Sparkassen wollen in vielfältiger Weise Lotsen sein

Sparen und Vermögensbildung in Zeiten niedriger Zinsen im Fokus

Sparkassen wollen in vielfältiger Weise Lotsen sein

Seit 1925 wird jedes Jahr im Herbst der Weltspartag begangen. Man könnte also meinen, dass der Spargedanke im öffentlichen Bewusstsein fest und dauerhaft verankert ist. Dies war trotz zweier für die Sparer traumatischer Währungsreformen in Deutschland bis vor einiger Zeit auch der Fall. Getrieben durch die anhaltende Niedrig- bis Negativzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) – man kann dabei eigentlich nicht mehr nur von einer “Phase” sprechen – gibt es Anzeichen, dass der Wert des Sparens in seiner ganzen Dimension an Stellenwert verliert.Das organisierte Sparen war in seinen Anfängen geprägt von unmittelbarer Not und prekären wirtschaftlichen Verhältnissen. Waisenkassen, wie etwa die 1749 gegründete Waisenkasse in Salem, sollten besonders Hilfsbedürftige unterstützen. Leihkassen sollten Handwerk und Gewerbe vor Kreditknappheit bewahren und Ersparungskassen eine soziale Absicherung breiter Bevölkerungskreise bieten. Zunächst vereinzelte private Initiativen wurden öffentlich und flächendeckend, beginnend etwa mit der ersten kommunalen Sparkasse in Preußen 1818 in Berlin.Sparkassen leisteten in ihren Gründungsjahren in Deutschland das, was heute international als “Mikrofinanz” bezeichnet wird. Und es ist deshalb auch nicht überraschend, dass sich die Sparkassen-Finanzgruppe mit der Sparkassenstiftung für internationale Kooperation besonders berufen fühlt, Entwicklungsländer in ihrer finanzwirtschaftlichen Entwicklung zu unterstützen – beginnend häufig mit dem Kleinsparen. Für den historisch Interessierten ist das ein Déjà-vu zur hiesigen Sparkassengeschichte.Über viele Meilensteine entwickelten sich die Sparkassen in Deutschland dann zu den heutigen Universalkreditinstituten. Sie agieren im Wettbewerb, unterscheiden sich in der Zielsetzung aber durch ihren öffentlichen Auftrag. Den öffentlichen Auftrag zeitgemäß auszufüllen, ist die permanente Aufgabe der Sparkassen. Der Deutsche Sparkassentag 2016 stellt die “Einfachheit” in den Mittelpunkt: Sparkassen wollen für die Menschen, das Handwerk und die mittelständische Wirtschaft in vielfältiger Weise “Lotsen” sein in der Komplexität der Finanzmärkte – gerade auch für Sparen und Vermögensbildung. Sparquote gesunkenWie stellt sich das Sparen in Deutschland aktuell dar? Die Sparquote der privaten Haushalte hat sich vom historischen Hoch mit gut 15 % im Jahr 1975 auf 9,5 % 2014 deutlich verringert. Auch bei früher schon streckenweise ähnlich niedrigem Realzins wie heute war die Sparquote deutlich höher. Offensichtlich haben dabei zusätzliche, auch psychologische Gründe eine Rolle gespielt. So war etwa das “Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not” in der damaligen Generation noch mit konkreten Erfahrungen verbunden. Dass Sparen auch heute nicht nur rational, sondern auch psychologisch und durch Traditionen bestimmt wird, darauf deutet etwa der regionale Unterschied der Sparquoten in Deutschland hin. So lag die Sparquote in Mecklenburg-Vorpommern zuletzt bei etwa der Hälfte von Baden-Württemberg – dem Bundesland der “Häuslebauer”. Dies ist nicht allein mit Einkommensdisparitäten erklärbar.Aus dem letzten Vermögensbarometer, das für die Sparkassen-Finanzgruppe in einer Stichprobe erhoben wurde, ergeben sich für die Vermögensbildung der Deutschen weitere Erkenntnisse. 40 % gaben an, dass sie nicht mehr regelmäßig für die Altersvorsorge sparen, und 24 % sparen überhaupt nicht mehr. Differenziert man weiter nach Einkommensklassen, so zeigt sich, dass sogar 51 % der Geringverdiener nicht für das Alter sparen. Eine sich zuletzt etwas stabilisierende Sparquote wird also vor allem von den höheren Einkommensklassen gespeist. Dies überrascht nicht, denn je mehr Mittel zur Verfügung stehen, die nicht vom unmittelbaren Lebensunterhalt abgezweigt werden müssen, umso besser kann man diversifizieren und auch in ein renditestärkeres Risiko gehen. Hier finden also langfristig Umverteilungseffekte statt. Das “Volk der Sparer” dezimiert sich.Dies muss aufhorchen lassen. Denn mit dem Zins ist natürlich auch der Zinseszins verschwunden. Konnte man früher über einen langen Zeitraum durch die Dynamik des Zinseszinses auch mit kleinen, regelmäßigen Sparbeiträgen ein Finanzpolster aufbauen, ist dieser “Zusatzmotor” der Vermögensbildung jetzt abgeschaltet. Das heißt, dass zur Erreichung eines angestrebten Absicherungsziels jetzt eigentlich entsprechend mehr gespart werden müsste. Es gibt keinen KönigswegDie große Frage ist, ob der dafür nötige finanzielle Spielraum in weiten Teilen der Bevölkerung vorhanden ist. In jedem Fall wird sich das Sparen verändern müssen: Realwerte wie Aktien oder selbst genutzter Wohnraum gewinnen an Bedeutung, aber auch das relative Ge-wicht von Kosten einer Anlageform steigt mit ihrem abnehmenden Ertrag. Für den Vermögensaufbau wird es im Niedrigzinsumfeld keinen Königsweg geben, es geht eher um Schadensbegrenzung. Gute Beratung im Sinne eines feinen Austarierens der Anlage ganz eng an der Lebenssituation des Sparers wird wichtiger denn je.Gleichzeitig ist auch festzustellen, dass sich die Deutschen in Reaktion auf die Niedrigzinsen insoweit besonnen verhalten haben, dass ein abrupter Verhaltenswechsel hin zu überhöhter Verschuldung nicht zu beobachten ist. Gleichwohl sind unter dem Gesichtspunkt der Finanzmarktstabilität Überhitzungstendenzen in Teilen des Immobilienmarktes im Auge zu behalten.Eine im oberen Einkommenssegment spezielle Form des – ideellen – Sparens stellt die Dotation von Stiftungskapital dar. Die im Niedrigzins-Regime zunehmend schwierige Situation auch von Stiftungen könnte negative Rückwirkungen auf das in den letzten Jahren erfreulicherweise gestiegene Mäzenatentum in Deutschland haben. Dies ist deshalb von breiterer Relevanz, da der gemeinnützige Sektor oftmals eine gesellschaftlich ausgleichende Wirkung hat. Dieser Effekt kann noch nicht belastbar beurteilt werden.Jenseits von allen quantitativen Befunden gilt es, die erweiterte sozioökonomische Dimension einer über Generationen gewachsenen Kultur des Sparens zu erkennen. Sparen bedeutet individuelle Vorsorge. Individuelle Vorsorge schafft eine Kultur der Eigenverantwortung und Selbstbestimmung. Eine solche Kultur ist langfristig ein guter Nährboden für eine freie und offene Gesellschaft. Vielleicht hing die gesellschaftliche Stabilität, die einen breiten Wohlstand in Deutschland begünstigte, in den letzten 70 Jahren auch damit zusammen, dass die Deutschen das “Volk der Sparer” waren. Diese qualitative Weiterung der Betrachtung sollte die Politik bei allen drängenden Tagesaktualitäten nicht aus den Augen verlieren.Die Sparförderung breiter Bevölkerungskreise durch die Sparkassen – von vielen gerne als historisches Relikt belächelt – bleibt also wichtig. Gerade im viel beschworenen digitalen Informationszeitalter; denn es gibt auch Desinformation durch Überinformation. Die Sparkassen in Deutschland nehmen deshalb diese Aufgabe – angepasst an die neuen Rahmenbedingungen – weiterhin verlässlich wahr, indem sie geeignete Finanzprodukte für alle Bürgerinnen und Bürger in allen Regionen Deutschlands vorhalten. Finanzprodukte, die sie beherrschen: so einfach wie möglich und so komplex wie nötig. Staatliche SparförderungDer Staat sollte überlegen, inwieweit er mit seiner Sparförderung gegensteuern kann. So wurden etwa die Förderbeträge und die Einkommensgrenzen seit über 20 Jahren nicht mehr angepasst. Die Einsparungen, die der Staat als Schuldner bei Niedrigzinsen macht, könnten teilweise weitergegeben werden, um die Arbeitnehmersparzulage und die Wohnungsbauprämie zu erhöhen. Das Vermögensbildungsgesetz zum Beispiel nutzen über 16 Millionen Menschen im Bereich niedriger bis mittlerer Einkommen, eine Verbesserung hätte also eine spürbare Breitenwirkung.Und an die europäische Geldpolitik geht der immer dringendere Appell, die langfristigen Kollateralschäden einer Abschaffung des Zinses umfassend zu bedenken.Auf dem Deutschen Sparkassentag in Düsseldorf wird uns das beschäftigen, und als “Anwalt der Sparer” werden wir zum Weltspartag 2016 erneut Bilanz ziehen.—Michael Breuer, Präsident des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbandes in Düsseldorf