Sturmwarnung für deutsche Lebensversicherer
Von Antje Kullrich, Düsseldorf Schrille Töne prägen derzeit die Debatte um die deutschen Lebensversicherer. Schlagworte wie Existenznot und künftige Schieflagen durch die Niedrigzinsfalle schaffen Aufmerksamkeit. Die Lobby der Assekuranz schießt scharf zurück, wie man es nicht anders erwarten konnte. Doch wie steht es tatsächlich um die Sicherheit der deutschen Lebensversicherer? Mit welchen Vorkehrungen versuchen sie sich vor dem aufziehenden Sturm zu schützen?Um im Bild zu bleiben: Das anhaltende Niedrigzinsumfeld gleicht als Bedrohung einem relativ gut berechenbaren Orkan, der im Laufe der Zeit allerdings an Geschwindigkeit und Zerstörungsmacht gewinnt – und weniger einem kaum vorhersehbaren Erdbeben oder Vulkanausbruch.Der Vorteil liegt auf der Hand: Die Unternehmen können sich frühzeitig wetterfest machen. Das gelingt an der einen Stelle besser, an anderer ist es ein Problem. Bei der Kapitalanlage stoßen die Lebensversicherer schneller an Grenzen, als ihnen lieb ist. Dem Paradigmenwechsel der jüngsten Vergangenheit – Staatsanleihen gelten fortan nicht mehr als sichere Bank – können die Konzerne nur schwerfällig folgen. Der Grund liegt in der schieren Masse. Vermögenswerte von mehr als 750 Mrd. Euro lassen sich nur langsam umschichten. Unbesicherte Banktitel sind kaum noch gefragt, Bundesanleihen kauft bei weniger als 2 % Zinsen für zehn Jahre Laufzeit kein Asset Manager mehr, der Garantien zu erfüllen hat. Bundesbank mahntDie Alternativen heißen vor allem europäische Covered Bonds oder Unternehmensanleihen. Doch die Verschiebungen geschehen im Schneckentempo, die Anteile an den gesamten Kapitalanlagen steigen jährlich im Nach-Komma-Bereich. Außerdem haben die Jagd nach Rendite und der Schwenk in andere Assetklassen ihre Tücken: Die Bundesbank warnt in ihrem Finanzstabilitätsbericht 2012 bereits vor neuen Risiken für die Versicherer. Denn viele Unternehmen aus der Assekuranz tasten sich auch in den Kreditbereich vor: die Finanzierung von Infrastrukturprojekten, direkte Kreditvergabe an Unternehmen und Privatkunden sowie die gewerbliche Immobilienfinanzierung. Die Bundesbank stuft das Risiko eines nicht adäquaten Risikomanagements in diesem Zusammenhang als bedeutend ein.An den Flanken der Kapitalanlage tut sich vergleichsweise mehr: Mit der Zinszusatzreserve griff im vergangenen Jahr erstmals ein weises Instrument, das von Aufsicht und Branche einhellig befürwortet wird. Sie funktioniert so: Sinkt ein Durchschnittszins europäischer Staatsanleihen mit “AAA”-Rating unter den Garantiezins einer Lebensversicherung, so muss für diese Police eine Reserve über einen Zeitraum von 15 Jahren gebildet werden. Seit 2011 trifft das alle Verträge, die mit einem Garantiezins von 4 % ausgestattet sind. Nachdem die Lebensversicherer im vergangenen Jahr rund 1,5 Mrd. Euro zusätzlich bunkern mussten, werden für 2012 voraussichtlich rund 5 Mrd. Euro Nachreserve nötig. Das schmälert den aktuellen Rohüberschuss, schafft aber mehr Sicherheit für die Zukunft.Ein weiterer Baustein ist die geplante Neuregelung bei den Bewertungsreserven. Sie sollen künftig bei Vertragsablauf dem Kunden nicht mehr wie bisher mitgegeben werden. Die Pläne sind mehr als ein bloßes politisches Zugeständnis in einem Verteilungskampf zwischen Banken und Versicherern um Hilfsmaßnahmen, sondern machen tatsächlich Sinn. Denn die Lebensversicherer müssen derzeit hohe stille Reserven auf festverzinsliche Papiere auszahlen. Das führt zu Verkäufen von Titeln mit noch hohen Zinskupons und schadet damit dem verbleibenden Versichertenkollektiv. Außerdem sind die stillen Reserven auf Zinspapiere nur eine temporäre Erscheinung und lösen sich bei Ende der Laufzeit wieder in Luft auf.Wer die Situation einzelner Lebensversicherer beurteilen will, hat es schwer: Ein Blick auf die bloße Nettoverzinsung der Gesellschaften reicht nicht aus. Da ist der Bestand an Lebensversicherungen mit dem besonders heiklen Garantiezins von 4 %. Unternehmen, die in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre stark gewachsen sind, haben damit ein größeres Problem als andere.Auch der Blick in die in der deutschen Lebensversicherung eingebauten Puffer – namentlich die freie Rückstellung für Beitragsrückerstattung (RfB) – lohnt: Die Unterschiede sind gewaltig und nicht immer proportional zum Marktanteil – auch wenn die Allianz mit ihren 4,8 Mrd. Euro freier RfB und fast 18 % Marktanteil laut Branchendienst Map-Report in beiden Vergleichen mit weitem Abstand an der Spitze steht.Die Solvabilitätsquoten der Gesellschaften unterscheiden sich ebenfalls erheblich und reichen von einer Überdeckung von 340 % bis runter zu 133 %; es folgen eine ganze Reihe weiterer Anbieter, die diese Werte nicht nennen wollen.Klar ist: Die Branche wird alles tun, um Sturmschäden, sprich Schieflagen, einzelner Unternehmen zu vermeiden. Ihr Ruf in Sachen garantierter Sicherheit ist das Pfund, mit dem sie wuchert. Die Orkan-Messstationen BaFin, Bundesbank und Ratingagenturen sind derzeit von einer akuten Unwetterwarnung noch weit entfernt – auch wenn die Windstärken intensiv analysiert werden.