LEITARTIKEL

Stabil und widerstandsfähig

Die deutsche Kreditwirtschaft in ihrer breiten Masse befindet sich in einer stabilen und widerstandsfähigen Verfassung. An diesem Befund können alle Szenariobetrachtungen und hochwissenschaftlich, teils geradezu überkomplex anmutenden Untersuchungen...

Stabil und widerstandsfähig

Die deutsche Kreditwirtschaft in ihrer breiten Masse befindet sich in einer stabilen und widerstandsfähigen Verfassung. An diesem Befund können alle Szenariobetrachtungen und hochwissenschaftlich, teils geradezu überkomplex anmutenden Untersuchungen und vor allem auch der Alarmismus mancher Medien nichts ändern. Und an diesem Zustand kann – das ist angesichts der hohen Abhängigkeit der hiesigen Banken und Sparkassen von Zinserträgen durchaus erstaunlich – offenbar nicht einmal das abartige und historisch beispiellose, von der EZB vorgegebene Zinsumfeld etwas ändern.Das sind erfreuliche Erkenntnisse aus der diesjährigen Niedrigzinsumfrage der Bundesbank und der Finanzaufsicht BaFin. Der “Vorsorgecheck” betrifft die 1 555 kleinen und mittelgroßen Institute, nicht die bedeutenden, direkt von der EZB beaufsichtigten Häuser. Selbst eine besorgniserregende Preisblase am Wohnimmobilienmarkt, dessen unmittelbar bevorstehenden Kollaps nicht wenige Auguren seit geraumer Zeit zu erkennen glauben, vermögen die Bankenaufseher in ihrer dritten, um dieses Stresselement erweiterten einschlägigen Untersuchung nicht auszumachen.Man wird aus manchen Schlagzeilen des heutigen Tages womöglich auch einen anderen Tenor herauslesen können, etwa dieser Art: “Jede 20. deutsche Bank fällt durch den Stresstest.” Oder: “68 Banken und Sparkassen droht die Pleite.” Pardon, aber das ist gequirlter Bullshit. Solche Folgerungen lassen sich zwar ohne allzu große intellektuelle Verrenkungen aus den Resultaten der Umfrage ableiten, sind aber so aufschlussreich wie das bekannte Orakel Mao Zedongs, wonach sämtliche Spatzen tot seien, wenn der Himmel herunterfalle. Die Bankentester müssten schon sehr merkwürdige Szenarien ausgeheckt haben (und sich dann Fragen nach der Glaubwürdigkeit ihrer Untersuchungsmethoden stellen lassen), wenn sogar unter extremer Belastung wie einem Zinsschock von bis zu 200 Basispunkten oder einem 30-prozentigen Einbruch der Immobilienpreise keiner der Probanden in die Bredouille käme. Es kann naturgemäß kein Stressszenario geben, aus dem alle Befragten ohne jede Blessur herauskommen. Dass die EZB mit noch absurderen Negativzinsen umso mehr Banken mühelos in den Abgrund oder an dessen Rand treiben könnte, sollte ja nicht zu sehr überraschen. Ein Szenario ist jedoch keine Erwartung (und schon gar nicht die Wirklichkeit) und eine schwierige Situation längst keine Insolvenz. Wenn 4,5 % der Institute unter Stress auch bei Berücksichtigung stiller Reserven die Kapitalanforderungen unterschreiten würden, so ein Untersuchungsergebnis, wäre das bei Eintritt des adversen oder extremen Szenarios nicht gleichbedeutend mit dem Gang zum Amtsgericht. Rechtzeitig vorher – nicht zuletzt das ist doch ein Zweck der ganzen Übung – bekämen die Betroffenen mehr oder weniger freundliche Briefe von der BaFin mit der unmissverständlichen Bitte, effektive Gegenmaßnahmen zu ergreifen.Nach den vom Niedrigzinsumfeld geprägten Planungen der Institute, die die Aufseher abgefragt haben, würde sich im Vergleich der Jahre 2016 und 2021 für die Gesamtheit ein Rückgang des Vorsteuergewinns um 1 Mrd. Euro (entsprechend 9 %) konturieren. Das, mit Verlaub, sind Peanuts. Zumindest in Teilen scheinen die Aufseher selbst von den Prüfungsergebnissen positiv überrascht zu sein. Die harte Kernkapitalquote etwa findet BaFin-Exekutivdirektor Raimund Röseler nach dem unterstellten Rückgang im einjährigen Stresshorizont um knapp 3 Prozentpunkte mit dann 13,3 % immer noch “auskömmlich”. Die deutschen Institute seien auch unter Stress “überwiegend stark kapitalisiert”, wird gelobt. Und mit Blick auf den Wohnimmobilienstresstest konstatiert Bundesbank-Vorstandsmitglied Andreas Dombret, die Folgen eines Preisschocks für die Eigenkapitalausstattung wären “eher moderat”; man hätte die Verringerung “sehr viel höher schätzen können” als die ermittelten 0,5 bis 0,9 Punkte.Die Planungen der Banken wie jene, dass sich die Erosion der Zinsüberschüsse bis 2021 nahezu komplett durch höhere Provisionsergebnisse kompensieren lassen werde, mag man in Zweifel ziehen – Röseler spricht diesbezüglich von “Wunschdenken”. Tatsache ist indes, dass die skeptischen Prognosen der Institute respektive ihrer Verbände in jüngerer Zeit meist von einer deutlich günstigeren Realität überholt und widerlegt wurden, etwa dank Kreditwachstum oder Margenausweitung. Das macht die für Beaufsichtigte wie Aufseher in höchstem Maße arbeitsaufwendigen Umfragen nicht überflüssig. Aber es relativiert ihre Aussagekraft erheblich.——–Von Bernd WittkowskiVon manchen Erkenntnissen aus der Zinsumfrage bei den kleinen und mittleren Banken und Sparkassen scheinen die Aufseher selbst positiv überrascht zu sein.——-