Sozialen Aufstieg zu ermöglichen lohnt sich
Gastbeitrag
Sozialen Aufstieg zu ermöglichen lohnt sich für Banken
„Sich aus der Armut herauszuarbeiten ist schwer. Es gibt viele Hürden und der Weg kann psychisch belastend sein”, sagt Konstantinos Likas. Der 28-Jährige ist in Griechenland als Sohn einer griechischen Mutter und eines albanischen Vaters aufgewachsen. Die Familie war arm, der Vater im Ausland zahlte keinen Unterhalt. Die Schuldenkrise verstärkte die finanziellen Probleme und war die prägendste Erfahrung seiner Jugend.
Druck als ständiger Begleiter
Der Weg “raus aus der Armut" führte für Konstantinos über verschiedene Werkstudentenjobs, zwei Master-Abschlüsse und einige Umwege zu seinem Traumjob, in der Abteilung für Finanzkriminalität einer großen Bank in Frankfurt. Der Druck, mit Gleichaltrigen mithalten zu müssen, die viel bessere Startbedingungen hatten, hat ihn dabei immer begleitet.
Wie Konstantinos Likas geht es vielen, die Karriere machen wollen, aber mit weniger Möglichkeiten aufwachsen als Gleichaltrige. Die Eltern können nicht bei den Hausaufgaben helfen. Geld für Hobbys, Klassenfahrten und zur Studienfinanzierung fehlt. Auch Netzwerke, von denen Kinder aus Akademiker-Haushalten profitieren, gibt es in der Regel nicht. Welche Nachteile sich daraus ergeben, fällt ihnen meist auf, wenn sie sich mit Studienbeginn oder Berufseinstieg in einen Bereich vorwagen, mit dem sie im Elternhaus nicht in Berührung gekommen sind.
Weniger Wahlfreiheit
So ging es auch Jacqueline Lins. Die 31-Jährige ist in Thüringen aufgewachsen, die Welt ihrer Eltern wurde noch von der DDR geprägt. Der Vater Bauzeichner, die Mutter arbeitet im Einzelhandel. Beide sind nie aus dem Landkreis herausgekommen, in dem sie geboren wurden. „Ich habe erst im Studium gemerkt, dass ich nicht so privilegiert aufgewachsen bin wie andere“, sagt Jacqueline. „Mir ist da erst klar geworden, wie anders Gespräche am Esstisch ablaufen können, dass es ganz andere Vorstellungen von Urlaub gibt und wie viel freier andere bei der Wahl ihres Studienortes waren.“
Am Anfang habe ihr der Einblick gefehlt, was einen guten Studiengang, eine gute Uni ausmache, erzählt Jacqueline. Sie wechselte das Fach und entschied sich für die Schwerpunkte Buchhaltung, Informatik und Finanzen. „Nicht, weil das meine Herzensthemen waren“, sagt sie. Sondern weil der Abschluss beste Chancen am Arbeitsmarkt bot. Auf ein finanzielles Sicherheitsnetz von zu Hause konnte sie sich nicht verlassen.
Hohes Sicherheitsbedürfnis
Die Furcht, wieder in prekäre finanzielle Umstände abzurutschen, prägt viele Aufsteiger und Aufsteigerinnen. „Die Angst, wieder in die Armut zurückzufallen, aus der ich mich herausgearbeitet habe, macht mich vorsichtiger. Ich bewerte kritische Szenarien, wie eine Rezession oder eine Finanzkrise, viel stärker als andere ohne Armutserfahrung“, sagt Konstantinos. Auch Jacqueline weiß die Sicherheit ihrer Konzernkarriere als Head of Business Services bei einer französischen Bank sehr zu schätzen. Für sie war eine Werkstudentenstelle der entscheidende Türöffner.
„Das Image der Finanzbranche – weit weg von den Menschen, elitär und aufs Geld fixiert – hat nicht zu meinen Werten gepasst. Erst durch meine Arbeit als Werkstudentin habe ich gemerkt, dass das gar nicht stimmt“, sagt Jaqueline. Praktika und Stellen für Werkstudierende sind deshalb für sie die entscheidenden Stellschrauben, mit denen sich Unternehmen in der Finanzbranche mehr für soziale Aufsteiger öffnen könnten.
„Ich stelle auch Menschen ein, die bisher in einer Autowerkstatt gearbeitet oder Regale eingeräumt haben. Ich schaue mehr auf den Menschen und die Motivation und weniger auf die Qualifikationen auf dem Papier“, sagt sie. "Harte“ Qualifikationen stellen oft eine besondere Herausforderung beim sozialen Aufstieg dar. „Noten und Abschlüsse zählen im Finanzsektor sehr viel. Auch Auslandssemester werden erwartet, wenn man sich von der Masse abheben will. Diese Faktoren können Menschen, die aus ärmeren Schichten kommen, oft nur bis zu einem gewissen Grad beeinflussen“, sagt Konstantinos . Fehlendes Geld und der Druck, während des Studiums permanent sehr viel arbeiten zu müssen, können Auslandssemestern und Top-Abschlüssen im Weg stehen.
Das Sozialunternehmen Netzwerk Chancen arbeitet auch mit Finanzdienstleistern zusammen, denen wie BNP Paribas, LBBW oder EY soziale Vielfalt am Herzen liegt, um sozialen Aufstieg zu ermöglichen. Ein zentraler Punkt ist dabei die Gestaltung von Ausschreibungen. Wenn Unternehmen signalisieren, dass Motivation und Entwicklungspotenzial im Vordergrund stehen, sprechen sie damit auch Menschen an, deren Abschlüsse nicht ganz so gut sind oder an weniger renommierten Universitäten gemacht wurden.
Hang zur Selbstunterschätzung
Hinzu kommt, dass soziale Aufsteiger dazu neigen, sich trotz guter Leistungen zu unterschätzen. Eine ermutigende Ansprache, die eine Offenheit für ungerade Lebensläufe signalisiert, kann deshalb einen großen Unterschied machen. „Selbstzweifel sind die größte Hürde“, sagt Konstantinos. „Zu denken, man kann etwas nicht, auf Grund der Erfahrungen, die man gemacht hat“, das müsse er bis heute immer wieder bewusst ablegen. „Wenn man sich mit anderen vergleicht, muss man sich unbedingt bewusst machen, dass man nicht das gleiche Leben gelebt hat. Das hilft enorm, Druck rauszunehmen.“
Gute Führung gefragt
„Mir fällt es schwer, mich offensiv auf höhere Positionen zu bewerben“, sagt auch Jacqueline. „In meiner Erziehung war Bescheidenheit sehr wichtig und Überheblichkeit etwas ganz Schlimmes. Ich glaube, dass das immer noch nachwirkt.“ Entscheidend sei die Förderung durch Vorgesetzte gewesen, die sie immer wieder ermuntert hätten, den nächsten Schritt zu gehen und erfolgreich mehr Verantwortung zu übernehmen. Führungskräfte sollten daher wissen, welche Eigenschaften diese auszeichnen: Willensstärke, Resilienz und Fleiß. Aber mit dem Herauswachsen aus der eigenen Herkunftsschicht geht oft ein Gefühl von „hier gehöre ich nicht hin“ einher.
Gute und konstruktive Führung kann Aufsteiger dabei unterstützen, über sich selbst hinauszuwachsen. Jacqueline Lins und Konstantinos Likas sehen ihren sozialen Hintergrund inzwischen auch als Stärke. Sie bringen andere Horizonte und Perspektiven mit, können anderen die Tür öffnen und Mut machen. Die Forschung gibt ihnen recht: Unternehmen mit diversen Teams performen besser.
Zur Person
Natalya Nepomnyashcha ist Gründerin und Geschäftsführerin von Netzwerk Chancen. Das soziale Unternehmen bietet ein ideelles Förderprogramm für über 2.000 soziale Aufsteigerinnen und Aufsteiger und kollaboriert mit potenziellen Arbeitgebern. Gleichzeitig setzt sich die Initiative dafür ein, dass die soziale Herkunft als Diversity-Faktor anerkannt wird. Nepomnyashcha, die selbst in Hartz IV aufgewachsen ist, leitet die Organisation ehrenamtlich neben ihrer Vollzeitbeschäftigung.