Standortflucht spielt deutscher HSBC in die Hände
IM GESPRÄCH: MICHAEL SCHLEEF
Standortflucht spielt deutscher HSBC in die Hände
„Produktionsschließung kein Breitenphänomen“ – CEO erwartet steigende Kreditausfälle – Unter den Top 5
Von Annette Becker, Düsseldorf
Der Spaß an der Arbeit ist Michael Schleef förmlich ins Gesicht geschrieben. Das ist kein Wunder, blickt der seit vorigem Juli amtierende Deutschlandchef von HSBC doch auf ein Geschäftsjahr, das der deutschen Einheit der globalen Bankgruppe Rekordzahlen bescherte. Allen voran im mittelständischen Firmenkundengeschäft, also jenem Geschäft, das der einstige Bereichsleiter weiterhin leitet, lief es prächtig. Das lag natürlich auch an der Zinswende, aber nicht nur, wie Schleef im Gespräch mit der Börsen-Zeitung betont.
Will man die Relevanz der deutschen Einheit für die Gruppe ermessen, empfiehlt der Deutschlandchef den Blick in das weltweite Zahlenwerk. Dort finden sich die Erlöse, die weltweit mit den deutschen Kunden gemacht werden. „Das waren im zurückliegenden Geschäftsjahr 1,7 Mrd. Dollar. Darin nicht enthalten sind die indirekten Erlöse, die weitere 10 bis 15% ausmachen“, ordnet Schleef ein.
HSBC Deutschland mit stark verändertem Erlösmix
Ohne das kleine, aber hochprofitable Private Banking, das mit Erlösen von 90 Mill. Dollar inzwischen fast ein Mauerblümchendasein fristet, kamen 1,6 Mrd. Dollar zusammen. Davon entfiel die Hälfte auf das Geschäft mit dem Mittelstand, 30% auf Financial Institutions und etwa ein Fünftel auf das Geschäft mit Großkonzernen. Die Bank habe heute einen völlig anderen Erlösmix als vor 20 Jahren, als die Umsätze grob zu je einem Drittel aus dem Private Banking, dem Firmenkundengeschäft und dem Geschäft mit Financial Institutions stammten. Ohne die Erlöse mit deutschen Kunden in anderen Märkten, die in den Büchern anderer HSBC-Landesgesellschaften gebucht werden, brachte es die deutsche Einheit auf Erlöse von gut 1 Mrd. Dollar, ein Plus von 8%.
Politik kann es umkehren
„Die Verschiebung im Erlösmix war nicht intendiert, sondern ist Folge unseres USP“, erläutert der Banker. Das Alleinstellungsmerkmal ist das internationale Netzwerk der HSBC. Entsprechend wachsen jene Geschäfte schneller, in denen das internationale Netzwerk zum Tragen kommt. Das ist vor allem im internationalen Mittelstandsgeschäft der Fall. Und auch wenn es Schleef nicht gerne liest: HSBC Deutschland ist Profiteur der schleichenden Deindustrialisierung.
Denn die international aufgestellten Mittelständler, die Kernzielgruppe im Firmenkundengeschäft, investieren zunehmend im Ausland. „Das ist einer der Treiber unseres Geschäfts“, sagt Schleef. „Wir haben in Deutschland keine optimalen Standortbedingungen. Im internationalen Steuervergleich sind wir zurückgefallen, der Fachkräftemangel ist ein Thema und auch die überbordende Bürokratie“, analysiert der Banker. Doch: „Diese Entwicklung können wir politisch umkehren.“
In nahezu jedem Firmenkundengespräch werde das Thema Produktionsverlagerung angeschnitten. Die Firmen sorgten sich um den Produktionsstandort. „In den meisten Fällen ist es aber nicht so, dass der deutsche Standort geschlossen wird. Vielmehr werden Kapazitäten in Länder verlagert, die bessere Bedingungen bieten.“ Nicht selten komme die Frage auf, wenn über die Investition in neue Anlagen entschieden werde. „Das Schließen der deutschen Produktion ist kein Breitenphänomen“, beruhigt Schleef.
Stark in wachstumsstarken Regionen
Doch auch wenn der Verlagerungstrend anhalten sollte, blickt der Bankchef mit einer gewissen Skepsis auf den neuen Turnus: „2024 wird kein einfaches Jahr, weil die relativ schlechten Standortbedingungen in Deutschland vermehrt zu Kreditausfällen führen werden“, fürchtet Schleef. „Das wird wahrscheinlich auch bei uns so sein. Doch relativ gesehen dürften wir sehr gut dastehen, weil unsere Kunden über ihre ausländischen Standorte einen recht guten Ausgleich haben.“ 2023 hatte die deutsche HSBC so gut wie keine Risikovorsorge bilden müssen.
Der internationale Ansatz spiegelt sich in den Zahlen: Zwei Drittel der Erlöse von 1,6 Mrd. Dollar stammen aus dem Auslandsgeschäft, nur ein Drittel aus dem Inlandsgeschäft mit Mittelstandskunden und Großkonzernen. Dabei teilt sich das Auslandsgeschäft etwa zu je einem Drittel auf Europa, Asien und Amerika samt Nahost auf.
Während Europa 2023 immerhin um 10% zulegte, wuchs HSBC Deutschland in Asien um etwa ein Drittel und in Americas und Middle East um 70% respektive 100%. Diese Zahlen belegten, dass in allen Regionen Marktanteile gewonnen wurden, weil das Wachstum der Bank über dem Wirtschaftswachstum der jeweiligen Region lag – selbst in Europa.
Die mit Abstand größte Einheit
Den HSBC-internen Wettstreit um den Sitz der kontinentaleuropäischen Bank hatte Düsseldorf gegen Paris verloren, der Bedeutung der deutschen Einheit tat das jedoch keinen Abbruch: „Vom Vorsteuerergebnis der kontinentaleuropäischen Bank entfallen auf uns 20%. Im Markets-Geschäft sind wir mit Frankreich gleichauf. Im mittelständischen Firmenkundengeschäft sind wir in der kontinentaleuropäischen Einheit mit einem Anteil von einem Drittel mit Abstand die größte Einheit“, zählt Schleef nicht ohne Genugtuung auf. Weltweit sei die Bedeutung des Firmenkundengeschäfts sogar noch größer: Hier bringen es die Deutschen gemessen an den Erlösen auf Platz 4. Davor rangieren nur die beiden HSBC-Heimatmärkte Großbritannien und China sowie die USA.
Hinter Lokalmatadoren
Doch auch im Wettbewerbsvergleich fühlt sich Schleef bestens aufgestellt. „Bei den geschätzt 900 für uns relevanten Firmenkunden in Deutschland gehen wir von einer Marktdurchdringung von 80 bis 85% aus. Damit dürften wir im Vergleich zu anderen ausländischen Banken mit Deutschlandgeschäft an der Spitze stehen“, sagt Schleef und reklamiert damit indirekt den vierten Platz für sich. Geschlagen geben muss sich der deutsche Ableger der global aufgestellten Bank lediglich den hiesigen Platzhirschen Deutsche Bank, Commerzbank und Unicredit.
HSBC Deutschland hat 2023 ein Rekordergebnis erwirtschaftet. Vor allem im Mittelstandsgeschäft brummte das Geschäft. Das globale Netzwerk macht die Bank zur ersten Anlaufstelle für Mittelständler, die es ins Ausland zieht. Das liegt auch an den suboptimalen Standortbedingungen, sagt Bankchef Michael Schleef.