Stimmige Diagnose
Die Zeit der großen Industriekonglomerate ist vorbei. Egal ob man General Electric betrachtet, Siemens oder Philips: Die einst auf allen Hochzeiten tanzenden Industriekonzerne schälen Schicht um Schicht ab, bis nur noch ein Kerngeschäft übrig bleibt. Bei Siemens und GE ist dieses industriell, bei Philips medizintechnisch geprägt. Gerade die Niederländer haben ihr Konglomerat konsequenter als viele Rivalen zerlegt. Das Geschäft mit Halbleitern und die Unterhaltungselektronik wurden vor Jahren aufgegeben. Von drei Geschäftsbereichen, auf die sich Philips 2008 festgelegt hatte, ist nur noch die Medizintechnik übrig. Die Beleuchtungssparte ist abgespalten worden. Für die LED-Lichtsystemtochter Lumileds wird ein Käufer gesucht. Philips aus 2016 hat mit Philips aus 2006 nur wenig zu tun.Anleger und Analysten mögen die Strategie und wünschen sich allenfalls, dass CEO Frans van Houten noch weiter geht. Ein Dorn im Auge ist Manchem das Pflegeproduktegeschäft mit elektrischen Zahnbürsten und Rasierern. Allerdings hält Philips vorerst daran fest – aus gutem Grund. Neben komplexerer Technologie in Krankenhäusern und Arztpraxen dürften auch privat genutzte Geräte eine stärkere Vernetzung erfahren. Damit müssen nicht unbedingt die E-Zahnbürsten gemeint sein – auch wenn Philips diese bereits mit passender iPhone-Applikation vertreibt. Die Zukunft des Internets der Dinge (IoT) liegt nicht nur in der Unterstützung eines gesünderen Lebensstils, sondern auch in der Prävention von Erkrankungen und der Betreuung von Patienten zu Hause. Datenübermittlungen könnten dem Arzt künftig vergleichbar detaillierte Informationen liefern, wie dieser derzeit im Krankenhaus erhält.Gesundheitsdienstleister sowie Patienten dürften an der schönen neuen Medizinwelt gleichermaßen interessiert sein. Für Krankenhäuser bedeutet die dezentrale Patientenüberwachung geringere Kosten, weil weniger Betten benötigt werden. Zugleich kann die Servicequalität für Patienten, die vor Ort überwacht werden müssen, erhöht werden. Auf der Patientenseite liegt der Vorteil der dezentralen Überwachung auf der Hand. Sie können ihr Leben dort weiterleben, wo sie sich wohlfühlen. Philips rechnet damit, dass das Geschäft mit persönlicher Gesundheitspflege binnen vier Jahren um ein Fünftel zulegt und damit stärker als die ebenfalls wachsende Diagnostik. Warum sollte Philips dieses Feld, wie von manchem Analysten gefordert, räumen? Das kräftigste Wachstum verspricht sich der Konzern derweil von vernetzter Pflege und Gesundheitsinformatik, die etwa Krankenhäusern helfen soll, Notfall-Behandlungszeiten zu verkürzen. Die Niederländer versprechen sich in diesem Geschäft eine Erlössteigerung um die Hälfte bis 2019. Auch hier setzt der Konzern auf Innovationen mit vom Patienten getragenen Sensoren.Philips hofft, dass das Wachstum vom mittleren in den hohen einstelligen Prozentbereich zulegt. Auch die operative Marge soll steigen. Die jüngsten Kursbewegungen nach dem Wahlsieg von Donald Trump im Rennen um die US-Präsidentschaft täuschen ein wenig über die Chancen der Medizintechnik. Zunächst hatten vor allem Pharma-Aktien wie Pfizer Kurssprünge gezeigt. Wohl auch, weil mit dem Milliardär im Weißen Haus keine Eingriffe in die Preispolitik der Pharmaindustrie befürchtet werden. Clinton hatte mit Interventionen gedroht. Doch auch unter Trump muss der teuerste Gesundheitsmarkt der Welt sparen. Dreht er Obamas Gesundheitsreform wie angekündigt zurück, ist erst einmal weniger Geld im System. Versicherte und Arbeitgeber beklagen schon heute den rasant gestiegenen Versicherungsaufwand. Höhere Ausgaben können sich viele Amerikaner schlichtweg nicht leisten.Krankenhäuser und Versicherungen müssen vor diesem Hintergrund zwangsläufig sparen. Und Technologie, die in zahlreichen anderen Branchen dramatische Einsparungen erbracht hat, wird auch hier der Schlüssel sein. Mit dem Bedeutungsgewinn winken Medizintechnik-Firmen Erlös- und Ergebnisanstiege. Siemens hat das erkannt und will mit dem frisch angekündigten Börsengang der Sparte “Healthineers” ebenfalls profitieren. Die zunehmende Komplexität verknüpfter Gesundheitssysteme kommt den Medizintechnik-Firmen zugute. Laut Philips-CEO van Houten trauen sich Krankenhäuser immer weniger zu, Medizintechnikprodukte selbst zu integrieren. Lieber kaufen sie bereits integrierte Lösungen der Medizintechnik-Unternehmen ein. Deren Anteil an der Wertschöpfungskette steigt damit. Philips hat früh die richtige Diagnose erstellt. Jetzt muss nur noch die Medikation stimmen.——–Von Sebastian SchmidDie Industriekonglomerate von einst fokussieren sich. Philips setzt dabei voll auf den Medizintechnikmarkt. Zahlreiche Entwicklungen geben dem Konzern recht.——-