LEITARTIKEL

This is not America

Die Quartalszahlen der großen US-Banken in der zurückliegenden Woche können einen das Fürchten lehren. Mehr als 25 Mrd. Dollar haben J.P. Morgan Chase, Wells Fargo, Citigroup, Bank of America und die anderen Wall-Street-Banken zur Seite gelegt, um...

This is not America

Die Quartalszahlen der großen US-Banken in der zurückliegenden Woche können einen das Fürchten lehren. Mehr als 25 Mrd. Dollar haben J.P. Morgan Chase, Wells Fargo, Citigroup, Bank of America und die anderen Wall-Street-Banken zur Seite gelegt, um sich für Kreditausfälle zu wappnen. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum entspricht das mit einer gewissen Variation von Bank zu Bank etwa einer Vervierfachung. Die Folgen für die Gewinn-und-Verlust-Rechnungen der zuletzt so erfolgsverwöhnten Branche sind verheerend: Kaum ein Institut, das im Vorjahresvergleich nicht mindestens ein Drittel des Gewinns einbüßte, manche sogar die Hälfte.Was würde eine analoge Entwicklung für die hiesige Branche bedeuten, die aus strukturellen und geldpolitischen Gründen nicht annähernd so profitabel ist wie ihre Wettbewerber an der Wall Street? Für die Deutsche Bank, deren Risikovorsorge im ersten Quartal 2019 bei 140 Mill. Euro lag, wäre eine Vervierfachung ein Garant für tiefrote Zahlen. Nach Steuern hatte das Institut vor einem Jahr einen Quartalsgewinn von lediglich 201 Mill. Euro ausgewiesen. Wegen des laufenden Konzernumbaus dürften die leidgeprüften Aktionäre des Instituts aber ohnehin mit einem weiteren Quartalsverlust rechnen, darauf deuten auch die Konsensschätzungen der Analysten hin. Die Commerzbank käme vermutlich besser damit zurecht, die Rückstellungen abrupt hochzufahren. Wegen der erstklassigen Qualität der von ihr ausgereichten Kredite, mit denen sich das Institut vor Jahresfrist gebrüstet hat, legte es bei einem Quartalsgewinn von 120 Mill. Euro lediglich 28 Mill. Euro für etwaige Ausfälle zur Seite. Bei einer Vervierfachung könnte also mit Glück und Bilanzierungsgeschick unter dem Strich so etwas wie eine schwarze Null stehen.Nicht gerade schöne Aussichten also für die Aktionäre, denen die Deutsche Bank wegen des Konzernumbaus und die Commerzbank auf Drängen der Bankenaufsicht schon für das zumindest in Europa pandemiefrei verlaufene Jahr 2019 die Dividende gestrichen haben. Die Rechenspiele haben jedoch einen Haken. Um es mit dem unvergessenen David Bowie auszudrücken: Das ist nicht Amerika. Der Unterschied zwischen Europa und den USA beschränkt sich nicht bloß auf Rentabilitätskennziffern der Banken. Was die US-Institute in den vergangenen Wochen umgetrieben hat, war ein Phänomen, das in Deutschland und mit Abstrichen auch in den meisten anderen Ländern der Eurozone so nicht vorstellbar ist: Innerhalb eines einzigen Monats haben 22 Millionen Menschen in den USA ihre Arbeit verloren. Als Betriebe, Restaurants und Einzelhändler schließen mussten, um die von der US-Regierung lange verleugnete Pandemie einzudämmen, wurden viele Beschäftigte über Nacht aus der Hochkonjunktur auf die Straße befördert. Bald werden sie weder ihre Kreditkartenrechnungen noch andere Verpflichtungen begleichen können, daran wird auch die einmalige Zahlung von 1 200 Helikopterdollar wenig ändern. Es ist nur realistisch, dass sich die US-Banken darauf einstellen, indem sie die Risikovorsorge drastisch hochfahren.Aus europäischer Sicht ist es immer wieder frappierend, wie unmittelbar die USA ihre Bevölkerung den brutalen Auswirkungen wirtschaftlicher Schocks aussetzen. Wäre da nicht die düstere Erinnerung an die Zwangsversteigerungen in den Jahren der Subprime-Krise, wäre man beinahe geneigt, die Banken als rudimentären Sozialstaatsersatz zu begreifen. Die hohen Rückstellungen signalisieren ja nichts anderes, als dass sie die finanziellen Kollateralschäden des Einbruchs auf dem Arbeitsmarkt notgedrungen auf ihre Bücher nehmen werden. Insofern sind sie gut beraten, in guten Zeiten hohe Gewinne einzufahren, um die erforderlichen Reserven überhaupt bilden zu können.——Von Anna SleegersDer immense Anstieg der Kreditrisikovorsorge in den Quartalsbilanzen der Banken ist ein spezifisches Phänomen der US-Kreditwirtschaft.——