GASTBEITRAG

Supply-Chain-Finanzierung rückt ins Rampenlicht

Börsen-Zeitung, 11.1.2013 Die EU will säumigen Zahlern im Geschäftsverkehr auf die Sprünge helfen: Nach einer neuen Richtlinie sollen Unternehmen künftig weniger Zeit haben, ihre Rechnungen zu begleichen. Für manche Lieferanten wäre das zwar eine...

Supply-Chain-Finanzierung rückt ins Rampenlicht

Die EU will säumigen Zahlern im Geschäftsverkehr auf die Sprünge helfen: Nach einer neuen Richtlinie sollen Unternehmen künftig weniger Zeit haben, ihre Rechnungen zu begleichen. Für manche Lieferanten wäre das zwar eine Entlastung, doch vielen ihrer Kunden drohen höhere Schulden und geringere Liquidität.Die Supply-Chain-Finanzierung – also die Betriebskapital-Optimierung entlang der Lieferkette – wird zu einer immer wichtigeren Stellschraube. Betriebskapital effizient zu managen, etwa durch Aushandlung längerer Zahlungsfristen, ist für die meisten Unternehmen unerlässlich und entwickelt sich zu einem leistungsfähigen Steuerungsinstrument der Unternehmensfinanzierung. Es ist ein Indikator für die langfristige finanzielle Gesundheit des Unternehmens.Aus Sicht der EU sind “verspätete” Zahlungen im Geschäftsverkehr ein erhebliches Problem. Dies gilt nach Auffassung der Kommission umso mehr, wenn Großkunden den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) Zahlungsbedingungen diktieren, die deren Betriebskapital und Cash-flow beeinträchtigen. Mit steigendem Betriebskapital bei den Unternehmen hat sich dieses Problem in den vergangenen Jahren verschärft.Beispiel in Großbritannien: Hier stiegen die Schulden gegenüber Lieferanten von Anfang 2010 bis Ende 2011 um 27 % auf mehr als 113 Mrd. Pfund. Da viele Großunternehmen gegenüber ihren Lieferanten Zahlungsziele von 100 Tagen und mehr in Anspruch nehmen, erreichen die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen britischer KMU nach Angaben des Forum of Private Business mittlerweile einen Rekordstand von 33,6 Mrd. Pfund. Hinzu kommt der Dominoeffekt: Nach eigenen Angaben bezahlen fast zwei Drittel der Kleinunternehmen wiederum ihre Lieferanten mit Verspätung. Maximal 60 TageDie EU hat daher die Richtlinie 2011/7/EU erlassen, die den Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr bekämpfen soll. Mit ihr sollen längere Zahlungsfristen nun stärker reguliert werden. Die Richtlinie soll kleine und mittlere Unternehmen (KMU) stärken, indem sogenannte “verspätete” Zahlungen unterbunden werden.Ihre Regelungen müssen bis Mitte März 2013 in nationales Recht umgesetzt werden. Die Richtlinie beschränkt die Zahlungsfrist im Geschäftsverkehr europäischer Unternehmen auf 60 Kalendertage. Die vertragliche Vereinbarung von Verlängerungen ist weiterhin möglich, solange sie den Gläubiger nicht “grob benachteiligt” und der guten Handelspraxis entspricht. Ist keine Zahlungsfrist angegeben, sind Rechnungen binnen 30 Kalendertagen zu begleichen.Zwar sagt die Richtlinie nicht explizit, was unter “grobe Benachteiligung eines Gläubigers” zu verstehen ist. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass der Versuch eines Unternehmens, seinen Lieferanten Zahlungsfristen jenseits der 60-Tage-Frist aufzuzwingen, darunterfallen wird. Nach Schätzungen der Kommission wird die Richtlinie bei europäischen Firmen zusätzliche Mittel im Gegenwert von etwa 180 Mrd. Euro freisetzen. Der Cash-flow werde verbessert und das Risiko verlängerter Zahlungsziele bei KMU gerade im Verhältnis zu Großkunden verringert.Umgekehrt könnte die Kürzung der Zahlungsziele sich aber auch massiv auf den Geschäftszyklus der Käufer auswirken: Im Ergebnis steigt die Schuldenlast und die kurzfristige Liquidität sinkt. Manche Unternehmen könnten zu Lieferanten außerhalb der EU wechseln, um so den Geltungsbereich der Richtlinie zu umgehen.Über die Supply-Chain-Finanzierung (SCF) lassen sich die Folgen der neuen EU-Richtlinie wirksam abfedern. Indem eine Bank als Finanzierer zwischengeschaltet ist, können Käufer Zahlungsfristen verlängern und gleichzeitig wird bei Lieferanten frühzeitig Liquidität freigesetzt – und zwar häufig zu einem günstigeren als ihrem internen Zinssatz.SCF funktioniert dabei als System, mit dem Lieferanten Rechnungen strukturiert diskontieren können. Das heißt, je nach Bonität eines bestimmten Unternehmenskunden erfolgt ein Risikoauf- bzw. -abschlag. Überdies nimmt SCF das Zahlungsrisiko aus der Bilanz des Lieferanten. Der sonst bestehende Bedarf an kostspieligem Versicherungsschutz wird so verringert. Letztlich profitiert aber auch die europäische Unternehmenslandschaft: Für Käufer bleibt es nämlich weiterhin attraktiv, sich von EU-Unternehmen beliefern zu lassen. Die Abwanderung von Aufträgen in Regionen, die nicht von der Richtlinie erfasst werden, wird so verhindert.Die Erfahrung hat gezeigt, dass Lieferanten, die Lösungen zur Lieferantenfinanzierung einsetzen, häufig einen bevorzugten Status genießen. Bei Insolvenz des Lieferanten haben Gerichte sogar zugelassen, dass innerhalb eines SCF-Programms eingenommene Mittel aus der Insolvenzmasse abgesondert werden. Großbritannien VorreiterWenn auch kürzere Zahlungsziele auf den ersten Blick wünschenswert erscheinen, sind sie unter Umständen nicht so ohne weiteres umzusetzen. Hier spielen auch Faktoren eine Rolle wie etwa ihre Wirkung auf die Finanzen des Abnehmers und die Wettbewerbsfähigkeit des Lieferanten. Aus diesem Grund arbeiten einige Regierungen an alternativen Lösungen, die die Interessen der unterschiedlichen Seiten in Einklang bringen.Auch hier wieder das Beispiel Großbritannien: Im Mai dieses Jahres bat die britische Regierung eine Reihe führender internationaler Banken, SCF als Lösung zur Stärkung der Liquidität kleiner und mittlerer Unternehmen zu unterstützen.Im Oktober startete der britische Premierminister David Cameron sogar eine SCF-Initiative. Nach den Worten Camerons ist Supply-Chain-Finanzierung für alle Beteiligten von Vorteil. Danach soll dieses Programm kostengünstigere Finanzierungsmittel von bis zu 20 Mrd. Pfund verfügbar machen. Dem Beispiel könnten andere EU-Mitglieder folgen. Zahlungszielregeln und die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen werden mittelfristig für die meisten EU-Regierungen weit oben auf der Tagesordnung stehen.