Beitrag leisten. „Ohne Unterstützung von Gesetzgebung und Regulatorik ist das jedoch nicht zu leisten“, sagte die SVWL-Chefin. Zwar gebe es politische Ziele, bis wann Klimaneutralität in der Wirtschaft erreicht werden solle, wie der Weg dahin gestaltet werde, bleibe aber offen. „Wir brauchen dringend Rahmenbedingungen für die Finanzierung dieser Schritte“, forderte Buchholz.
Für Sparkassen sei es kaum möglich, ihr Kreditportfolio „grün“ zu machen. beklagte sie. Schon allein aufgrund der kommunalen Trägerschaft sei nicht denkbar, dass ein Mittelständler, der sich keine Klimaziele stecke, aber für 3 000 Arbeitsplätze stehe, keinen Kredit mehr bekomme. Erst kürzlich hätten sich Sparkassen für einen Konsortialkredit zusammengetan, während die bei diesem Kredit involvierte Landesbank mit Verweis auf ihre nachhaltigen Kreditvergabekriterien abgewunken habe.
Vergleichbar gehe es beim Thema Energieeffizienz in der Wohnungswirtschaft zu. Aus Furcht vor einer Immobilienblase müssten die Banken einen 2-prozentigen Kapitalpuffer für Wohnimmobilienfinanzierungen bilden. Allein die SVWL-Sparkassen müssten in Summe 1 Mrd. Euro zurücklegen. Dieses Geld fehle für andere Finanzierungen. Zugleich strebe die neue Landesregierung an, schnell Energieeffizienzmaßnahmen in der Wohnungswirtschaft anzuleiern. „Die Banken brauchen die Beinfreiheit, um die Finanzierung auch an den Mann oder die Frau zu bringen“, forderte Buchholz.