Sustainable Finance trägt zur Krisenbewältigung bei
An Herausforderungen mangelt es derzeit wahrlich nicht. Die Covid-19-Pandemie erweist sich nicht nur als eine Gesundheits-, sondern auch als eine handfeste Wirtschaftskrise, die zahlreiche Volkswirtschaften in die Rezession getrieben hat. Unmittelbare Krisenbewältigung heißt deshalb das Gebot der Stunde. Sie ist die vorrangige Aufgabe, der sich Akteure in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nun stellen müssen.Nichts von seiner Brisanz verloren hat aber auch der Klimawandel – und so wundert es nicht, dass auch der im Dezember 2019 von der EU-Kommission verkündete europäische Green Deal weiter ganz weit oben auf der Agenda steht. Die Bedrohung aus der Erderwärmung ist viel zu unmittelbar, als dass die Transformation in eine nachhaltige(re) Wirtschaft auf die lange Bank geschoben werden könnte. Der Vizepräsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, hat das im Frühjahr auf den Punkt gebracht, indem er sagte: “Wir kämpfen derzeit gegen den Ausbruch des Coronavirus, aber wir dürfen unsere langfristigen Nachhaltigkeitsziele nicht aus den Augen verlieren.” Die EU-Kommission hat zwischenzeitlich unmissverständlich klargemacht, dass Nachhaltigkeit auch in Zeiten von Covid-19 eine Top-Priorität ihrer Amtszeit bleiben wird.Dafür hat sie richtigerweise breite Unterstützung erfahren, etwa von der parlamentarischen Initiative “Green Recovery Alliance” aus den Reihen des EU-Parlaments, der sich inzwischen rund 200 Unterstützerinnen und Unterstützer aus Politik, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Unternehmen und Gewerkschaften angeschlossen haben. Gefordert wird eine “grüne” Ausgestaltung der zur Krisenbewältigung anstehenden Konjunkturprogramme der EU und ihrer Mitgliedstaaten. Beim internationalen “Petersberger Klimadialog” Ende April stellte sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel klar hinter die europäischen Klimaziele des Green Deal, machte deutlich, dass sie eine “schwierige Verteilungsdiskussion” um begrenzte Haushaltsmittel erwartet, und sprach sich mit Nachdruck für klimafreundliche Konjunkturpakete aus. Großer Schritt nach vorneDie Idee eines klimafreundlichen und nachhaltigen “Recovery Plan” unterstützen auch die Pfandbriefbanken. Die Bewältigung der Covid-19-Krise bietet die Chance, hierzu in Europa einen großen Schritt nach vorne zu machen. Zugleich aber muss die Orientierung der entsprechenden Programme auf nationaler und supranationaler Ebene am Klimaschutz mit Augenmaß erfolgen. Denn die Umsetzung darf nicht dazu führen, dass die zunächst essenziell notwendige Krisenbewältigung beeinträchtigt wird, indem das Primat der Nachhaltigkeit alles andere dominiert.Die unterstützenden Investitionen und Wirtschaftshilfen müssen zunächst in erster Linie die Rettung von vor der Krise gesunden Unternehmen und Arbeitsplätzen sicherstellen – und dürfen auf Kosten dieses Ziels nicht in ein zu enges grünes Korsett gepresst werden. Das gilt auch für die Regeln für Banken, denen in der aktuellen Krise durch die Versorgung der Realwirtschaft mit Krediten eine besondere Rolle zuteilwird. Sie können ihren Auftrag nur dann erfolgreich erfüllen, wenn ihnen nicht parallel überbordende administrative Belastungen und Kosten im Rahmen einer zeitgleich politisch verordneten Sustainable-Finance-Strategie aufgebürdet werden. Weniger HandlungsspielraumGenau das könnte aber drohen, wie die jüngst zur Konsultation veröffentlichte “Renewed Sustainable Finance Strategy” zeigt, mit der die EU-Kommission den bisherigen EU-Aktionsplan für eine nachhaltige Finanzwirtschaft weiter vorantreibt. Viele der absehbaren Inhalte bedeuten für Banken nicht nur einen administrativen und kostenmäßigen Mehraufwand. Vielmehr wird auch ihr Handlungsspielraum eingeschränkt, und es werden Ressourcen gebunden, die dann nicht mehr für die Finanzierung der Realwirtschaft zur Verfügung stehen. Und es ist unstreitig, dass in und nach der Krise gewaltige Summen mobilisiert werden müssen.Nach Berechnungen des Münchner Ifo-Instituts kann die deutsche Wirtschaft je nach unterstelltem Szenario um 7,2 bis 20,6 % schrumpfen. Das entspräche Kosten von 255 bis 729 Mrd. Euro. Hinzu käme die Bedrohung von bis zu 1,8 Millionen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen.Die Pfandbriefbanken stehen bereit, ihren Beitrag zur Krisenbewältigung zu leisten und vor allem in ihren Kerngeschäftsfeldern die dringend benötigte Liquidität und die Kreditvergabe an die Realwirtschaft sicherzustellen. Sustainable Finance kann und sollte dabei eine wichtige Rolle spielen. Aber es ist kein Allheilmittel und kann bisweilen auch im Wege stehen. Es gilt, beides – Krisenbewältigung und die Entwicklung eines nachhaltigen Finanzsystems – intelligent miteinander zu verbinden. Auch wenn nur ein Teil der in Rede stehenden Beträge in Klimaprojekte fließt und über “grüne” Finanzprodukte (re)finanziert wird, wird der Stimulus für die Konjunktur nach der Krise spürbar positive Effekte für die Umwelt haben. Erfolgreich etabliertDie Finanzindustrie unterstützt den notwendigen Wandel zu einer klimaverträglichen und ressourcenschonenden Wirtschaft nicht nur seit langem, sie treibt ihn voran. Übrigens deutlich länger, als die heutigen politischen und regulatorischen Initiativen zurückreichen. Die von der Branche entwickelten nachhaltigen Finanz- und Kapitalmarktprodukte haben ihr anfängliches Nischendasein längst hinter sich gelassen und haben sich erfolgreich etabliert. Was es zu beachten gilt Es ist deshalb folgerichtig, wenn der Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung nun darauf verweist, dass Sustainable Finance in der aktuellen Situation sowohl einen Beitrag zu einer nachhaltigeren Wirtschaft als auch zur Krisenbewältigung leisten kann, und dabei unter anderem den verstärkten Einsatz nachhaltiger Staatsanleihen zur Refinanzierung der anstehenden Herausforderungen fordert.Dabei sollte allerdings berücksichtigt werden, dass es keine “One size fits all”-Lösung für eine konjunkturelle Belebung über alle Bereiche der Volkswirtschaft hinweg gibt und dass sich vor allem der Anspruch an Nachhaltigkeit nicht in allen Branchen gleich gut mit einem krisenbedingten Konjunkturprogramm vereinbaren lässt. Die richtige Balance findenMehr denn je kommt es jetzt darauf an, die richtige Balance zwischen der essenziell wichtigen Finanzierung der Realwirtschaft und “grünen” Forderungen zu finden. Dabei können die politischen Akteure ebenso wie die Unternehmen auf die Unterstützung der Pfandbriefbanken zählen. Sie stehen auch in Zukunft für pragmatische Lösungen zur Krisenbewältigung bereit – und bringen sich gleichzeitig weiterhin aktiv ein, um die Entwicklung zu einer klimaverträglichen, ressourceneffizienten und nachhaltigen Wirtschaft gemeinsam mit der restlichen Finanzindustrie weiter voranzutreiben. Jens Tolckmitt, Hauptgeschäftsführer des Verbands deutscher Pfandbriefbanken e.V.