Tappen im Dunkeln
Von Bernd Neubacher, Frankfurt
Der Vormarsch von Big Tech in den Bankensektor scheint unaufhaltsam: Stück für Stück geben Kreditinstitute Tätigkeiten in kundenfernen Bereichen, die sie vor Jahren noch als ureigenste Aufgabe betrachtet hätten, an externe Dienstleister ab. Allein seit Beginn der Pandemie hat sich jede Menge getan: So informierte Finanz Informatik Technologie Services (FI-TS), die Tochter des zentralen Sparkassen-IT-Dienstleisters Finanz-Informatik, im Juli vergangenen Jahres über eine weitreichende Zusammenarbeit mit Google, um „Unternehmen der Sparkassen-Finanzgruppe die Nutzung von Public-Cloud-Services im regulierten Umfeld“ zu ermöglichen, wie es hieß.
Anfang Juni dieses Jahres kündigte der Chef des genossenschaftlichen Pendants Fiducia GAD, Martin Beyer, an, im zweiten Halbjahr werde man sich verstärkt auf die Suche nach Partnern machen, um die „cloudbasierte Entwicklungs- und Betriebsumgebung auszubauen“. In einem ersten Schritt werde die Fiducia & GAD IT AG dazu ihre private Cloud öffnen und mit Microsoft in eine hybride Cloud gehen. Das genossenschaftliche Spitzeninstitut DZ Bank will in den kommenden Jahren vor Erneuerungen ihrer IT grundsätzlich die Möglichkeit einer Auslagerung in die Cloud prüfen. Im Grunde seien zwei Drittel aller Anwendungen cloudfähig, erklärte IT-Vorstand Christian Brauckmann im Februar.
Die börsennotierten Banken greifen schon seit längerem auf Amazon, Microsoft, Google & Co zurück: Die Commerzbank hat im Januar ihre Zusammenarbeit mit Microsoft verlängert und will einen signifikanten Teil ihrer Anwendungen in die Cloud Microsoft Azure auslagern, um sie für leistungsstarke Datensimulationen zu nutzen sowie um dort komplexe Anwendungen zu entwickeln und ohne hohe Ressourcenanforderungen reibungslos anzupassen. Zugleich arbeitet die Commerzbank in der Cloud mit Google zusammen.
Am weitesten ist bisher die Deutsche Bank gegangen, die im Sommer vergangenen Jahres eine strategische Partnerschaft mit Google vereinbart hat, von der IT-Vorstand Bernd Leukert hofft, sie werde im Idealfall „über Jahrzehnte oder länger“ Bestand haben: Die Deutsche Bank will von Google nicht nur Rechnerkapazitäten mieten – beide Parteien wollen zusammen neue Produkte entwickeln.
Das Geschäft mit der öffentlichen Cloud boomt: Weltweit dürften die entsprechenden Investitionen von Unternehmen Gartner zufolge im kommenden Jahr knapp 400 Mrd. Dollar erreichen (siehe Grafik).
Aufseher sorgen sich
Die wachsende Bedeutung der US-Technologiegiganten für Deutschlands Banken wird nicht überall mit Begeisterung verfolgt: Aufseher treibt die Sorge vor Abhängigkeiten der Institute von den Big-Tech-Oligopolisten um, und bei IT-Leuten wird die Sorge formuliert, Google eigne sich im Zuge der Kooperation mit der Deutschen Bank das einzige Know-how an, was ihr noch fehle, um dereinst selbst Bank werden zu können. „Wer profitiert bei den Auslagerungen eigentlich auf der langen Strecke von wem?“, fragte Timo Kob, Vorstand des IT-Managementhauses Hisolutions, im Interview der Börsen-Zeitung im September vergangenen Jahres rhetorisch. „Google hat eine Banklizenz und will Girokonten herausgeben, Apple hat Apple Pay. Was also ist das Know-how, das Banken haben, das Google noch nicht hat? Es sind die Prozesse, wie solche Transaktionen ablaufen. Wenn ich diese aber genau in die Hände desjenigen gebe, der mein Konkurrent von morgen ist, dann gebe ich ihm in gewissem Sinne die Blaupause und zeige ihm, wo ich angreifbar bin“. Das erlebe man schon bei Amazon, „die plötzlich Batterien herstellen, weil sie festgestellt haben, dass diese sich sehr gut bei ihnen verkaufen“.
Joachim Wuest, Head of Financial Services bei Google Cloud Germany, tritt dieser Vermutung entgegen: „Wir wollen keine Bank werden“, sagte er im November vergangenen Jahres der Börsen-Zeitung: „Wir wissen, was wir können: Das sind Infrastruktur, künstliche Intelligenz, Datenanalyse und Innovation. Das Bankgeschäft überlassen wir den Experten, den Banken.“ Dass die Bedeutung, die Big Tech für die Banken gewinnt, auch den Instituten selbst nicht ganz geheuer ist, zeigt unterdessen der Zusammenschluss von 19 europäischen Großbanken in der European Cloud User Coalition (ECUC) mit dem Ziel, den Technologieriesen auf Augenhöhe begegnen und Standards einer Zusammenarbeit setzen zu können.
Wie schlägt sich dieser Megatrend in den Bewertungen von Anlegern und Marktauguren nieder? Setzen Sie ihre Kursziele herauf, weil die Nutzung einer Public Cloud den Banken mehr Kosteneffizienz ermöglicht und den Schlüssel für die digitale Transformation der gesamten Branche darstellt, wie die Banken hoffen? In der Deutschen Bank will man ja schon beobachtet haben, dass sich das Institut dank der Kooperation mit Google ganz neue Talent-Pools bei der Akquise von Beschäftigten erschließt.
Nicht aus eigener Kraft
Oder senken Investoren und Analysten den Daumen, weil den Instituten zusehends der Zugriff auf ihr Geschäftsmodell entgleitet? Nicht zuletzt erklärte Deutsche-Bank-IT-Vorstand Leukert jüngst auf dem Finanzplatztag der WM-Gruppe in wünschenswerter Offenheit: „Diese Partnerschaft beruht darauf, dass wir die fundamentale Erneuerung aus eigener Kraft nicht schaffen.“
Wie also lassen Institutionelle und ihre Berater die Zusammenarbeit von Banken und Hyperscalern in ihre Bewertung einfließen? Gar nicht, lautet die lapidare Wahrheit. Und dies gilt nicht nur für die kleinen Lichter im Markt, sondern unter anderem für den weltgrößten Investor: BlackRock erklärt auf Anfrage zwar generell, man fordere eine bessere Offenlegung – eine Sprecherin verweist unter anderem auf Standards des Sustainability Accounting Standards Board (SASB), die Banken dazu aufforderten, „finanziell relevante Informationen bereitzustellen, die für die Investitionsentscheidung von Bedeutung sind“, und etwa Datensicherheit und den Schutz von Kundendaten als wesentliche Faktoren für die Finanzbranche hervorhöben. Eine bessere Offenlegung ermögliche es Investoren, nachhaltigkeitsbezogene Risiken besser zu identifizieren, zu bewerten, zu messen und zu überwachen, heißt es dort; qualitativ bessere Berichte und Daten unterstützten eine präzisere Preisfindung und verbesserten „das Verständnis für die Risiko- und Werttreiber in den Geschäftsmodellen der Unternehmen“. Im konkreten Fall aber will sich BlackRock nicht einmal in der Frage festlegen, ob die zunehmende Zusammenarbeit von Big Tech und Banken Anlegern die Bewertung der Institute erschwert.
Dabei dürfte eben dies schon allein infolge Intransparenz auf der Hand liegen. Denn selbst wenn BlackRock dies wollte, könnte die Gesellschaft etwa die Zusammenarbeit der Deutschen Bank mit Google wohl kaum bewerten, allein weil beide Parteien sich in der Frage, wie weit diese Zusammenarbeit bei der Entwicklung neuer Produkte geht, recht zugeknöpft geben. Dies passt zum Strickmuster anderer Kooperationen dieser Art, etwa zum maximal restriktiven Umgang mit Nutzerzahlen von Apple Pay. Stets gilt: Big Tech weiß zwar beinahe alles über seine Nutzer, diese aber so gut wie nichts über Big Tech. Wert und Bewertungen von Kooperationen bleiben im Dunkeln.
„Das ist ein wenig beleuchtetes Thema“, räumt Alexandra Annecke, Senior Portfolio Manager bei Union Investment, ein. Analysten wüssten recht wenig über die Cloud-Strategien der Banken, sagt sie und stellt fest: „Die Kooperation bietet nicht nur Chancen, sondern auch Risiken, da es nur sehr wenige Public-Cloud-Anbieter und damit eine Konzentration auf Anbieterseite gibt. Dies berührt auch Fragen der Bankenaufsicht.“
Vor allem positive Seiten entdeckt derweil Andreas Thomae, Senior Portfolio-Manager bei Deka Investment, an der Zusammenarbeit von Banken und Big Tech: „Google ermöglicht es der Deutschen Bank, aber auch der Commerzbank, vor allem, Daten besser zu nutzen und schneller zu werden“, sagt er der Börsen-Zeitung. Die Daten blieben dabei im Besitz der Banken. „Sonst würde niemand mehr Geschäfte mit Google machen.“ Natürlich lauerten dabei auch Gefahren, weil Google etwa mit Google Pay oder Apple mit Apple Pay zudem banknahe Produkte anböten, erklärt er. Diese Konkurrenz liege aber eher im Zahlungsverkehr. Solange die Kunden den Banken die Stange hielten und Google nicht versuche, sie den Instituten abspenstig zu machen, habe es für Banken Sinn, sich Big Tech zu bedienen.
Ein bisschen Black Box
Dieter Hein, Analyst beim unabhängigen Research-Haus Fairesearch, erkennt mit Blick auf diese Kooperationen unterdessen „ein bisschen eine Black Box“. Es gebe keine konkreten Aussagen zur Zusammenarbeit, stellt er fest. Als Analyst analysiere er aber auch nicht jede einzelne Aktivität einer Gesellschaft, sondern stelle eine Konzernbetrachtung an. „Sonst verliert man sich.“ Dies gelte auch für einen intransparenten Geschäftsbereich wie jenen der Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Bank und Google, der zudem abseits des Kundengeschäfts stattfindet. Auch für Aufsicht und Aktionäre sei dies kein großes Thema. Hein: „Vielleicht wird es einmal ein Thema, wenn etwas schiefläuft und die Öffentlichkeit aufmerksam wird.“