IM BLICKFELD

Tokenisierung ist kein Selbstzweck

Von Anna Sleegers, Frankfurt Börsen-Zeitung, 3.3.2020 In Frankfurt, nur wenige Meter von der Wertpapierbörse entfernt, findet derzeit ein spannendes Experiment statt. Sofern man das Projekt überhaupt einem Ort zuordnen kann, denn was der...

Tokenisierung ist kein Selbstzweck

Von Anna Sleegers, FrankfurtIn Frankfurt, nur wenige Meter von der Wertpapierbörse entfernt, findet derzeit ein spannendes Experiment statt. Sofern man das Projekt überhaupt einem Ort zuordnen kann, denn was der Wertpapierspezialist Scheich und das Fintech Cashlink derzeit in kleinem Kreis erproben, ist der Handel mit Dax-Werten auf der Blockchain und somit auf einer dezentralen Struktur. Statt über einen zentralen Handelsplatz treten Käufer und Verkäufer über die Blockchain direkt miteinander ins Geschäft. Jede Transaktion wird nach dem Prinzip der dezentralen Kassenbücher (Distributed Ledger) zeitgleich auf allen beteiligten Rechnern so festgehalten, dass sie nachträglich nicht mehr zu verändern ist.Derzeit erlaubt das deutsche Wertpapierrecht den Handel digitaler Aktien auf der Blockchain nicht. Da Wertpapiere nach wie vor in Papierform verbrieft werden müssen, behilft sich das Bankhaus Scheich bei dem Frankfurter Pilotprojekt derzeit mit einer Art digitaler Zertifikate auf Aktien der Telekom und des Zahlungsdienstleisters Wirecard. Doch in der Blockchain-Strategie, die im vergangenen Herbst bereits der digitalen Schuldverschreibung den Weg ebnete, hat sich die Bundesregierung darauf festgelegt, auch für den Handel mit digitalen Aktien und Fondsanteilen auf der Blockchain einen rechtlichen Rahmen zu schaffen.Für die Befürworter der neuen Technologie liegen die Vorteile auf der Hand: Der Wertpapierhandel über die Blockchain geht nicht nur sehr viel schneller als das traditionelle Geschäft über die Clearingstelle, sondern ist auch deutlich günstiger, weil die Notwendigkeit der Verwahrung bei der Depotbank entfällt. Außerdem könnte die Blockchain selbst für illiquide Assets einen Markt schaffen. Das käme vor allem den Emittenten entgegen, die sich dank Blockchain bei Aktienplatzierungen nicht auf einen bestimmten Markt beschränken müssten, sondern Investoren rund um den Globus ansprechen könnten. Kein AnachronismusFalsch ist das alles nicht – zumindest in der Theorie. Selbstverständlich ist es zeit- und kostengünstiger, wenn sich Käufer und Verkäufer über einen sogenannten Smart Contract, also eine rechtlich bindende Vereinbarung in Form eines kleinen Computerprogramms, dazu verpflichten, eine Transaktion zu bestimmten Konditionen durchzuführen, als wenn jede Seite einen bilateralen Vertrag mit der Clearingstelle eingeht, die sich wiederum verpflichtet, die Umsetzung der Transaktion zu gewährleisten, falls eine der Parteien in Zahlungsschwierigkeiten gerät.Diese zwischengeschaltete zentrale Gegenpartei ist allerdings kein Anachronismus, sondern ein wesentliches Merkmal eines regulierten Handelsplatzes mit überschaubaren Risiken für die Marktteilnehmer. Mag sein, dass das Clearing einer technologischen Überarbeitung bedarf und dass hiermit auch Zeit- und Kosteneffizienzen gehoben werden können. Doch überflüssig ist diese Absicherung gegen Emittenten- und operationelle Risiken auch dann nicht, wenn die gehandelten Wertpapiere nicht mehr in Papierform verwahrt werden, sondern in verschlüsselter Form in dezentralen Kassenbüchern.Inwieweit Kryptoverwahrer wie die am Frankfurter Pilotprojekt ebenfalls beteiligte Finoa diese Funktion in Zukunft übernehmen können, ist aus heutiger Sicht unklar. Zum einen stehen die rechtlichen Rahmenbedingungen noch nicht fest, zum anderen fehlt es dem Markt für digitale Assets noch an der erforderlichen Größe, um ein tragfähiges Gebührenmodell zu etablieren.Nach wie vor handelt es sich um einen Nischenmarkt, in dem sich viele technologiebegeisterte Akteure tummeln – darunter auch einige, die aus ideologischen Gründen nicht mehr mit den etablierten Banken zu tun haben wollen. In diesem Milieu erscheinen Fragen des Anlegerschutzes zweitrangig, sei es, weil die meisten Marktteilnehmer sich auch beruflich mit der Blockchain befassen, sei es, weil sie ohnehin nur mit begrenztem Einsatz experimentieren.Soll ein Massengeschäft daraus werden, braucht es Marktteilnehmer, die größere Summen bewegen: Fonds, Versicherungen und andere institutionelle Anleger. Das erfordert regulatorische Eingriffe, denn der Staat wird nicht tatenlos zusehen wollen, wie seine Bürger die private Komponente ihrer Altersvorsorge an störanfälligen Märkten organisieren. Das kostet Geld und im Zweifel auch Zeit – wie immer die technische Lösung im Detail aussehen wird.Auch die Hoffnung auf liquidere Märkte durch den Einsatz der Blockchain taugt nur bedingt. Zwar hat sich die Technologie bei illiquiden Assets wie Immobilien bereits bewährt, indem sie Verkäufer und Käufer zusammenbrachte. Ob das auch in der zum Teil sehr unübersichtlichen Welt der Anleihen funktioniert, darf zumindest für die nächsten Jahre bezweifelt werden. Bis die neue Technologie irgendwann zum international gültigen Standard erhoben wird, dem sich die wichtigsten Handelsplätze anschließen, droht hier zunächst einmal eine aus Emittenten- wie Anlegersicht ungünstige Marktfragmentierung.