Storytelling oder story telling? - Fragen eines Anlegers

Es reicht nicht, die Fakten zu verstehen, man muss ihnen auch vertrauen - dabei helfen gute Geschichten, wenn sie stimmen

Storytelling oder story telling? - Fragen eines Anlegers

Wir Anleger sind doch eine interessante Zielgruppe, oder? Wir haben alle nur eine einzige Frage: Was wird aus unserem Geld? Dafür brauchen wir möglichst vertrauenswürdige Informationen. Und hier beginnt das Problem, denn die Informationen gehen in den Kopf, aber das Vertrauen kommt aus dem Bauch. Auch wenn manche das nicht wahrhaben wollen – bei den meisten von uns hat der Bauch das Sagen. … es fing so schön anNehmen wir einmal an, es gibt ein weltberühmtes Gestüt, das vom Anbeginn der Zeit erstklassige Rennpferde züchtet. Die Qualität ist so hoch, dass man die Rasse einfach nur “Das Pferd” nennt. Da haben die Oberzuchtleiter, deren wortgewaltige Merlins und alle Mitarbeiter bis hinunter zu den Stallburschen ganze Arbeit geleistet. Respekt. Auch für den immer sparsameren Umgang mit den begrenzten Futtermitteln, das kommt schließlich allen zu Gute.Plötzlich kommt heraus, dass die Pferde speziell darauf trainiert wurden, nur dann zu fressen, wenn keiner der Offiziellen der Oberzuchtaufsicht hinschaut. Ein Skandal. Getürkte Futterwerte. Wer hatte davon gewusst? Wie lange schon? Von wem wurde das angeordnet? Sind meine eigenen Pferde auch überteuerte Fressfakes? Und wo wurde noch getrickst? Geldgeber, Rennstallbesitzer, Pferdeliebhaber und die internationale Zuchtkommission fordern Aufklärung. Und was passiert? Die Oberzuchtleiter streiten sich, auf wie viele Millionen Euronen Zuchtprämie sie vielleicht doch freiwillig verzichten, während Pönale und Advokaten Milliarden verschlingen werden. Da macht man sich so seine Gedanken über Werte, Moral und Verantwortung. Plötzlich fällt mir ein – das ist doch mein Geld, was meine Angestellten da gerade unter sich verteilen, oder? Mein lieber Scheich, ist mir schlecht! Schluss mit den MärchenJetzt will ich keine Märchen mehr hören, sondern eine Heldengeschichte, für die es noch nicht zu spät ist: Der Oberzuchtmeister nimmt seine Verantwortung wahr, geht bis auf weiteres in Sack und Asche und bringt persönlich Ordnung in den Stall. Warum hat ihm niemand gesagt, dass Pferden auch bei besten Zuchtmethoden keine Flügel wachsen werden? Hat sich keiner getraut? Wollte er die Wahrheit nicht hören? Vielleicht sucht er sich einen Wander-Hufschmied als Helfer und Mentor und geht in sich, um alles zu verstehen, zu ändern und zu erklären.Natürlich gibt es dabei Rückschläge, einige werden den Stall verlassen müssen, andere werden nicht mehr mitmachen wollen, dafür werden unerwartete Mitstreiter auftauchen. Nach einer Durststrecke, die alle noch enger zusammenschweißt, werden die Pferde besser denn je und verwerten sogar das magische Futter der Zukunft. Diese Geschichte sollten seine Herolde im Lande verbreiten. Das wäre eine Geschichte nach meinem Geschmack, für die ich am Ende gerne wieder bezahlen würde, mit Vertrauen und mit Euronen.So wie bei der Geschichte vom Meister der Mechanik, der elektrische Reiter herstellt, unübertroffen in Gelenkigkeit, Präzision und Anmut, gerühmt und begehrt in der ganzen Welt. Nur im fernen Kitai hält sich die Begeisterung in Grenzen. Das Land ist berühmt für seine wilden Reiter, und nur einem Fremden ist je ein Sieg gegen sie gelungen. Die Ehrfurcht der Kitai ihm gegenüber ist grenzenlos. Der Meister der Mechanik überredete den Fremden zu einem Schaukampf mit einem seiner elektrischen Reiter. Den Kampf gewinnt er knapp, nach vorsichtigem Abtasten und zähem Ringen in vielen Runden. Danach sind alle begeistert von den Reitermaschinen, selbst die Kitai. Fantastische Geschichte. Neugier sucht FutterJetzt will ich mehr wissen über den Reiter und sein Abenteuer, finde ein offizielles Bulletin darüber und beginne neugierig zu lesen. Aber ich erfahre nichts über den Kampf, die Wunden, das Ringen und den Spaß an der Show. Ich finde nur langweiliges Zeug aus dem Worthülsenformulierungsautomaten. Schade. Und dann tragen Trolle auch noch Gerüchte an mein Ohr, dass der ganze Kampf nur eine riesengroße Zirkusnummer war, inszeniert von den größten Illusionisten des Landes. Die elektrischen Reiter können das alles gar nicht. Irritation und wieder viele Fragen. Was die Reiter vom Meister der Mechanik tatsächlich draufhaben? Warum der Fremde da mitgemacht hat? Wem ich jetzt noch vertrauen will? Wieder schade.Wie müssen also Geschichten aussehen, die ich gerne höre und weitererzählen möchte? Als Erstes will ich verstehen, worum es geht. Die Wahrheit lässt sich nicht nur hinter vielen Zahlen und kryptischen Kennziffern verbergen. Das geht auch mit unverständlichen Fachbegriffen, Fremdworten und verschnörkelten Formulierungen. Einfache, kurze SätzeDer beste Ort für klare Gedanken sind einfache, kurze Sätze. Bei langen und verwinkelten Sätzen schwindet erst das Verständnis und gleich darauf die Aufmerksamkeit. Auch Substantivierungen und Genitivkonstruktionen sind wahre Motivationskiller. Bei einem Artikel wirkt das ermüdend und bei einer Rede garantiert einschläfernd.Als Zweites muss der Text interessant sein, einen Neuigkeitswert für mich besitzen. Den internen Themen des Unternehmens hört draußen niemand zu. Interessant ist nur, was mein eigenes Leben beeinflusst. Und falls ich das übersehen könnte, wäre ich für einen deutlichen Hinweis dankbar. Interessante MenschenUnd das alles ist noch längst kein Storytelling, sondern nur der Schlüssel für Texte, die wir uns gerne durchlesen oder anhören.Zum Storytelling fehlt noch eine wichtige Zutat: Spannung. Spannung, die durch handelnde Menschen entsteht, durch deren Entscheidungen in schwierigen Situationen und die Emotionen in Konflikten. Spätestens jetzt sind aktiv eingesetzte Verben unverzichtbar, um plastisch beschreiben zu können, was passiert. Außerdem wäre es sehr hilfreich, wenn die Geschichten auch stimmen. Für mich und mein Vertrauen in ihr Wertesystem. Übrigens: “Storytelling” bedeutet “Geschichten erzählen”, “story telling” aber “flunkern”.Ich will Geschichten hören von Leuten, die sich engagieren und für ihre Idee und mein Geld kämpfen. Woher soll ich wissen, ob jemand mit Krisen umgehen kann, wenn er noch keine gemeistert hat? Ein Sieg ohne Anstrengung ist nicht viel wert, ein Lernen ohne Entbehrung nicht sehr nachhaltig. Also will ich von ihren Bewährungsproben hören und erfahren, was sie daraus gelernt haben. Dann kann ich auch Vertrauen fassen. Nicht in ein Unternehmen, sondern in dessen Lenker.Wenn Sie nicht glauben, wie oft Texte das nicht schaffen, ja nicht einmal zum Weiterlesen animieren, dann lesen Sie ein paar von Ihren eigenen Texten. Am Wochenende und nur so lange, wie Sie wirklich Lust haben. Wie viele Absätze schaffen Sie? Wenn es nicht so weh tun soll, dann nehmen Sie einfach Texte von den Kollegen oder gleich welche von der Konkurrenz. Das Gehirn liebt GeschichtenAber warum sind wir so heiß auf gute Geschichten? Das kann doch nicht an dem aktuellen Hype liegen? Nein, es hat mit dem Dreikampf der Evolution zu tun: Fortpflanzung, Überleben und Anpassung. Im Millionen Jahre dauernden Konkurrenzkampf der Arten hat unser Gehirn eine interessante Technik entwickelt. Je erfolgreicher oder gefährlicher eine Verhaltensweise für uns ist, umso emotionaler erleben wir sie. Je stärker die Emotionen sind, umso überlebenswichtiger und merkwürdiger sind die betreffenden Ereignisse, im Positiven wie im Negativen. Die Aussicht, schnell reich zu werden oder bankrottzugehen aktiviert uns wesentlich stärker als die Aussicht auf eine einprozentige Spareinlage.Insbesondere in unseren beiden wichtigsten Lernphasen, in der Kindheit und der Pubertät, sind wir deshalb permanent auf der Suche nach erfolgreichen Mustern, um uns das Überleben zu sichern. Dafür checken wir alles in unserer Umgebung auf Erfolgsgeschichten. Und hier kommen die Heldengeschichten ins Spiel. Sie sind nichts anderes als stilisierte und künstlerisch geformte Muster erfolgreicher Akteure. Wir können diese fremden Erfahrungen unter drei Bedingungen adaptieren: Die Geschichten passen irgendwie zu unserer Lebenswelt. Sie wecken ausreichend starke Emotionen. Der Held kämpft angemessen hart für seinen Sieg und verkraftet auch Rückschläge.Ich will die Produkte verstehen, in die ich investieren soll. Ich will die Menschen kennenlernen, die sie herstellen und die sie benutzen. So bekomme ich eine Vorstellung von Chance und Risiko.Ein letzter Satz: Versuchen Sie, Heldengeschichten zu erzählen, ohne die Begriffe Geschichte und Held zu verwenden, die kann bald keiner mehr hören. Wenn die Geschichte gut ist, kommen wir auch alleine drauf.—Conrad Giller, Mediencoach, Kommunikationstrainer und Geschichtenberater