Streit um Lage der Lebensversicherer
ak Köln
Der Bund der Versicherten (BdV) sorgt sich um die Lage der deutschen Lebensversicherer. „Mehr als ein Viertel der Lebensversicherer ist angezählt“, sagte Axel Kleinlein, Vorstandschef des BdV, in einer Pressekonferenz am Donnerstag. Kleinlein stützt sich auf eine Branchenanalyse, die sein Verband gemeinsam mit dem selbständigen Analysten Carsten Zielke vorgenommen hat. Bei 23 von 80 untersuchten Anbietern sieht Kleinlein ernste Probleme, weil sie entweder negative Gewinnerwartungen haben oder bei den nackten Solvenzquoten – ohne Übergangsmaßnahmen, Volatilitätsanpassung und nicht eingezahltes Eigenkapital – unter 100% liegen.
Düsteres Bild
Noch schlechter sehe die Lage aus, wenn in die Solvenzquoten eingerechnete Kundengelder nicht mitgezählt würden. Dann wäre mehr als die Hälfte der untersuchten Adressen angezählt, so Kleinlein. Die Lebensversicherer dürften Überschüsse, die noch nicht fest den Versicherten zugewiesen sind, aber zu 100% Kundengelder sind, in die Solvenzquoten als Eigenmittel einrechnen.
„Die Solvenzquoten verschlechtern sich“, stellt auch Analyst Zielke fest. 17 Versicherer erreichen nach seiner Studie ohne Übergangsmaßnahmen und Volatilitätsanpassung keine Solvenzquote von 100%. Darunter befinden sich auch größere Anbieter wie die Debeka, Ergo, HUK-Coburg, HDI Leben und Signal Iduna. Schlusslicht ist die kleine Landeslebenshilfe aus Lüneburg, die auf eine nackte Solvenzquote von −68% kommt. Bei der Mindestkapitalanforderung (MCR) – das ist die allerunterste Grenze, welche die Aufsichtsregeln vorsehen – weist die Landeslebenshilfe ohne Übergangsmaßnahmen 0% aus.
Methodik „willkürlich“
Aus der Versicherungsbranche hagelte es scharfe Kritik an der Analyse. „Kein Kunde muss sich Sorgen um seine Lebensversicherung machen“, erklärte Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). „Die garantierten Leistungen sind gesichert. Das geht auch aus Prognoserechnungen der BaFin hervor.“ Er bezeichnete die Methodik der Verbraucherschützer als „willkürlich“. Die Bereinigung um die Übergangsmaßnahmen sieht der GDV kritisch, da sie „integraler Bestandteil“ von Solvency II seien. Zudem seien in der vom BdV selbst definierten Solvenzquote auch die Effekte der Volatilitätsanpassung nicht enthalten. Das sei falsch, da dieser Puffer dauerhaft angewendet werden könne. Die Übergangsmaßnahmen dagegen darf die Branche bis 2032 in Anspruch nehmen.
Der oberste deutsche Versicherungsaufseher, BaFin-Exekutivdirektor Frank Grund, hatte sich im Frühjahr besorgt über die zukünftige Kapitalausstattung der Lebensversicherer geäußert. Er hält es für möglich, dass einige Lebensversicherer bis 2032 die Solvenzanforderungen ohne Übergangsmaßnahmen nicht erreichen. „Dies könnte dazu führen, dass der Versicherer in letzter Konsequenz kein Neugeschäft mehr schreiben darf“, hatte Grund im Februar gemahnt (vgl. BZ vom 24 Februar). Werden nur die Übergangsmaßnahmen herausgerechnet, haben 15 deutsche Lebensversicherer Ende vergangenen Jahres eine Solvenzquote von weniger als 100% gehabt.
Lob für Transparenz
Der Chef der Deutschen Aktuarvereinigung, Herbert Schneidemann, bezeichnete die Lage der Lebensversicherer aus aktuarieller Sicht als stabil. Zwar hätten die coronabedingten Verwerfungen an den Kapitalmärkten ihre Spuren in den Solvenzkennzahlen hinterlassen, doch die Unternehmen hätten unter anderem mit dem Aufbau der Zinszusatzreserve seit 2011 Vorsorge für Extremsituationen betrieben.
Als Lösung zur Entspannung der Solvenzquoten schlägt der Bund der Versicherten vor, auf den Zwang zur Verrentung bei geförderten Altersvorsorgeprodukten wie Riester- und Rürup-Renten zu verzichten. Damit hätten Senioren mehr Wahlfreiheit und die Versicherer müssten nicht mehr so hohe Solvenzmittel für die Absicherung der Langlebigkeit vorhalten.
Von den Verbraucherschützern kam auch Lob für die deutschen Lebensversicherer. Zielke pries Transparenz und Ausführlichkeit der Solvenzberichte. „Die deutschen Versicherer geben fast doppelt so viele Informationen wie europäische Konkurrenten.“ Die transparentesten Berichte in Deutschland bescheinigte Zielke der Alten Leipziger, der Sparkassenversicherung Sachsen, die sich mit einer sehr detaillierte Sensitivitätsanalyse hervorgetan habe, der Zurich Deutscher Herold und der DEVK. Am schwächsten schnitten in Sachen Transparenz Inter, Continentale, Europa, Provinzial Rheinland und Huk Coburg ab.